Film

Made in Hong Kong
von Luc Schaedler
CH 1997 | 75 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 21
13.11.1997

Diskussion
Podium: Luc Schaedler
Moderation: Jutta Doberstein
Protokoll: Judith Keilbach

Protokoll

Aus der Studienordnung des Faches „visuelle Kommunikation“: Das Studium kann mit einer schriftlichen Arbeit oder einem Film abgeschlossen werden.

Luc Schaedler hat sich für die letztgenannte Variante entschieden und den Film MADE IN HONG KONG abgeliefert. Er habe mit dem Filmen keine Erfahrung gehabt, ist in der Diskussion zu erfahren, und er sei beim Drehen völlig auf sich allein gestellt gewesen. Lediglich die Infrastruktur (Schnittplatz, Kopiermöglichkeit) habe ihm die Uni zur Verfügung stellen können. Ausgerüstet mit Videokamera und Monitor (Eigeninvestition) und mit abstrakten Vorstellungen darüber im Kopf, was im Film alles enthalten sein könnte, sei er losgezogen in die Stadt, deren Ambivalenz ihn schon seit Jahren beschäftigt habe. Einerseits habe er eine Liebe zu ihr entwickelt, andererseits aber nie das Gefühl der Fremdheit, des Ausgestoßenseins loswerden können. Daher nähere er sich der Stadt auch über Personen, die seine zwiespältige Haltung teilen.

Die Kühnheit, die der Regisseur selbst als Naivität bezeichnet, wurde in der Diskussion mehrfach anerkennend hervorgehoben. Wie er es geschafft habe, könne er .selbst nicht mehr verstehen. Er berichtet von den schwierigen Drehbedingungen, von der Ablehnung der Chinesen, die er zeitweise in einem derartigen Ausmaß empfunden habe, daß er von „Horror“ spricht. Erklärungen für diese Ablehnung liefert er mehrere, u.a. den potentiellen Gesichtsverlust, der für die Chinesen in der auf sie gerichteten Kamera stecke. Diverse Mißgeschicke, die ihm beim Drehen passierten, und seine Unsicherheit hätten jedoch das Eis gebrochen: „in return“ hätten sich auch seine Gegenüber einer für sie möglicherweise als entblößend empfundenen Situation ausgeliefert. Schaedlers Sensibilität, seine Bemühung, sich nicht einzumischen, reflektiert er in der Diskussion selbst noch einmal, wenn er davon berichtet, daß er anfangs in vielen Einstellungen die Köpfe abgeschnitten habe. Er sei nicht zu blöd gewesen, den Bildausschnitt auf dem Monitor zu überprüfen, vielmehr habe er davor Angst gehabt, in die Intimität einzudringen.

Sein Vorgehen beschreibt Schaedler sehr anschaulich: mit Gesprächspartnern habe er Vorgespräche geführt, am Drehtag dann die Kamera auf ein Stativ montiert, und sie neben sich stehend einfach laufen lassen, ab und zu einen Kontrollblick auf dem Monitor werfend. Die statischen Einstellungen des Films sind also auf pragmatische Gründe zurückzuführen. Aufnahmen von der Stadt habe er anschließend gesichtet und sich überlegt, welche abstrakten Begriffe, die sein Film über Hong Kong enthalten müsse, noch fehlten. Gleichzeitig habe er sich aber auch Orte überlegt, die er filmen wollte, und aus denen sich dann für den Film bestimmte Aspekte herausschälen ließen.

In der Diskussion dieses filmischen Gewebes verdeutlicht sich Schaedlers Vorhaben nochmals. Er habe nicht die Lebenssituationen der dort lebenden Menschen filmen wollen. Dafür habe er sich nicht kompetent gefühlt; er wollte sich vielmehr mit dem Gefühl der Fremde und den Projektionen über die Stadt auseinandersetzen. Diese Erkenntnis und Reflexion seiner eigenen Grenzen wird anerkennend gelobt. Mit den abgefilmten Fernsehspots habe er nicht eine soziale ‘Realität’ integrieren wollen, für die er keine eigenen Bilder fand; vielmehr habe er die Spots verwendet, um die Bilder, die es in der Stadt selbst über die Stadt gibt, zu thematisieren. Ein weiteres Beispiel für diese Darstellung des Dargestellten findet die Diskussionsrunde in den Bildern von Chinatown, die den Bildern aller Chinatowns und den Bildern, die man von Chinatowns im Kopf habe, angenähert sind. Der Filmemacher weist in diesem Zusammenhang auf das Wechsel- bzw. Austauschverhältnis von medial vermittelten Bildern und ‘Realität’ hin.

Auf die Einflüsse von Flaherty und Rouch befragt, distanziert sich Schaedler von den Debatten um den ethnologischen Film. Er habe sich im Vorfeld jedoch mit den Filmen von Chris Marker beschäftigt und sich verschiedentlich überlegt, wie dieser ähnliche Situationen filmisch aufgelöst habe (z.B. inSANS SOLEIL). Seine eigene Geschichte (des Films) wäre vielschichtiger gewesen und hätte deutlich komplexer und verwobener ausfallen können, nur habe er das Zusammenbringen des Materials nicht mehr leisten können. Die Auseinandersetzung mit Marker habe sicherlich seine Filmsprache geprägt, allgemein müsse jedoch das Filmesehen an sich schon als eine abstrakte Schulung des Blickes verstanden werden.

Die filmischen Annäherungen an die Stadt gleichen einige Diskussionsteilnehmer mit ihren eigenen Wahrnehmungen von Hong Kong ab, so z.B. die Ambivalenz von Nähe und Distanz, Dichte und Weite, die ständige Aktivität und Bewegung, die gerade in den statischen Bildern hervortritt, und das Gefühl des Beobachtens, das einem Reisenden bleibt, der überall nur blicken und Hinweise auffangen kann.

Ohne Hong Kong zu kennen (aber SANS SOLEIL liebend), fand auch ich die Atmosphäre, die der Film gerade in seinen wortlosen Teilen einfangt, sehr eindrücklich; Luc Schaedlers offener, auskunftsfreudiger und sehr dichter Bericht, in dem sich Beschreibungen der Filmpraxis, Selbstreflexionen, Kenntnis über die Geschichte von und das Leben in Hong Kong und filmtheoretische Gedanken vermischen, tat das Seine dazu.