Film

Gratian
von Thomas Ciulei
DE/RU 1995 | 45 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 19
09.11.1995

Diskussion
Podium: Thomas Ciulei
Moderation: Werner Schweizer
Protokoll: Antje Ehmann

Protokoll

Ein sich über weite Strecken im Beliebigen verfangendes, wiewohl angeregtes Gespräch über einen Film, der vor allem durch seinen skurrilen Protagonisten und den selten zu sehenden Schauplatz Rumänien bestach und faszinierte. leider wurde erst allzu spät das Zerfaserte verlassen und dem Filmemacher die Möglichkeit gegeben, von seinen interessanten Gedanken, Reflexionen und Erlebnissen zu berichten.

Zunächst fiel die natürlich brennende Frage, wie der Filmemacher zu seinem Sujet gekommen sei.

Ciulei hat über mehrere Ecken und Enden von dem werwolfgläubigen Dorf in den Westkarpaten gehört und sich dorthin aufgemacht, um den für einen Werwolf gehaltenen Gration kennenzulernen. Zweimal hat er für drei Wochen die Reise zu Filmvorbereitungen angetreten, die u.a. darin bestanden, einen Bauern und ein Mädchen des Dorfs in der Tontechnik zu üben, und vor allem nötig waren, um Gration genügend gut kennenzulernen. Der Film ist dann in 60 -70 Drehtagen entstanden.

Nach einer Kette von Bemerkungen des Auditoriums zu dieser und jener Einzelheit, die man sah oder nicht sah, sowie zu einzelnen Konnotationen einzelner Bilder verlagerte sich das Gespräch auf die Frage nach der Funktion, dem Sinn und Ernst der Rolle des Werwolfs, die Gration in dem Dorf spielt.

Die Leute- so erläuterte Ciulei- würden Figuren wie den Werwolf zur Erklärung diverser Phänomene benötigen. Insofern habe der Werwolf dieselbe Funktion wie der ebenso vorherrschende Glaube an Geister und Dämonen, die ja auch für alles mögliche Geschehen im Dorf verantwortlich gemacht würden. Auf diesen Mechanismus sei auch die Tatsache zurückzuführen, daß der vorwiegende Teil der Bewohner dem bettelnden „Werwolf“ freiwillig ihren Obulus entrichten, denn damit, so das Verständnis der Leute, sichern sie sich ein Plätzchen im Himmel. So regele das Funktionieren des Bettelns auch die jeweiligen sozialen Beziehungen. Spender sind himmlische, Geizer höllische Wesen. Signifikanterweise könne Gration übrigens den Popen des Dorfes nicht ausstehen, da dieser einen Bienenstock hat, ihm aber keinen Honig schenkt. Das romänische Dorf lzbuc kann also, aufgrund der hier noch anzutreffenden, unproblematichen Koexistenz von Religion und Magie, ein mittelalterliches Dorf des 20. Jahrhunderts genannt werden.

Die einzige Kontroverse ergab sich bezüglich der ersten Filmszenen:

Mehrere Zuschauer waren schockiert über die Eingangssequenz des Films, da diese so organisiert war, daß sie auf zwingende Weise Assoziationen zur nationalsozialistischen Praxis der Schädelvermessung und Rassenbeobachtung freisetzte. Für einige hat sich der Sinn und Zweck dieser Sequenz im Laufe des Films, der Gration ja in sehr umsichtiger und sensibler Weise portroitiert, ergeben; für andere wollte der Schock über diese als Einführung in das Filmthema gedachte Possoge nicht weichen.