Extra

echt falsch II

Duisburger Filmwoche 27
07.11.2003

Podium: Joerg Burger (Regisseur), Alexandra Schneider (Filmwissenschaftlerin,

Berlin/Zürich)
Moderation: Vrääth Öhner
Protokoll: Andrea Reiter

Protokoll

Joerg Burgers 19-minütiger Film „Exploration“, eine Versuchsanordnung therapeutischer Verhaltensweisen, dient als Ausgangspunkt, Probleme und Aspekte des Mottos echt/falsch zu erörtern.

Um den filmischen Spielraum zu charakterisieren, der in diesem Film eröffnet werde, schlägt Alexandra Schneider den Begriff des „Rollenspiels“ anstelle von „Simulation“ vor, der in der Definition Baudrillards in diesem Zusammenhang in eine falsche Richtung lenken würde. „Exploration“ lege eine „falsche Fährte“, eher als dass er im Sinne von Drehli Robniks Begrifflichkeit (siehe Extra Teil 1) ein Fälschen als Fabulieren repräsentiere.

Bei dem im Film gezeigten Rollenspiel, einer nachgestellten Diskurssituation zwischen Therapeutin und Patientin, weist Alexandra Schneider auf den kulturellen Kontext hin, in dem der Film zu sehen sei. Das „Performen“ und Darstellen, die kreatürliche Körperlichkeit der sozialen Akteure seien heutzutage ein verbreitetes Verfahren im Medium Fernsehen, die Figuren würden auf Akteure verweisen, das Casting gerate in den Blick. Auch Joerg Burger hat die Studentin für seinen Film „gecastet“ und sich jene auszubildende Therapeutin ausgesucht, die für ihn die „Beste“ gewesen sei.

Als Hintergrund:

Für die Therapeutenausbildung müssen die Studenten in einer Anfangsphase mit Schauspielern, die in einem einjährigen Lehrgang das Spielen von Patienten erlernen, Sitzungsgespräche abhalten, um den Umgang mit Patienten zu trainieren. Das „kleine Kammerspiel“ hat Burger außerhalb des sonst üblichen Studienraums inszeniert. Spannend fand er die Intensität dieser Situation, das Kippen, das zu erkennen sei, und das anschließende Sprechen darüber, als wenn die gespielte Rolle wirklich gewesen sei. Im Gesicht der Studentin habe er die Intensität des Spiels zu finden gesucht, im Gesicht der Schauspielerin die angehende Therapeutin, weshalb er sich für den angewandten Schnitt entschieden hätte. Gedreht wurde mit zwei Kameras in je einer Einstellung.

Ob die Inszenierung für den Zuschauer funktioniert oder ob er gleich zu Anfang das von Burger inszenierte Rollenspiel durchschaut, ist aufgrund individueller Sichtweisen für eine Diskussion unerquicklich. Aber was lässt sich über das „Performen“ sagen? Unter diesem Aspekt ist die Gegenüberstellung von „Exploration“ (Erforschung) gegenüber der falschen Fährte, die der Film evoziert, wesentlich. Durch den Film erschließen sich mittels unterschiedlicher performativer Verhaltensweisen unterschiedliche Handlungsmuster. Der Blick wird durch die simulierte Situation, im Sinne eines „Probehandelns“ im Film, auf diese Verhaltensformen gelenkt. Eine Thematik, die unabhängig vom Aspekt des Simulierten auch in der Diskussion zu Karin Jurschicks „Die Helfer und die Frauen“ debattiert wurde.

Nochmal zu den Wirklichkeitsformaten im Fernsehen. Hier habe eine Verschiebung von den anfänglichen Reality-Shows in Laborsituationen hin zu fiktionalisierenden Formen der Rollenspiele mit Laien (z.B. Gerichtsshows) stattgefunden. Die Konstruktion einer institutionellen Instanz findet sich interessanterweise dort, wie auch in den Dokumentarfilmen „Exploration“ und „Das Problem ist meine Frau“.

Nach einer Intention des Autors zu suchen, der in diesem Fall mit der Inszenierung ein Täuschungsmanöver angewandt habe, das ein Zuhörer hinterfragt, davon wird in der Filmwissenschaft in dieser Eindimensionalität abgesehen, da die Erfahrungen der Zuschauer nicht kontrolliert werden können. Joerg Burger hat natürlich bewusst eine Einführung in die Situation vermieden und variiert die Form des Schulfilms durch sein „Kammerspiel“, die Schauspielerin und die falsche Fährte, um Erfahrungsräume für das Publikum zu öffnen. So kann der Film als Fälschung der Fälschung wahrgenommen werden.

Das Sprechen über Film

Werner Ruzicka weist auf die schöne Verwendung des altmodischen Begriffs des „Rollenspiels“ hin, auf „Settings“ die gesetzt würden, auf das „Kippen von Figuren“. Man scheine weggekommen zu sein von einem konventionalisierten Sprechen über Film. Körpersprachlichkeiten der Figuren würden in den Blick gerückt, so lasse ein Gestus der Verweigerung im Film den Blick auf einen „wirklichen Zustand“ zu. Die Faszination des Magischen der Figuren, das in den Dokumentarfilmen entstehe, darüber wolle man sprechen. Wolle man nun vielleicht das „Echte im Falschen“ zu erkunden versuchen?

„Exploration“ gibt dazu besonderen Anlass. Es besteht eine Differenz zwischen einem „Weiterhallen“ des Rollenspiels und einer Suche nach etwas anderem, das den Körpern eingeschrieben ist. Es gibt die teilnehmende Perspektive und eine Metaebene, eine äußere Position aus der heraus man blicken kann. Mit Falschem wird hier „Wahres“ erzeugt, auch wenn das „Wahre“ vielleicht als Faszination zu benennen ist. An dieser Form der Dokumentation zeigt sich deutlich, wie sich die Dokumentarfilme z.B. vom direct cinema bis heute verändert haben.

Die damalige Form des Nachdenkens über das Dokumentieren sei im Verschwinden begriffen, so Vrääth Öhner, anstelle von moralischer Objektivität liege vielleicht heute im Falschen das Echte?

Oder: Heute nehmen die Dokumentarfilme weniger eine Position ein. Eher stellen sie Fragen, als dass sie Antworten geben.

Große Schlussfolgerungen und Analysen sieht man immer seltener, die Zuschauer werden mit Fragestellungen konfrontiert.

Es gibt eine Lust des Erkennens des schauspielerischen Aspekts. Es ist spannend, wahrzunehmen, wie die Schauspieler, die Rollen einnehmen, dies dann aber vergessen müssen, ihre „Masken“ verlieren und dahinter für den Zuschauer eine Wahrhaftigkeit sichtbar wird. Kann man dann diese „Laien“ kritisieren?

Echt/falsch ist sehr treffend, betrachtet man die Diskussionen dieser Tage, in denen sich eine Schwierigkeit, über Filme zu reden, herauskristallisiert hat, und die Sehnsucht, das Agieren von Körpern innerhalb eines Rahmens zu debattieren, zu wachsen scheint. Es wird danach gesucht, was sich durch die Figuren/ Protagonisten konstruiert und welche Formen sichtbar werden. Authentische, körperliche Effekte, die als antrainiert erkenntlich werden und unterschiedliche Verhaltensstrategien interessieren das Publikum der Duisburger Filmwoche.