Film

Noel Field – Der erfundene Spion
von Werner Schweizer
CH 1996 | 104 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 20
08.11.1996

Diskussion
Podium: Werner Schweizer, Hermann Field (Protagonist)
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Christian Steinhauer

Protokoll

Wenn in der Tragödie einer Familie bzw. einer einzelnen Biographie sich die „Tragödie eines Jahrhunderts“ (Hermann Field, Bruder von Noel Field) offenbart, so sind an die filmdokumentarische Aufnahme dieser Tragödie besondere Erwartungen geknüpft. Um es gleich vorwegzunehmen: Das große Publikumsinteresse an Werner Schweizers NOEL FIELD – DER ERFUNDENE SPION wurde, nimmt man die anschließende Diskussion zur Grundlage der Beurteilung, im Hinblick auf eine gelungene Arbeit zu einem solch „großen“ Thema nicht enttäuscht.

Daß eine lange und intensive Arbeit dem Film vorrausging, führte der Regisseur und Drehbuchautor auf Nachfrage Werner Ruzickas aus: Nach der Veröffentlichung seines Buchs über Theo Pinkus 1984 habe Schweizer die Geschichte des Noel Field nicht mehr losgelassen. Ein mit Pinkus anvisiertes Projekt, diese Geschichte in einer Art filmischer „Städtereise“ durch Europa festzuhalten, ging dem Film voraus, erste Gespräche mit Zeitzeugen ergaben sich 1991 in Budapest, eine Begegnung mit Erika Wallach (der Adaptiv-Tochter Noel Fields) wurde möglich. Erst 1994 öffneten sich für Schweizer die Archive der kommunistischen Partei und gaben die für den Film wichtigen Verhörprotokolle frei.

In diesem langen Prozeß der Annäherung (der gleichzeitig einem Wettlauf gegen den Tod der Erinnerungen durch Tod der Zeugen gleichkam), verwandelte sich Schweizer gleichsam vom Unwissenden zum Wissenden, Geschichten häuften sich an, die der Film in der jetzigen, gekürzten Fassung gar nicht vollständig wiedergeben kann. (Die Fülle des Materials hat Werner Schweizer in einem ergänzenden Video gesichert.)

Im Duisburger Programmheft wird der Film mit den „Qualitäten eines politischen Thrillers“ – recht reißarisch – etikettiert. Die historisch-politische Thematik jedenfalls berge auch immer die Gefahr, in „Wespennester“ zu stoßen (Ruzicka). Einer (historiographischen) Kritik etwaiger Ungenauigkeiten mußte sich NOEL FIELD bisher jedoch nach Aussage des Autors kaum stellen, da der Film „nur“ vor Festivalpublikum gezeigt worden sei. Daß Duisburg durchaus auch Ort einer solchen (präzisen, aber immer freundlichen) Kritik sein kann, bewies ein Kommentar aus dem Auditorium, der dem Film „kleinere zeitgeschichtliche Ungenauigkeiten“ und teilweise fragwürdige Parallelisierungen attestierte (als Bsp. wurde der Vergleich: Mc Carthy Ära – Slansky-Prozeß genannt) – es erging der väterliche Ratschlag an den Dokumentaristen „ da noch einmal durchzugehen.“

Klaus Kreimeier hatte in seinem Duisburger Vortrag den Versuch unternommen, das Politische für den Dokumentarfilm über den „Reichtum der Konnotationen“ des Begriffs wieder zu ermöglichen, und auch Dietrich Leders Ausführungen am Dienstag gingen in eine ähnliche Richtung. Reichtum der Konnotationen werde, so die durchgängige Einschätzung des Auditoriums, in Schweizers Dokumentation in einer Übertragung der stofflichen Komplexität (Noel Field als komplizierte Perönlichkeit) auf die Montage des Materials sichtbar – eine besonders intelligente Montage, in der sich Schweizers Gedankenarbeit spiegele und die „zum Denken anrege“, so Hans Stürm.

Eine nur einfach scheinende Gleichung also: Komplexe Person (Noel Field) + Montageintelligenz (Werner Schweizer) = komplexer Film (?). Zunächst reichte Schweizer das Kompliment an die Cutterin Kathrin Plüss weiter, der es zu verdanken sei, daß NOEL FIELD auch in der von ursprünglich 160 Min. auf 104 Min. gekürzten Fassung nicht an Qualität eingebüßt habe. Die Montage verhindere jede Tendenz ins Anekdotische, der Film mache Geschichte wirklich sichtbar, so Werner Ruzicka – auch gegen eine Unterstellung, derzufolge Dokumentarfilme über Geschichte + Politik gar nicht möglich sind. Nun hat der Fall „Noel Field“ Anlaß zu zahlreichen Publikationen gegeben, ist zu seiner Zeit Thema einer breiten Öffentlichkeit gewesen, so daß gleichermaßen Mystifikationen wie Moralisierungen drohen, denen Werner Schweizer trotz der Notwendigkeit, zu vereinfachen und zu popularisieren, in seiner Montagearbeit zu entgehen weiß (Stimme des Auditoriums).

