Extra

Von Godard sprechen

Duisburger Filmwoche 22
1998

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Protokoll

Einführungsrede von Rembert Hüser:

Kaja Silverman und Harun Farocki machen ein Buch über Godard. Als ich das das erste Mal hörte, dachte ich, WOW, was für eine Konstellation! Ich bin Fan von allen dreien. Und als Fan hofft man natürlich immer, daß die Helden mal was zusammen machen.

Andererseits: daß die drei früher oder später miteinander zu tun kriegen würden, auch schon miteinander zu tun hatten, war eigentlich absehbar. Es gibt hier eine Beziehungslogik. Die Überschneidungen in den jeweiligen Arbeitsprogrammen sind überaus deutlich. Es gibt gemeinsame Interessen, Blickrichtungen, Beobachtungstechniken: Interessen etwa an einer Neubestimmung, einer Rekonzeptualisierung des Politischen, alle drei sind Spezialisten für die Formaspekte von visueller Kommunikation, für die performative Fabrikation der Rede. Und nicht zuletzt erste Adressen für Bildaufbau und für das, was passiert, wenn man ein Bild mit einem anderen in Beziehung setzt. Obendrein können alle drei auch noch ziemlich gut schreiben. Es macht Spaß, sich mit ihnen auseinandertzusetzen.

Was mich freut, ist das Timing des Buches. Nachdem ‚Godard‘ in der letzten Zeit in den Feuilletons als Repräsentant der einen Seite der albernen Unterscheidung von ‚Autoren-‚ und ‚Erzählkino‘ vor allem der Name für das war, was „wir nicht wollen“: der will uns belehren, wir wollen Spaß, – was die deutschen Komödien auf den Weg gebracht hat -, verspricht das Wiedersehen seiner Filme zu diesem Zeitpunkt vielleicht die Chance, eine neue Diskussion zu initiieren über das, was wir wollen. Über Möglichkeiten eines lustvollen Sprechens über, mit und von Filmen.

Als ich dann die ersten Informationen über Silverman und Farockis Godardbuch kriegte, was ich irritiert. Auf den ersten Blick scheinen die beiden nämlich eine ganze Menge Dinge zu machen, die ich eigentlich überhaupt nicht mag.

Das fängt bei der Form dieses Textes an: ‚Gespräch‘. Meine erste Assoziation war: O Gott, Bildung! Berühmte Leute unterhalten sich über große Gegenstände. Gespräche schriftlich zu fixieren, als ‚Gespräch‘ auszustellen, ist ein romantisches Projekt. Schlegels ‚Gespräch über die Poesie‘ von 1800 ist eine der großen Programmschriften für diese Textsorte. Ich zitiere mal eine der Kernpassagen:

„Alle Gemüter, die sie lieben, befreundet und bindet die Poesie (der Film) mit unauflöslichen Banden. Mögen sie sonst im eigenen Leben das Verschiedenste suchen, einer gänzlich verachten, was der andere am heiligten hält, sich verkennen, nicht vernehmen, ewig fremd bleiben; in dieser Region sind sie dennoch durch höhere Zauberkraft einig und in Frieden. Jede Muse sucht und findet die andere, und alle Ströme der Poesie fließen zusammen in das allgemeine Meer. – Die Vernunft ist nur eine und in allen dieselbe: wie aber jeder Mensch seine eigene Natur hat und seine eigene Liebe, so trägt auch jeder seine eigene Poesie in sich. (…) Da nun aber seine Poesie, eben weil es die seine ist, beschränkt sein muß, so kann auch seine Ansicht der Poesie nicht anders als beschränkt sein. Dieses kann der Geist nicht ertragen, ohne Zweifel weil er, ohne es zu wissen, es dennoch weiß, daß kein Mensch schlechthin nur ein Mensch ist, sondern zugleich auch die ganze Menschheit wirklich und in Wahrheit sein kann und soll. Darum geht der Mensch, sicher sich immer wieder zu finden, immer von neuem aus sich heraus, um die Ergänzung seines innersten Wesens in der Tiefe eines fremden zu suchen und zu finden. Das Spiel der Mitteilung und der Annäherung ist das Geschäft und die Kraft des Lebens, absolute Vollendung ist nur im Tode.“

Die Pointe dieser Konzeption ist, daß die Bedingungen der Möglichkeiten von Poesie, des angemessenen Redens über Film im geselligen Kreis liegen. Der die ‚Wahrheit‘ der ‚ganzen Menschheit‘ repräsentiert. Der Poesiebegriff selbst ist nicht bestimmt, die reflektierende Gesprächsrunde der Gebildeten wird zur Performanz des Schönen selbst.

Georg Lukács macht sich 1909 in ‚Die Seele und die Formen‘ in einem Text genau darüber lustig: Dieser Text, er ist sehr filmisch aufgebaut und heißt ‚Reichtum, Chaos und Form‘, ist selbst als ‚Gespräch‘ geschrieben. Wir haben zwei Männer von der Universität, Joachim und Vinzenz, die vor einem „auffallend schönen Mädchen“, das nur „Das Mädchen“ heißt und so gut wie nichts sagt, Texte von Lawrence Sterne diskutieren. Der eine hat die Position zu Sterne, der andere hat die Position, „Das Mädchen“ hört zu. Wir rot, lächelt nicht mit. Klassisch. Die Frage, genauso klassisch, die die ganze Zeit im Raum steht, ist: wer kriegt am Ende das Mädchen? Natürlich – vielleicht ist es eine Selbstbeschreibung von Lukács, vielleicht hatte er kein Glück – muß der mit den besseren Argumenten gehen; der Verlierer bleibt und gewinnt. Der Dialog endet mit einer Regieanweisung. „Sie (drückt durch ihr verklärtes Gesicht ihre Erleichterung aus, daß endlich geschehen ist, wozu die ganze lange Debatte nur eine höchst überflüssige Vorbereitung war, und erwidert seinen Kuß.)“ Was hier thematisiert wird, ist die Frage des ausgeschlossenen Dritten, Vierten des Gesprächs. Wer darf bei so einem Gespräch mitreden? Wo steckt das Begehren? Oder mit Kaja Silverman aus ‚The Acoustic Mirror‘ gefragt: Was repräsentiert eigentlich die Tonspur eines aufgeschriebenen Gesprächs?

