Protokoll
Ein außerordentlicher Film von außerordentlichem Inhalt. Eine – auf ihre Weise – ebenso unvergleichliche Diskussion, die sich tapfer gegen die Schwerkraft irdischer Konkretheit zur Wehr zu setzen wußte. Wie geschieht was im All? Was passiert mit Menschen, die eine solche primäre Erfahrung durchleben? Wie kommt ein ‚freier‘ Filmemacher auf die nicht gerade leicht zu realisierende Idee, eine Kamera zur Dokumentation der kosmonautischen Wirklichkeit ins Unendliche zu schicken? Und wie kommt er an das reichhaltige Filmmaterial? Wie steht es eigentlich um die Sexualität im Weltraum? Gibt der Film Zeugnis von der Möglichkeit, transzendente Materialität zu beschreiben? Läßt sich der Film auch als Beitrag zur Glücksforschung betrachten? Und wie bloß denkt man im Weltraum über die Erde nach, auf der- in einer Entfernung von Tausenden von Kilometern -eine epochale Revolution stattfindet?
All diese Fragen wurden gestellt, viele Antworten gegeben, wenn auch nicht immer auf die Fragen bezogen, betrafen sie doch meistens exterritoriales und bezauberndes Gebiet.
Zum Treiben auf Erden:
Ujica kam die Idee zum Film, als er in einem Hamburger Nachrichtenmagazin auf die Notiz über einen im Weltraum vergessenen Astronauten stieß (daß dies eine Mär ist, in Parenthese). Die epochale Bedingung der Möglichkeit des Projektes war die Zeit des Umsturzes. Vor 1992 wäre das alles nicht machbar gewesen. Die persönlichen Bedingungen brachte Ujica auf die Stichworte: Manie, Zeit, Beharrlichkeit, Geld und Geduld. Am Anfang war also die Idee zum Film, aufgeladen durch die Ungeheuerlichkeit, daß, während sich auf Erden die Sowjetunion aufzulösen begann, Sergej Krikaljow – zwar nicht allein, aber über Monate hinweg – in der Schwerelosigkeit der Raumstation Mir lebte. So kam es zu Ujicas Vorhaben, diese Geschichte aus echten Bildern zu rekonstruieren. Sein vierzehnmonotiger Aufenthalt in der Fremde Moskaus, wo sein Filmessay entstehen und das Gesamtarchiv der Mission gesichtet werden sollte, wurde ihm selbst zur einer Odysee durchs Geheimnisvolle; als imaginärer Mitreisender hatte auch er Anteil an den Metamorphosen und Transformationen, die eine solche Extremsituation bei den Beteiligten auslöst.
Zum Wesen in Sphären:
Die Partikularität der sich als „heiß“ ausgebenden Frage, ob sich die „leider nur angetönte“ Sexualität zwischen den Männern in der Raumstotion denn irgendwie fortsetze, nahm sich ongesichts der durchgehenden Sinnlichkeit und Sensibilität des Films unverhältnismäßig aus. Aber Ujico wußte auch hier zu berichten: Die irdische Libido sorgt im Himmel keineswegs für Probleme, denn sie vergeht vor dem stärkeren Dosein der Schwerelosigkeit. („Gesetzt selbst es käme einer I und nähme mich an sein Herz…“). Die Faszination dieses Glücksgefühls ist offensichtlich so unvergeßlich und unvergleichlich, daß es Kosmonauten in ein suchtartiges Verlongen des Nocheinmal und Immerwieder versetze. Das zweite wesentliche Foszinosum des Alls sei der Blick auf die Erde: Kosmonauten begeben sich in jeder freien Minute ans Fenster.
Und da der Film diese beiden Phänomene und so manches mehr zu transportieren vermochte, verließ das Gros des Publikums den Diskussionsraum – noch immer in Trance.