Film

Trotz Umbau geöffnet
von Bernard Mangiante
DE/FR 1996 | 58 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 21
11.11.1997

Diskussion
Podium: Dagmar Jacobsen (Produktion)
Moderation: Werner Schweizer, Didi Danquart
Protokoll: Christian Steinhauer

Protokoll

„Ein starker Film“, so urteilte Werner Schweizer über TROTZ UMBAU GEÖFFNET, und schloß die Vermutung an, daß ein westdeutscher Filmemacher sich dem Thema vermutlich nicht so eindrucksvoll hätte nähern können.

Die anwesende Produzentin Dagmar Jacobsen schilderte zur Eröffnung der Diskussion kurz ihre Zusammenarbeit mit dem nicht anwesenden Bernard Mangiante: 1983 habe man sich über das Studium kennengelernt und beschlossen, in der gemeinsamen Filmarbeit aus der Enge Deutschlands auszubrechen. Es folgte dann eine intensive Zusammenarbeit u.a. bei der Produktion von LAGER DES SCHWElGENS (1988). Mangiante verbinde über die ehemalige linksradikale Kreuzberger Szene eine innige Freundschaft zu den Filmprotagonisten Max Muder und Uwe Abraham. In INVENTUR WEGEN GESCHÄFTSAUFGABE hatte Mangiante sechs Jahre zuvor Max und Uwe sowie die beiden ostdeutschen Protagonisten Gerhard Gundermann und Barbara Thalheim vor die Kamera gebracht – der aktuelle Film fragte nun nach einer (Weiter-) Entwicklung der einzelnen Biographien.

Was offensichtlich auch anderen Zuschauern aufgefallen war, brachte Werner Schweizer zu Beginn der Diskussion zur Sprache: die augenscheinlich unterschiedliche Intensität, mit der sich der Film einerseits den ostdeutschen, andererseits den westdeutschen Biographien zuwendet. War der „Tiefenbezug“ Mangiantes zu Max und Uwe etwa weniger stark ausgeprägt als bei den ehemaligen DDRlern? In ihrer Antwort spaltete Dagmar Jacobsen ihre Person und formulierte zum einen für Mangiante, der diesem „nur äußerlichen“ Eindruck sicherlich widersprochen hätte: die distanziertere Haltung den Westdeutschen gegenüber drücke eher eine besondere Verbindung und Nähe Mangiantes zu seinen alten Freunden aus. Als Produzentin des Films räumte sie aber ein, daß die Dynamik, welche der Film zum Ende durch die Stasi· Thematik gewonnen habe, den Anfang der Dokumentation (und damit die Westbiographien) dann doch dominiere. Von der Länge (der Filmdauer) auf die Gewichtung des Interesses zu schließen, so eine Stimme des Auditoriums, sei aber eine zu einfache Gleichung: wer länger redet, könne auch mehr verschweigen.

Der Eindruck einer unterschiedlichen Gewichtung wurde nun in der Diskussion auf eine klassische Ost· West-Problematik ausgeweitet: Didi Danquart fand es spannend, daß zwei ehemalige „IMs“ ohne Rechtfertigungszwang ihre (Stasi-) Vergangenheit relativ positiv thematisierten, während bei den gezeigten westdeutschen Altlinken einer solchen Reise in die eigene Geschichte etwas Anekdotisches anhafte. Auch Schweizer sah einen „qualitativen Unterschied linker Biographien“ in Ost und West angelegt: während bei linken Westbiographien Scheitern und Neuanfänge beliebig und wie eine „Spinnerei“ wirkten, so stelle sich das (gescheiterte) Arbeiten an einer „neuen Gesellschaft“ in Ostbiographien viel „ernster“, geradezu „handwerklich“ dar.

War man Mangiantes Film auf den „Leim gegangen“, indem die filmische Asymmetrie auf eine angeblich reale Asymmetrie übertragen wurde? – so jedenfalls eine Vermutung aus dem Auditorium. Aus einer intimeren Kenntnis der Autorenhaltung heraus widersprach zunächst die Produzentin einer vorgeblichen Beliebigkeit der westdeutschen Biographien. Vom Kreuzberger Linksradikalismus bis hin zur. gescheiterten oder geglückten Unternehmerexistenz ziehe sich eine Kontinuität utopischer Lebensentwürfe. Das mag für Mangiante und Jacobsen als in die Westbiographien freundschaftlich Eingeweihte klar sein, der Film jedoch, so eine Beobachtung aus dem Auditorium, offenbare ganz deutlich, wie etwa der dynamische Max im souveränen Plauderten vor Ikeaküchen-Kulisse sein Scheitern „cool wegdrückt“.

Also doch eine beabsichtigte, reale Asymmetrie? Themas Rothschild sah zumindest, daß den Ostprotagonisten ein „paradigmatischer“ Stellenwert im Film zukomme, Barbara Thalheim und Gerhard Gundermann stellvertretend für die Intellektuellen der ehemaligen DDR und ihre nachträglichen Kränkungen sprächen. Dagegen sei eine Westbiographie à la Uwe Abraham durchaus nicht repräsentativ. Abermals entstand eine kleine Verwirrung, ob diese Einschätzung nun vom Filmemacher geteilt (Dagmar Jacobsen widersprach dem) oder vom Rezipienten berechtigterweise so interpretiert werde (darauf bestand Themas Rothschild).

In TROTZ UMBAU GEÖFFNET jedenfalls sah Didi Danquart eine „unheimliche Kraft Bernard Mangiantes mit Menschen umzugehen“ verwirklicht. Gleichzeitig verweise der Film in seiner Interpretation auf die disparaten Topographien der Lebensgeschichten: im Westen (den „neuen Bundesländern“, so Conny Gundermann im Film) die in ihrem genauen Ort nicht zu situierende Single-Einbauküche, droben, im Osten, die geschichtlichen und gemeinschaftlich besetzten Orte der Arbeit und des Zuhauses.

Nun sollte auf die eingangs angesprochene Dynamisierung des Films durch die in Deutschland so schlecht zu führende Stasi-Debatte nochmals eingegangen werden – auch wenn man die Unverstelltheit eines ausländischen Blickes auf dieses leidige Thema in Duisburg bewunderte, so fiel es offensichtlich auch in der hiesigen Diskussion schwer, den Versuchungen einer ernsten, allzu ernsten politisierenden und personenzentrierten Diskussion zu entgehen und sich stärker auf die filmischen Qualitäten zu konzentrieren. Statt dessen wollte man Antworten auf die gängigen Fragen: Wann genau wurden die ersten enthüllenden Akten über die Stasi-Aktivitäten der Protagonisten geöffnet? Wie sind Thalheim und Gundermann damit umgegangen? Waren es nicht die Medien, die eine Relativierung des allgemeinen „Stasi-Geheules“ blockierten? Bernard Mangiantes Film jedenfalls, so der durchgängige Tenor der Diskussion, zeige, daß „man trotz Stasi-Vergangenheit ein anständiger Mensch sein kann“ (Rothschild). Mit einem abschließenden Schweigen nahm man dann Dagmar Jacobsens Information zur Kenntnis, daß diese Thematik etwa bei einer Diskussion in Frankreich allenfalls auf ein peripheres Interesse traf.