Protokoll
Die Erde als schönster Platz im All – die Geschichte von Norbert, die in Pfadfinder erzählt wird, endet mit einem Happy-End. Ob denn, so die einleitende Frage in der Diskussion, das Ende bereits bekannt war, als mit dem Dreh begonnen wurde. Georg Maas berichtet von seiner Freundschaft zu Norbert, die schon vor dessen Unfall bestanden habe. Die Geschichte habe ihn sehr bewegt, die Idee zu einem Film sei allerdings von seinem Co-Autoren gekommen. Dieser habe ihn darauf aufmerksam gemacht, daß es in Unterhaltungen mit Norbert plötzlich um Sinnfragen gehe [verwunderlich?]. Als Norbert nach Südafrika gefahren sei, um die Asche seiner Frau in ihre Heimat zurückzubringen, habe er sich entschlossen, mit der Kamera im Gepäck und selbstfinanziert mitzufahren. Dort habe er dann Gunnar kennengelernt, von dessen Freundschaft zu Norbert er zwar wußte, dessen parallel verlaufende Geschichte er bis zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht kannte. Die Veränderung in Norberts Leben sei zu Beginn des Filmes nicht abzusehen gewesen; das Ende der Geschichte habe er insofern also auch nicht gekannt.
Zur Schnittechnik und den vielen jump cuts befragt, wird der Cutter aufs Podium gebeten: Frank Behnke (Schnitt)
Das Material, so berichtet er, hätte durchaus in eine glatte Erzählstruktur eingepaßt werden können, allerdings glaube er nicht, daß man linear lebe. Jump cuts sehe er als eine Möglichkeit, dies anzudeuten. Außerdem sei dadurch eine Verdichtung erreicht worden.
Maas ergänzt, daß viele Szenen zu lang gewesen seien. Er habe es jedoch falsch gefunden, Aussagen seiner Protagonisten wegzuschneiden, lediglich die Pausen zwischen den Sätzen seien herausgenommen worden. Darüber hinaus würden sich Gunnars Aussagen, die zu verschiedenen Zeitpunkten aufgenommen worden seien, erst in der Montage zur vollständigen Geschichte zusammenfügen. Um sie im Fim erzählen zu können, sei eine Vermischung der Interviewsituationen notwendig. In diesem Fall habe es sich also nicht darum gehandelt, Narrationskonventionen zu durchbrechen, sondern den Film am Fließen zu halten.
Dieter Zeppenfeld bemerkt, daß den zerstückelten Bildern die durchgehende Sprache entgegengesetzt werde. Für ehrlicher halte er dieses Verfahren im Gegensatz zum Beschneiden des Materials am Anfang oder Ende, denn es gehe keine Information verloren.
Aus dem Auditorium wird festgestellt, daß trotz der formalen Zerstückelung keine Distanz zur Geschichte erzeugt werde, außerdem würde durch die Montage der Kitsch gebrochen. Emotionale Stellen, die konventionellerweise zum Verharren der Kamera führten, lösten sich auf. Punkte der Ruhe würden mit anderen Bildern (z.B. Landschaftsaufnahmen) zur Verfügung gestellt werden.
Emotionale Spannungen löst in der Diskussion hingegen Norbert Horschmanns Äußerung aus, es werde zu viel über Schnittechnik geredet. Er jedenfalls finde sich in Pfadfinder wieder. Immerhin, so aus der Gruppe der Kritisierten, sei die gelungene Zustandsbeschreibung Effekt der formalen Bearbeitung des Materials.
Die Musik wird in der Runde als weiteres formales Mittel thematisiert. Einige kritisieren, sie sei zu stark in den Vordergrund gerückt; mehr Originaltöne wären angemessener gewesen. Andere finden die Songs gut ausgewählt; sie seien zur Beschreibung eines Lebensgefühls präzise eingesetzt und würden deutlich machen, wie Menschen mit Musik umgehen. Bemerkenswert findet eine Diskussionsteilnehmerin, wie mit Musik auf Norberts Körper verwiesen werde: in einer Sequenz scheine er zu tanzen, obwohl es sich vermutlich um spastische Bewegungen handle, in einer andere stilisiere die Musik seine Bewegungen zum Slapstick. Sie lobt die “Leichtfüßigkeit”, in der mit Norberts Behinderung umgegangen werde.
Maas sei sich mit diesen beiden Sequenzen nicht sicher gewesen, bemerkt Horschmann, aber er habe ihn beruhigt, denn sie würden seinem Lebensgefühl entsprechen. Ziemlich bitter findet ein Diskutant, daß Gunnars Geschichte nicht weiterverfolgt werde. Seine Geschichte gehe nicht weiter, so Maas, die Ereignisse in Norberts Leben hätten mehr geboten. Zwar habe es noch Kontakte zu und weitere Aufnahmen von Gunnar gegeben, diese seien im Film jedoch nicht mehr unterzubringen gewesen.
Mit dieser Aussage widerspricht Maas seiner eingangs gelieferten Beschreibung, worum es in Pfadfinder gehe, nämlich um den Umgang mit Trauer. Der Trauerarbeit von Gunnar, der am Computer die Stimme seiner verstorbenen Frau bearbeitet, wird gegen Ende des Films kaum Raum gegeben.
Vielmehr erhält das Videotagebuch von Norbert und seiner neuen Freundin Victoria eine zentrale Rolle. Es sei eine bewußte Entscheidung gewesen, so Behnke, die ʻRealitätsebeneʼ zu verlassen und im zweiten Teil des Films mit der Authentizität der Videobriefe zu arbeiten. Die Art, in der Norbert und Victoria filmen, sollte belassen werden, daher sei auch auf die spezifische Schnittechnik aus dem ersten Teil verzichtet worden. Die Autorenschaft an die beiden zurückzugeben, hält ein Diskutant für eine gute Entscheidung.
Schließlich wird nach der Situation in Südafrika gefragt: Warum darauf nicht eingegangen werde. Maas räumt ein, daß es sich hierbei um ein “heißes Thema” handle. Die Geschichte habe eigentlich nichts mit dem Drehort zu tun, die wenigen Bilder von Schwarzen, die im Film enthalten seien, verstehe er jedoch als Hinweis darauf, daß es da eigentlich noch etwas Weiteres zu thematisieren gebe.
Die Endform des Films, so mehrere Stimmen aus dem Produktionsteam, sei wesentlich von den Produktionsbedingungen mitgeprägt: der Film sei nicht in einer normalen Drehzeit entstanden, so Annedore v. Donop, er sei vielmehr als jahrelanger Prozeß zu verstehen. Das Vergehen der Zeit sei beispielsweise auch in der äußerlichen Veränderung der Protagonisten zu erkennen. Maas hebt den direkten Zugang hervor, der auf seine Freundschaft zu den Darstellern zurückgehe. Schließlich weist Behnke auf die ungewöhn–lich große Freiheit bei der Produktion hin: es habe genug Zeit gegeben, sich auf das Material einzulassen (auch wenn er die 160 Stunden Material, die arbeitsteilig gesichtet wurden, bis heute nicht vollständig gesehen habe). Er sei Norbert sehr nahe gekommen (treffe ihn heute aber zum ersten Mal persönlich).
Das Lob zum Protokollabschluß stammt von einer Diskussionsteilnehmerin und geht an das Duisburger Team: die Programmierung des Films sei hervorragend und mache die Themen der vorangegangenen (Die Akte B. – Alois Brunner, vgl. Protokoll Nr. 12) und nachfolgenden (“Theresienstadt sieht aus wie ein Curort”, vgl. Protokoll Nr. 14) erträglicher.