Schaut man sich jetzt ‚Von Godard sprechen‘ an, sieht man, daß Silverman und Farocki es auf eine faszinierende Art schaffen, die, ich würde mal behaupten, tote Form ‚Gespräch‘, die nur noch einen bestimmten Sozialtyp feierte, wieder neu produktiv werden lassen. Und zwar genau in dem Aspekt, der an ihr verlorengegangen ist. Sie schaffen es, so kurios das klingen mag, die Textsorte ‚Gespräch‘ wieder dialogisch werden zu lassen.

Erreichen tun sie das, in dem jegliche Form von Repräsentativität von Seiten des Textes aufgegeben wird. Das fängt damit an, daß es keine genauen Bereichszuteilungen gibt. Wir haben keine stilisiert sorgsam voneinander getrennten Praxisfelder vor uns, so nach dem Schema: Theorie und Praxis unterhalten sich über Praxis. Wir haben nicht die Professorin aus Berkeley hier und den Filmemacher aus Berlin da, die je unterschiedliche Aspekte abdecken. Der Künstler und die Wissenschaftlerin. Oder der Wilde und die Forscherin. Zwei Welten. Es würde ja auch nicht stimmen. Auch gibt es keinen Gegenstand, der den Beobachtungen im klassischen Sinne ‚gegenüber‘ wäre. Dieser Gegenstand wird allererst beim Schreiben generiert. Und zwar sukzessive. Und mischt sich ein. Der Titel deutet das bereits an: ‚Von Godard sprechen‘. Also nicht ‚über Godard‘, mit rein behaupteter, unaffizierter analytischer Distanz, sondern mit Godard als Ausgangspunkt des Sprechens. Eher ein Von Godard aus sprechen. Und das kann dann auch ein gegen Godard sprechen sein. Es geht in diesem Buch nicht um Ahnenkult. Überhaupt nicht. Auch fehlt der explizite Kollegentalk. Der Gestus des Sich Einschreibens. ‚Von Godard sprechen‘ ist nicht eins dieser ‚Wie haben sie es gemacht, Meister-Bücher‘? Mein Name ist Truffaut… Oder wie Peter Bogdanovichs Ford-Buch, ein In-die-Lehre-Gehen, das zuallererst einen ‚Meister‘ profilieren muß. Es geht vielmehr ganz lakonisch um Arbeit. Um Arbeit und Liebe. Und Ihre Interdependenz.

Hinzukommt, daß ‚Von Godard sprechen‘ nicht betont ‚mündlich‘ ist. Da plätschern keine Dialoge. Der Text ist knallhart, die Beobachtungen sind extrem kondensiert. Wer will, kann mit der einen oder anderen Fußnote weiterlesen. Daß Silverman und Farocki auf einen Untertitel, der eine Gattungsvorgabe machen würde, verzichten, unterstreicht das. Es ist ein ganz normales anormales Buch. Was Farocki und Silverman zustandebringen, ist, ‚Schrift als Medium‘ auszustellen. In der Sprache des 18. Jahrhunderts: die allmähliche Verfertigung der Beobachtungen beim Sprechen und Schreiben. Und Filmegucken. Unser jeweiliges Konstruieren von Bedeutung.

Dabei ist das Buch in seinen Beobachtungen ungemein konkret. Etwas das Silverman und Farocki hilft, diese Konkretheit zu erzeugen, ist erstaunlciherweise (oder vielleicht sogar ausgerechnet) ein anderes Verfahren, das ich in Texten zu Filmen eigentlich nicht mag: die Paraphrase. Also Filmkritiken nach dem Stil: Bruce Willis geht in das Hochhaus und klettert in den Aufzugschacht. Jedes Kapitel in ‚Von Godard sprechen‘ ist als textchronologischer Durchlauf organisiert. Das sieht auf den ersten Blick langweilig aus. Bedeutungen entstehen scheinbar immer an der Stelle, an der sie in die Fabel eingelassen sind. Es gibt Großsignifikate, die sich in den einzelnen Aufsätzen nach und nach herausschälen – Güte, Seele, Erhabenheit, Erinnerung-, man kann auch einem ganzen Arsenal beiläufig eingeführter Großtheoretiker (Lacan, Derrida, Heidegger, Hanna Ahrendt) bei der Arbeit zusehen, entscheidender ist aber das dokumentarische Moment, das sich der Kontingenz plötzlich aufscheinender Detailbeobachtungen verdankt. Was dem Buch hier gelingt, ist ‚die Dinge des Films‘ zum Sprechen zu bringen: Seine Einstellungen. Eine Gliederung nach thematischen Blöcken würde hier nur neue Hierarchien begründen. Und die Details wieder invisibilisieren.

Das Verfahren bekommt dadurch etwas gekonnt Didaktisches. Eine Art lustvolle Einführung. Nicht, daß sie einfach zu lesen wäre. Ein Gespräch zu schreiben ist riskant. Das hier funktioniert. ‚Von Godard sprechen‘ ist ein tolles Buch. Wirklich mal eine echte Herausforderung.

“Von Godard sprechen” von Katja Silverman und Harun Farocki, Berlin 1998, Verlag Vorwerk, 258 S., 38.- DM