Doch wer spricht eigentlich im Film? Durch welche Perspektive bündeln sich die Geschichten? Welche Funktion kommt einem Autoren zu, der von biographischen Verbindungen zu dieser politischen Geschichte sprechen kann? Läßt sich die Funktion Noel Fields für die Erzählung des Films als komplexität-bündelndes Nadelöhr oder als relativierender Streufaktor beschreiben?

Werner Schweizer wollte seinen Film durch die Person Noel Fields führen lassen – nur so ließ sich die Relativierung einer überaus komplexen Geschichte in den ZeitzeugenInterviews filmisch festhalten. Die Führung der Geschichte(n) durch Noel Field jedenfalls wurde im Publikum nicht als zu eng beschrieben, vielmehr lasse Schweizer viele Aspekte des Themas so anschlußfähig, daß die Produktion auch bei wiederheiter Betrachtung interessant bleibe, sich wie ein gutes Buch mehrmals mit Gewinn lesen lasse (Ruzicka).

Steigerung von Komplexität statt (filmischer) Reduktion, so Leders Eindruck zum Film, der nun den Blick auf die Frage lenkte, wie sich dieser Vorgang im Film in ein Verhältnis zu Konkretisierung und Versinnlichung von Gewalt setze. In den aus l’aveu montierten Sequenzen erfolge gleichermaßen Versinnlichung und Zerstreung des Blicks im Medium der Fiktion.

Dann die „Sensation“ (Leder): in der Mitte des Films erscheint Werner Schweizer. Das subjektive Moment des Films, sollte es hier augenscheinlich werde? Im Gestus der Bescheidenheit bestätigt der Autor seine biographische Einbezogenheit, doch ein „auktoriales Ich“ (Ruzicka) verbleibe im Angesicht einer „Kraft der Montage als Autorenhandschrift“ (ders.) im Hintergrund. Die Beobachtung einer zurückgenommenen Anwesenheit des Autors in seinem Film vermochte eine Zuschauerio nicht zu teilen: „Der Swiss kommt in der starken Emotionalität des Films rein“.

Die Rede vom „erfundenen Spion“ jedenfalls wurde in der Diskussion durchaus in ihrer Doppeldeutigkeit wahrgenommen: Nicht nur die dokumentierte Konstruktion einer Figur des „Super-Spions“ im Zeitalter des Kalten Krieges, der in seiner Paranoia solche Figuren erst erzeugt, sondern (und im Prinzip wohl gerade deshalb) auch die filmische Bearbeitung „erfinde“ die Person des Noel Field. Die vom Publikum im Film empfundene Prolotypik der historischen Person führt wieder auf jene Tragik von Identität und Differenz individueller und allgemeiner Geschichte zurück, auf jene Tragödie, von der Hermann Field in der Diskussion in sehr bewegenden Worten sprach. (Das Protokoll möchte an dieser Stelle – sorry – lieber direkt auf Hermann und Kate Fields’ Buch DEPARTURE DElA YED verweisen, um die Intensität der Erzählungen des Gastes in einer dafür ungeeigneten Textform nicht verschwinden zu lassen).

Weiterer Anlaß zu Diskussionen: Die Stimme des Noel Field in Schweizers Film (die eines amerikanischen Fernsehjournalisten europäischer Herkunft) wirkte auf einen Zuschauer „gespenstisch“ und dieser Eindruck rührte Von der Absicht des Autors, Noel Field annähernd authentisch und somit auch in seiner sprachlichen „Heimatlosigkeit“ zu dokumentieren: auch hier wieder des Autors Vorhaben, den Film „durch“ den Protagonisten zu führen und dem Film über dessen Stimme „eine Seele“ zu verleihen.

Daß NOEL FIELD – DER ERFUNDENE SPION von einem besonderen Geist beseelt war (und man diesen Geist später im Weine des Autors nachzuspüren wußte), fand in der Anwesenheit Hermann Fields eine schöne Bestätigung. Eine durchgängig wohlwollende Diskussion – und das nicht aus Gewohnheit.