Film

Divina Obsesion
von Volko Kamensky
DE 1999 | 28 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 23
04.11.1999

Diskussion
Podium: Volko Kamensky
Moderation: Jutta Doberstein, Gudrun Sommer
Protokoll: Herbert Schwarze

Synopse

Hier kommen sie zu Wort, die Philosophen und Strategen des postmodernen Straßenverkehrs, und geben Auskunft über die vollkommenste ihrer Schöpfungen, die bestechende Funktionalität mit betörender Schönheit vereinigt. Sollte Ihnen jetzt noch etwas unklar sein: Steigen Sie in Ihren Wagen und fahren Sie nach Duisburg.

Protokoll

O du segensreiche, allein seligmachende Kreisverkehrsmittelinsel, in die wir hinein-und wieder hinausfahren, während wir den telefonischen Ausführungen deutscher Verkehrsexperten andächtig lauschen. Es geht um nichts weniger als das wahre Wesen der Kreisverkehrsmittelinsel. Diese „ist das einzige, vor dem sich die Autofahrer verbeugen“, sagt einer, und da er sich schon auf der abschüssigen Bahn schräger Metaphern befindet, kann er die Kraftwagenbesitzer vor der Kreisverkehrsmittelinsel auch noch in die Knie gehen lassen. Das teleologische Ziel von soviel ungezügeltem Übermut und verbaler Akrobatik ist es, das mörderische Wesen (anthropologische Konstante) des Kraftfahrers zu besänftigen (Statistik), befreit uns doch die Kreisverkehrsmittelinsel aus der duellartigen Gegenüberstellung an der Ampelanlage. Im Paradies angekommen, sind wir alle zu Mitschwimmern in einem breit und träge dahinfließenden Strom von Verkehrsteilnehmern geworden. Nach all der New Age-getränkten Metaphorik entlarvt das Sprechen zu guter letzt doch noch seinen wahren Charakter:

„der Kreis ist eine Zwangsmaschine“.

Verständlich, daß in Anbetracht solcher Aussagen „der Kreisverkehr seine Unschuld verloren hat“, wie eine der beiden Moderatorinnen meint. Man kommt schnell überein, daß der pädagogisch-didaktische Impetus beklemmend ist. Ursprünglich war Kamensky fasziniert von den öffentlichen Gärten, die nicht betreten werden dürfen. „Sie befinden sich am Rand unseres Gesichtsfelds und sollen eine Mitte darstellen“, sagt er. In Frankreich, wo er gefilmt hat, existieren bereits mehr als 14000 derartige Verkehrsregulative. Er zeigt sich erstaunt, daß im Publikum lauthals über die Expertenaussagen gelacht wird, bei ihm würden sie eher ein Schmunzeln auslösen, wie er sanft betont.

Ausgehend von der Bemerkung Sommers über die metaphysische Aufladung wissenschaftlicher Diskurse, beschreibt Kamensky, wie nach jeder Schneidetisch-„Preview“ eine weitere Ebene hinzugekommen ist. Den seriellen Charakter der Kreisfahrten wollte er mit einer emotionaliserenden Musik konfrontieren, weil er an dem „Spannungsverhältnis aus überzogener Musik und distanzierten Bildern“ interessiert ist, „das eine Aussage trifft, die dazwischen liegt“.

Doberstein versteht den Hinweis auf den romantischen Charakter der ausgewählten Musik nicht. Früher hätte die Wissenschaft versucht, Regelsysteme unter Ausschluß der Natur zu entwerfen und am Laufen zu halten, heute würde sie sich bemühen, die Regelsysteme der Natur nachzubilden. Nach längerem Schweigen antwortet Kamensky charmant, darüber müsse er länger nachdenken. Ebenso anrührend sein Eingeständnis, daß jetzt die Zeit für ein Geständnis gekommen ist: Die verwendeten Postkarten, die einen beliebig wirkenden historischen Kontext eröffnen, wären als Schnittmaterial unverzichtbar gewesen.

Langsam schließt sich der Kreis und die Diskussion kehrt an ihre Anfänge zurück: Divina, spanisch: göttlich und außerirdisch.

Das Rondell steht in der absolutistischen Architektur für die Vorstellung vom verlorenen Paradies.

Eine Zuschauerin fühlte sich wohlig hineingezogen in den Kreislauf, der ihrer Meinung nach noch mindestens eine halbe Stunde lang hätte dauern können.