Film

New York Taxi Driver
von Reiner Holzemer
DE 1995 | 55 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 19
08.11.1995

Diskussion
Podium: Reiner Holzemer
Moderation: Constantin Wulff
Protokoll: Torsten Alisch

Protokoll

Skurrile Dokumentationen übers Taxifahren sind gut verkäufliche Medienklischees: flugs eine versteckte Kamera installiert, die die grellen Außenseiter der Gesellschaft (Transvestiten, Drogenabhängige, Kriminelle) voyeuristisch präsentiert – ein Bild, das 99% der sozialen Realität ausblendet …

… vom sicheren Sessel aus den thrill sehen: Einmal im Leben in die Bronx fahren…

… der mythische Titel dieses Films weckt Erwartungen und Erinnerungen an de Niro…

… und die Stadt New York kokettiert nach außen hin mit den Yellow Cabs wie mit dem Empire State Building oder der Freiheitsstatue.

Reiner Holzemer nähert sich in seinem Film den eigentlichen Akteuren der Straße, jenen, die diesen Mythos als blanken Job verrichten: schmutzig & hart, 12-StundenSchichten, Schwerstarbeit und auf der gesellschaftlichen Leiter ganz unten stehen – „eine multikulturelle Gesellschaft“ der Straße, anhand derer sich olle Einwanderungswellen der USA nachvollziehen lassen. Derzeit üben diesen Job zu 80% Flüchtlinge aus Pakistan oder Bangladesch aus, was im Film ober nicht weiter thematisiert wird, weil Holzemer keinen „allgemeingültigen Informationsfilm über das New Yorker Taxigewerbe“ drehen wollte, sondern sich ausschließlich der Fahrerflotte/fleet von Anne’s Service nähert- die für ihn ein Unikum im New Yorker Taxidschungel darstellt, wo er sich „wohlfühlte“ und ein gutes Arbeitsklima, Autos in gutem Zustand und interessante „Typen“ vorfand.

Der pakistanische Taxi Driver im Trainingsauto ist eine relativ neue Einrichtung, um das ramponierte Image dieses Gewerbes wieder etwas aufzupolieren: wie im Film zu sehen, war der normale Taxischein bisher problemlos in ein bis zwei Togen zu machen, ohne jemals selbst am Steuer eines Yellow Cabs gesessen zu haben – mit den von den Fahrern selbst geschilderten folgen (von Werner Ruzicka liebevol learning by killing genannt).

Der kettenrauchende Taxi Driver Alex ließ die Frage aufkommen/ ob es die Interviewsituation vor laufender Kamera war, oder doch nur Speed, die ihn zu solcher Höchstform animierte? Reiner Holzemer hatte ihn ein Jahr vorher ohne Kamera kennengelernt, und auch da redete er den ganzen Tag wie ein Showmaster- der eigentliche Traum des ex-Punk-Musikers Alex, auf Anregung eines Fahrgastes, ist eine eigene Talk-Radio-Show I – wie überhaupt viele der weißen Fahrer von hehreren Zielen träumen: Lebenskünstler, Schauspieler, Arbeitslose, Studenten, Künstler und Musiker, die diesen Job so schnell wie möglich an den Nagel hängen wollen (bei Holzemers ersten Recherchen in Anne‘s Service waren es denn auch gleich fünf Schauspieler, die ihre Chance gekommen sahen, den Taxijob alsbald gegen eine Filmrolle eintauschen zu können).

Im Gegensatz zu Roadmovies, die einen wie-auch-immer-gearteten „Aufbruch“ zeigen, fühlte sich Constantin Wulff bei diesem Film immer an „in the street“ erinnert/ an eine Kreisbewegung in der Stadt, immer und immer wieder dieselben Orte, den Times Square ‚zigmal rauf und runter. Holzemer erklärte dieses street Feeling mit der Faszination der Fahrer vom „permanent in Bewegung sein wollen“, dem cruising, und mit den nur etwa 10 lukrativsten Avenues in Man hatten, die die Yellow Cabs außerhalb der rush hours hoch und runter rasen, um an Fahrgäste zu kommen – und letztlich auch als eine Folge der schlechten Straßenverhältnisse in New York, die eine ruhige Kamera nur auf wenigen Hauptverkehrsstraßen erlauben, so daß im Hintergrund fast automatisch immer wieder dieselben Ecken auftauchen.

Zum Konzept des Films erläuterte Holzemer, daß es bei den Aufnahmen grundsätzlich eine Interview-“ und eine „Beobachtungssituation“ gab, wobei bei ersterer ausschließlich das Team (vorne und hinten) im Auto saß, während beim “ Beobachten“ lediglich der Kameramann vorne hockte und hinten Fahrgäste zusteigen durften (Fahrgastaufnahmen verwendete Holzemer ober nur in drei Szenen, weil er nicht das oben beschriebene Medienklischee bedienen wollte, und Fahrgäste nun einmal zu 99% normal bis banal sind). Interviewpartner im Auto reden oft sehr offen, weil das Auto einen sehr abgeschlossenen und privaten Raum bildet – den Kamerablick ausschließlich auf den Fahrer zu richten, funktioniert filmisch aber nur, wenn die außen vorbeihuschenden Motive interessant genug sind und die Interviewten eine wirkliche Präsenz ausstrahlen.

Die Frage nach dem Gelb der Yellow Cabs blieb unbeantwortet; wahrscheinlich hatte bis in die 40er Jahre jede Flotte/fleet ihre eigene Farbe, bis der Bürgermeister ein einheitliches Aussehen beschloß.

Constantin Wulffs Abschlußthese, daß man in diesem Film „dem strengen Kapitalismus bei der Arbeit zusehen“ könne, wurde von anderen nicht geteilt, eher sei es der Traum vom Individualismus, der American Dream, der hier in Bilder umgesetzt wurde: „Vom Taxifahrer zum Millionär“.