Film

Normalität 1–10
von Hito Steyerl
DE/AT 2001 | 42 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 25
06.11.2001

Diskussion
Podium: Hito Steyerl
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Judith Keilbach

Synopse

Serielle Beobachtungen von Gewalt und Rassismus in Deutschland und Österreich über einen Zeitraum von mehr als 10 Jahren. Die erschreckende Normalität rassistischer Gewalt spiegelt sich in Gesten wieder, die keiner Worte (mehr) bedürfen. Der Versuch, Eskalationen mit Überwachungsstrategien zu begegnen, wird zum ohnmächtigen Symbol eines gewaltsamen Alltags.

Protokoll

Bei Hito Steyerls Film NORMALITÄT 1-10 handelt es sich um work in progress, zu dessen Entstehungsgeschichte sie zu Beginn der Diskussion befragt wurde. Die Regisseurin stellte den historisch-politischen Kontext des 1. Teils dar, der im Herbst 1998 entstanden ist. Die Vorgabe von Deutschland als “normalem Land”, die Bundeskanzler Schröder in seiner Antrittserklärung äußerte, Martin Walsers Plädoyer für das Wegsehen, an dem sich die Walser- Bubis-Debatte entzündete, und die Zunahme von antisemitischen Gewalttaten nannte sie als Ereignisse, die den Hintergrund für den 1. Teil ihres Filmes bildeten. An den Anschlägen auf das Grab von Heinz Galinski, die Gegenstand des ersten Filmdokuments sind, fand sie konkret die wiederholten Versuche bemerkenswert, bis die Grabplatte dann tatsächlich zerstört gewesen sei. Den 2. Teil des Films beschrieb sie als Kontextualisierung der Grabschändungen. Während weitere antisemitische und rassistische Gewalttaten verübt und deren Normalisierung betrieben wurde, habe sie versucht, diesen in einzelnen kleinen Filmen zu folgen. Die Serialität sei ursprünglich nicht geplant gewesen, sondern habe sich aus den Ereignissen ergeben.

Auf ihr Verständnis von Normalisierung befragt, verwies Hito Steyerl zum einen auf Walter Benjamin. Mit Blick auf die Unterdrückten beschreibt dieser den Ausnahmezustand als Regel, und die Regel als Ergebnis des Ausnahmezustands. Dieser These, die eine Art Leitspruch von NORMALITÄT 1-10 ist, stellte sie eine Genealogie des Begriffs Normalität zu Seite, der in den 80er Jahren von der NPD und den Republikanern geprägt wurde und in der Zwischenzeit von ‘der Mitte’ übernommen worden sei. Den gesellschaftlichen Techniken der Normalisierung habe ihr Interesse gegolten. In der Diskussion kam sie später nochmals auf diese Techniken zurück, als sie Christoph Schlingensiefs Diskussion mit dem Schänder von Ignatz Bubis’ Grab als eine Strategie beschrieb, mit der durch Tabubruch und Regelverletzungen die Normalisierung vorangetrieben werde.

Während Hito Steyerls inhaltliche Auseinandersetzung mit der Normalisierung von Gewalttaten unter den Diskussionsteilnehmern einhellige Zustimmung erfuhr, wurden die Deutlichkeit ihrer politischen Positionierung sowie der von Musik und Schwarzbildern erzeugte “moralische Unterton” kritisiert.

Schönbergs Musik, so die Filmemacherin, sei eine konzeptionelle Entscheidung für den 1. Teil des Films gewesen, die sie in den weiteren Teilen einfach angestückelt und fortgesetzt habe. Die zehn Teile, aus denen sich der Film bisher zusammensetzt, seien jedoch so unterschiedlich, dass sich ihres Erachtens keine einheitliche Haltung isolieren lasse. Je nach ‘Verfasstheit’ argumentiere sie auch moralisch und sicherlich sei der Film insgesamt mürrisch. Sehr entschieden bezog sie Stellung dafür, ihre politische Position im Film benennen zu dürfen. Zu fragen sei doch vielmehr, entgegnete sie auf die Kritik, warum Filmemacher meinen, ihren Standpunkt mit Pseudo- Objektivität und -Authentizität verschleiern zu müssen.

