Film

Par fom a passion
von Mike Wildbolz
CH 1997 | 80 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 22
1998

Diskussion
Podium: ?
Moderation: ?
Protokoll: Diana Ebster

Protokoll

Videobeamer können Bilder fressen. Das war Werner Ruzickas Einstiegshinweis zu einem Film über Jäger und Gejagte, über das Wild und ihre hungrigen Liebhaber.

Dennoch aber war die Bild-Gewalt von Par fom a passion nicht zu leugnen, und man muß nicht dies vielzitierte Gen besitzen, um die eindrucksvolle Macht des archaischen Spiels im Film zu spüren, auch wenn einige aus der Diskussionsrunde demgegenüber etwas blockiert schienen. Vielleicht weil der Film ein ganz anderes Verhältnis zwischen Mensch und Tier zeigt, als es die Wursttheke im Supermarkt gegenüber behauptet und man ahnt, daß jenes einem eigentlicheren entspricht.

Doch zu allererst zum Titel und der Idee zum Film, die auch in der Diskussion an erster Stelle standen:

Mike Wildbolz und Liana Piantini Piffaretti, von denen gemeinsam das Drehbuch stammt, waren beide fasziniert von Giovanni Lainis 1936 veröffentlichtem Roman „Il Braconiere del Sosto“ (dt: Der Wilderer vom Sosto). Diese Erzählung handelt von einem Jäger und dessen Liebesgeschichte in den Tessiner Bergen um den Sosto, der auch zum Zentrum von Par fom a passion wurde. Am Anfang stand der Plan, dies Buch zu verfilmen, als man dann aber in der Welt der Jäger ankommt, erkennt man, daß die Vorlage unnötig ist, denn der Stoff des Buches existiert dort ganz real.

Was Wildbolz und Piantini Piffaretti dann zu dokumentieren versuchen, sagt bereits der Titel des Filmes, der die Spannung zwischen Hunger und Passion bezeichnet, zwischen Begehren und Hingabe für eines der ältesten Existenzspiele der Menschen.

Dem Filmemacher am Rande dieser Welt, die er zeigt, ist sie auch emotional vertraut. Weniger vertraut schien sie dem Publikum, das z.B. wissen wollte, wieso man ein geschossenes Wild vor dem Transport ausnimmt, oder ob man ein Tier lieben kann, das man tötet…

Wiederholt auch Fragen zur Definition, was denn nun ein „ehrenhaftes Jagen“ und was ein „feiges und hinterhältiges Jagen“ sei, natürlich mit der These im Hinterkopf, daß doch alles Jagen niederträchtig sein müsse. Der Regisseur erzählte dazu von seinen mehrtägigen Wanderungen mit einem Wilderer.

Als Gegenposition bot Jutta Doberstein „ein selbst gehörtes Jägerlatein“: ein alter Jäger hatte ihr erzählt, daß er nach 30 Jahren Pirsch, das erste Mal ein Reh nicht richtig getroffen hätte. Er mußte also zu dem verwundeten Tier gehen, um es zu erschießen, und dabei sah er ihm in die Augen. „Wenn man sich nicht in die Augen sieht, kann man sich nicht verlieben, und er hat sich in das Tier verliebt. Von da an hat er nie mehr auf ein Tier geschossen.“ (Homer läßt grüßen: fällt einem dabei nicht die Geschichte von Achill und Pentesilea ein? Und sagt der Film eigentlich etwas anderes?)

Ruzickas schön gesetzte Frage nach der Analogie vom Jagen und vom Bilder-Schießen will wissen, ob sich nicht auch Wildbolz manchmal als Jäger gefühlt habe. Und Wildbolz wollte dies gar nicht von sich weisen, denn wenigstens in einem Fall hatte die Anwesenheit der Kamera und das Wissen um die Bilder, nach denen sie auf der Jagd war, auch zur Tötung eines Tieres geführt.

Dabei fragt sich nun natürlich spätestens jetzt, welche Szenen authentisch sind und welche inszeniert. Denn, das ist ja auch der Witz an der ganzen Sache: das, was der Film zu erklären versucht, ist ein verbotenes Ding. So wurde bei den Aufnahmen vermittelt zwischen Wilderern und Wildhütern und im Schnitt inszeniert. Die einzige authentische Jagdszene wird durch ihre deutlich unterschiedene Ästhetik unweigerlich sichtbar. Intensive Diskussionen entzündeten sich an jener Sequenz, die die gelungene Jagd des Wilderers und seine frisch aufgebrochene Beute im Dämmerlicht verhüllt. Was dort gezeigt wird, wird von mehreren Seiten als effekthascherisch kritisiert. (Komisch, dabei ließe sie sich auch als dunkel zärtliche Liebesszene zwischen dem begehrten Objekt und dem von ihm Besessenen lesen.)

Die Tierliebhaberfraktion im Publikum (konsequenterweise hoffentlich alle Vegetarier) aber war nicht zu beruhigen. Nicht nur Jutta Doberstein vermißte – jenseits allen Tötens – „das Elemet des Tierfilmes“, was mit Sicherheit wiederum kein Problem für die Gemse darstellt. Der Regisseur beteuerte etwas glücklos, auch diese Szenen könnte man in den Film eingebunden finden – offenbar aber waren sie nicht lieblich genug. Und so wiederholte sich der Ausdruck der Ratlosigkeit darüber im Publikum, was der Film eigentlich wolle.

Zum Ende der Diskussion brachte ein weniger verschreckter Zuhörer das schöne Bild der im Film inszenierten Sozialisation der Blickes auf das Wild, Sie führt vom Kleinkind, über den Jungen und den Wilderer zum alten Jäger und bildet einen Kreislauf der Faszination. Dem entspricht der Text eines der Hauptprotagonisten im Film, in dem eben dieses Motiv einer Tradition auftaucht.

Und dann fragte endlich jemand aus dem Publikum, ob denn das Gedicht, das vom Wilderer ganz zu Anfang des Filmes gelesen wird, sein eigenes sei. Und Werner Ruzicka schließt daran die Bemerkung an, daß diese Einstiegsszene an Fechners schon mehrmals zitierte „Commedian Harmonists“ erinnere, an deren ergreifendes und die Stimmung im Folgenden ganz entscheidend prägendes Bild.

Zur Information, es war das eigene Gedicht des Wilderers. Irritierend un-p.c. also, daß der Wilderer doch nicht nur als wilde Bestie, sondern auch mit Feinsinn ausgestattet erscheint. Aber tritt nicht schon der gute alte Montaigne in seinem 1605 erschienen Aufsatz über den Menschenfresser für den edlen Wilden ein? Par fom a passion tut dies auf seine Weise auch, zumindest aus der urbanen Perspektive. Den Menschen vom Sosto muß man solche Dinge nicht erst erklären. Aber die besuchen ja auch kein Dokumentarfilmfestival, und die Protokollantin nimmt sich hier grundsätzlich nicht aus.