Film

Nano Babies
von Thomas Imbach, Jürg Hassler
CH 1998 | 50 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 22
1998

Diskussion
Podium: ?
Moderation: ?
Protokoll: Heimo Schirgi

Protokoll

„Glückliche Fügung“ nannte Herbert Schwarze den Umstand, daß Nano-Babies im Anschluß an die Veranstaltung zum Thema Dramaturgie und Dokumentarfilm lief. Innovation und Experiment als mögliche Genrebelebung, Nano-Babies – eine Auftragsarbeit für den SRG (Anlaß: 150 Jahre Bundesverfassung) – als Mutbeweis der Öffentlich-Rechtlichen.

Der Schauplatz des Filmes, besser: dessen Uneindeutigkeit, sorgte bei einem Teil des Publikums für ein ungewisses Gefühl, die porträtierten Kinder seien Insassen einer Krebsstation, Gefangene in einer close-up Anstalt. Thomas Imbach stellt klar, daß die Kinder allesamt in der Krippe der Technischen Hochschule ETH Zürich gefilmt worden sind, wo deren Eltern als hochqualifizierte Wissenschaftler arbeiten. Hightech und Kinderwelt: Diese Dialektik spiegelte sich auch in den stark auseinandergehenden Meinungen im Publikum. „Infantile Sozialpädagogik der 70er Jahre“ kommentierte ein Diskussionsteilnehmer diesen Ansatz, Kinder- und Erwachsenenwelt zu kontrastieren. Imbach bleibt gelassen. Er wollte die teilweise noch non-verbale Sprache der Kinder einfangen, mit einem Minimum an Information interpretatorische Freiheit lassen. Der Blick soll nach vorne gerichtet werden. Science-fiction also. Deshalb auch das Filmformat (35-mm Cinémascope). Diese gestalterische „Unschuld“ wird von Teilen des Publikums angezweifelt. Die Montage sei doch alles andere als „unschuldig“. Die aufwendige Bearbeitung der Tonspuren ließe doch den Schluß zu, daß hier bewußt eingegriffen wurde. Ebenso wurden die Insert-Schnitte gesehen, die mit vorangehenden Bildern perspektivisch überlappen, dem Publikum also den Blick eines Kindes aufzwängen. Eine Diskutantin geht einen Schritt weiter. Was wir zu sehen bekommen haben, sei nicht der Kontrast zwischen Kinder- und Erwachsenenwelt, sondern der Gegensatz zwischen der Welt der Kinder und der der Filmemacher.

Jede/r sehe halt einen eigenen Film, so Imbach. Das Minimum an dokumentarischer Information habe ihn gereizt. Er wollte die Wahrnehmungen von Kindern zeigen, ohne, wie das häufig der Fall sei, Hoffnungen zu projizieren. Auch haben ihn die Umstände (Kürze der Drehzeit) gehindert, mehr Material zu sammeln. Grundsätzlich stehe er aber zum Film in der vorliegenden Form. Jutta Doberstein sieht gerade in der radikalen Minimalistik die Stärke des Filmes. Auch nach dreimaligem Sehen des Filmes sei der Zugang ein äußerst schwieriger. Den Kontrast zwischen Kinder- und Erwachsenenwelt sehe sie in einer der ersten Einstellungen ohne Schnitt hervorragend aufgelöst. Die Sicherheit des Kindes im Umgang mit der Kamera im Gegensatz zur Unbeholfenheit des Erwachsenen, der sich nicht recht traut, das Bild zu durchkreuzen. Auch die Spannung, so eine Stimme aus dem Publikum, sei bis zum Ende aufrechterhalten geblieben. Zur der ungewöhnlichen Nähe der Einstellung bemerkte Imbach, er habe das Augenmerk auf bestimmte Gesten lenken wollen. Gleichzeitig sei er beweglich genug geblieben, um etwas Kontext mitzuliefern. Auch beschäftigte ihn die Hierarchisierung von Körperteilen durch filmische Konventionen – der Film als Versuch einer subjektiven Annäherung an die Welt der Kinder.

Eine Diskussionsteilnehmerin zeigte sich erschrocken über die mangelnde Bereitschaft im Publikum, aktiv an Sinngebung zu partizipieren. Dem Film könne von außen kein Interpretationsraster übergestülpt werden.

Imbach hatte anfangs gemeint, in fünfzehn Minuten würde die Diskussion ausgereizt sein. Dies war keineswegs der Fall. Grenzen wurden zum Leitmotiv, Grenzen der Wahrnehmung, ontologische Grenzen, Toleranzgrenzen, Grenzen von Filmkritik.