Die Positionierung der Filmemacherin wurde von anderen Diskutanten jedoch als unklar empfunden. Hito Steyerl erklärte die sich verändernden Haltungen in den einzelnen Teilen mit ihrem akkumulativen Vorgehen und der Entscheidung, in den abgeschlossenen Teilen rückwirkend nichts mehr zu ändern. Eine andere Arbeitsweise würde selbstverständlich eine interne Stringenz mit sich bringen. In der vorliegenden Form sei der Film auch ein Dokument der Entwicklung und Veränderung ihres eigenen Standpunktes. “Wer sind Sie, aus welcher Position betrachten Sie Deutschland?” wurde gefragt und ein Diskussionsteilnehmer fand, dass genau diese Frage den Film so interessant mache. Dass sich viele Leute über ihre – auf den gesamten Film bezogen – uneindeutige Haltung ärgern, sei ihr bewusst, so Hito Steyerl. An anderer Stelle machte sie deutlich, dass sie ihren Selbstauftritt in einem der Teile als bewusste Einschreibung verstehe: auch sie sei Akteurin der Normalisierung.

Zum Problem der Bildfindung für die Struktur von Gewalt gab es verschiedene Äußerungen während der Diskussion. Die Verschiedenartigkeit der Teile wurde als Erprobung von Zugangsmöglichkeiten beschrieben. Gesprochen wurde über das unscharfe Abfilmen von Zeitungsbildern als ein Visualisierungsversuch von grauer Masse, unter deren Augen sich die Normalisierung vollziehe; über den nichtssagenden Realzeitausschnitt einer NPD-Demo vor dem geplanten Holocaust-Mahnmal; und über den, von einer Diskutantin als albern empfundenen Tele-Blick auf einen sich unbeobachtet fühlenden Sicherheitsbeamten während der Einheitsfeier am 3. Oktober 2000 in Hannover. Als besonders gelungen lobte ein Diskutant das Verfahren, aus dem täglichen Bilderstrom ein Motiv (hier: Galinskis Grab) herauszugreifen und an diesem beharrlich festzuhalten. Damit könne es zu einem Gedächtnisbild werden.

Insgesamt geriet vor allem der letzte Teil von NORMALITÄT 1-10 in die Kritik. Hito Steyerl wies darauf hin, dass sich dieser nicht mit dem Normalitätsthema beschäftige und beschrieb ihn als vorerst abschließenden Baustein mit dramaturgischer Funktion. Sie halte den Film ohne die Darstellung von Leuten, die der strukturellen Gewalt etwas entgegensetzen wollten, für zu depressiv. Bei einer Weiterführung der Serie wäre dieser Teil jedoch beweglich.

Ein weiterer Punkt, über den in der Diskussion ausführlich gesprochen wurde, war das Thema der Überwachungskamera. Ihr Kamerablick auf Galinskis Grab komme ihr wie ein Imitat vor, so Hito Steyerl. Eine Diskussionsteilnehmerin fragte nach ihrer Haltung zur von Schönbohm geforderten Installation von Kameras, um antisemitische Straftaten zu verhindern. Hito Steyerl beschrieb den Kontrollblick am Beispiel eines Anschlags auf dem Düsseldorfer Bahnhof als passiv. Nicht das Überwachungspersonal vor den Monitoren sondern ein beherzter Passant sei den Verletzten zu Hilfe gekommen. Die Funktionalität von Überwachungskameras letztendlich immer auch vom politischen Willen abhängig. Insgesamt habe sie keine homogene Haltung, meinte sie und machte dies plausibel, indem sie darauf hinwies, dass es auf der einen Seite übervisibilisierte Orte, wie die polnische Grenze, gebe, auf der anderen Seite würden andere Bereiche, wie Flüchtlingsunterkünfte, deren Bewohner nach gewalttätigen Angriffen die Überwachung forderten, systematisch unsichtbar gemacht. Diese Unterscheidung bezog sie auch auf den Krieg in Afghanistan, der invisibilisiert sei, während ground zero massiv repräsentiert werde. Zu fragen sei vor allem immer auch, wie Sichtbarkeiten verteilt seien.

Vergleiche mit den sogenannten aktuellen Ereignissen wurden auch an anderer Stelle gezogen. Dabei ging es um die neuen Definitionen dessen, was normal ist: die Entsendung von Soldaten nach Afghanistan mache Deutschland beispielsweise endlich zum normalen Bündnispartner, so Werner Ruzicka, während auf der anderen Seite antisemitische und rassistische Äußerungen seit dem 11. September nahezu nicht mehr in der Presse diskutiert würden.

Dass ihr Film produktiv arbeite, bestätigte die Filmemacherin, als sie auf die Adressaten des Films angesprochen wurde. In politischen Zirkeln komme ihm eine wichtige Funktion zu, indem er Diskussionen initiiere. Als produktiv stellt sich der Film jedoch auch im Hinblick auf seine Fortführung dar: weitere Teile sind – aufgrund der unveränderten Lage – bereits in Planung.