Film

Baby I will Make You Sweat
von Birgit Hein
DE 1995 | 63 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 19
09.11.1995

Diskussion
Podium: Birgit Hein
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Torsten Alisch

Protokoll

Zuerst die Protokollantenpflicht für Professor Dietrich Leder („Bitte ins Protokoll !!“):

a) Ich hasse das Filmen/ (Birgit Hein)

b) Ich habe eine gesunde Campingtradition. (dito)

c) Der Mann als der ideelle Gesamtgeier. (Eva Hohenberger)

d) Eine Professorin in kreatürlicher Umgebung. (Werner Ruzicka)

e) Dieser Film hat mein Leben grundlegend verändert. (Birgit Hein)

f) Genau so, wie im Film, war es natürlich nicht/ (alte Dokumentarfilmweisheit)

g) Ich will, daß man lange auf diese Bilder kuckt. Ich will’s so machen wie ich will.

(alte Experimentalfilmweisheit)

Zwei erlebnisvolle Reisen in die Männerwelt Jamaicas („ein dicker schwarzer Schwanz in meiner Votze“) ließen bei Birgit Hein den Plan reifen, darüber einen Film zu machen. Für ihre dritte Reise bewaffnete sie sich mit einer Hi 8-Kamera (wobei der auslösende Kaufgrund aber Lover Joe war, der endlich ein Video über sich haben wollte, weil in Jamaica das Filmen fremder Menschen ein Tabu darstellt – selbst Kinder lassen sich nicht freiwillig filmen – was u.a. aus der Voodoo-Tradition resultiert, daß, wer ein Bild von jemandem besitzt, auch die abgebildete Person besitze): „Aus einer Bildverweigerung entstanden so Bilder der Verweigerung“ (Birgit Hein), von Video auf 16mm abgefilmt, und dann noch einmal von Film auf Film kopiert, „von der technischen Machart kalkuliert bis ins letzte Detail“.

Werner Ruzicka brachte den Begriff des Naiven in die Diskussion, daß die Bilder nämlich so bearbeitet und verwendet werden, daß kein Bild – auch nur zufällig – irgendjemanden denunziert oder gor „den Körper feiert“. Diese Bilder sind organisiert, Segmente werden rausgenommen und neu angeordnet, besonders schön zu sehen in der Wake-(Totenwoche)-Szene, wo nur der „Rand“ des Geschehens sichtbar ist, das aber auf eine sehr intensive Art & Weise.

Gelobt wurde: die Sentimentalität, die aus den Körpern regelrecht rausbricht, diese Grenze, die der Film zeigt und auch, daß das Erschreckende an solchen Empfindungen / Erlebnissen sichtbar wird. Ein Raum der Sehnsucht und des Begehrens tritt hervor.

Birgit Hein will mit diesem Film zeigen, was Frauen in ihrem Alter (geb. 1942) bewegt: sie spürt, daß Frauen in diesem Alter zur Randgruppe mutieren, die „endlich mal aufhören sollen ‚daran‘ zu denken“ • Das Thema der weiblichen Alterssexualität ist für’s große Publikum eines der letzten Tabus, und Birgit Hein möchte gerne zu Diskussionen anregen: „Was einen selbst beschäftigt, muß auch über den privaten Kreis hinaus diskutiert werden können!“

Werner Ruzicka konterte, daß es hier doch gewisse Parallelen zum thailändischen Sexbombertourismus gebe, wo sich jemand für ’ne Weile aus der Welt „ausklinken“ möchte (Zitat d, siehe oben). „Ich zeige aber auch, wie schwer & problematisch solche Beziehungen sind“, verteidigt Birgit Hein ihr Werk, das ja keine „heile Welt“ präsentiert, sondern mit Blitzlichtgewitter & viel Schwarz zum Ende kommt. Sie ist zufrieden mit ihrem Werk und selbst die Verwendung banalster Bild-Gefühls-Klischees (zu Beginn Schnee & Alleinsein, am Ende Sonnenuntergang & Glück) kann als gelungen gelten wie Professorenkollege Büttenbender aus Braunschweig nach der Uraufführung versicherte. Aus der Einsicht des Nicht-ganz-verstanden-worden-seins in vielen bisherigen Diskussionen, hat Frau Hein aber den Entschluß gefasst, demnächst einen zweiten Film zum Thema zu machen, der die Hintergründe mehr aufrollt.

Zwischendurch ging’s kurz um das scheinbar einfach-idyllische Leben in solchen Gesellschaften, was sich aber nur zu leicht als Illusion erweist (Zitat b, siehe oben), wozu auch die romontische Idee von Wenderkinos gehört, die in der 3. Weh längst durch mobile Videobeams ersetzt sind.

Zur Produktion des Films: Zitat a (siehe oben), deshalb gab es auch wenig Material und gar nicht allzuviel Variationen für die Montage der Bilder. Der Film wurde stumm geschnitten und dann den Musikern mit einigen O-Tönen aus der Hi 8-Kamera übergeben, die diese Töne elektronisch imitiert in den Soundtrack einbauen sollten, ohne allerdings den Text zu kennen, der dann als letztes über die Töne gelegt wurde. Erstaunlich für alle, daß schon die erste Fassung des Soundtracks so perfekt zu Bildern und Geschichte passte („sowohl zurückdrängend wie erhöhend“, Werner Ruzicka) – lediglich an einigen Stellen klang der Sound in Birgit Heins Ohren zu schwermütig und wurde dann etwas „profaner“ gemocht. Der Text selbst ist an ihr wirkliches Tagebuch angelehnt, aber die gesamte Geschichte ist natürlich fiktiv: Zitat f (siehe oben).

Während das Bild-Niveau dem Avantgardefilm der 40er Jahre entspricht, kritisiert Professor Dietrich Leder, erreicht der Text das Niveau des mittleren 19. Jahrhunderts, wo ein holperndes Subjekt sich umständlich erklärt.

… Pause … (gegen 2 Uhr früh) …

Einem schwyzer Zuschauerist der Text „zu brachial“ („bis an die Schmerzgrenze!“) und der „melodramatische Duktus“ des Soundtrack nur „schwer erträglich“ („bei seelischen Dissonanzen ist musikalisches Gequietsche zu hören“).

Werner Ruzicka stellt die unbeantwortet bleibende Frage, wieso der Text so eindeutig ist, während auf die Mehrdeutigkeit der Bilder so viel Wert gelegt wird („Bilder der Verweigerung“, siehe oben)? Birgit Hein erklärt, sie hätte gern dem Text adäquate Filmbilder gemacht bzw. weiß schon, wie sie diese Bilder im zweiten Film machen wird.

Am Ende moniert noch eine Sprachliebhaberin den Filmtext wegen der zu häufigen Verwendung der ungenauen Begriffe „unheimlich“, „unglaublich“ und „irgendwie“.