Film

Phoolan Devi – Rebellion einer Banditin
von Mirjam Quinte
DE 1994 | 80 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 18
09.11.1994

Diskussion
Podium: Mirjam Quinte
Moderation: Werner Schweizer
Protokoll: Judith Klinger

Protokoll

Wo Dokumentarfilme Bilder aus der Fremde entfalten, konzentriert sich das Gespräch zumeist auf das Bedürfnis noch – zusätzlicher – Information über Unbe~~mntes, über die Arbeitsbedingungen der Filmemacher, werden zuschauerseitig Überraschungen formuliert: Das Bild von der Fremde- hier: Indien – hat sich verändert, verschoben, und statt Antworten vorzuschreiben scheint der Film eine Vielfalt neuer Fragen wenigstens nahezulegen, was zweifelsohne für ihn spricht. Phoolan Devi, die Fortschreibung ihrer Geschichte über den Film hinaus, steht zuerst im Zentrum des Interesses: Zeitgleich mit der Fertigstellung des Films kam es zur Entlassung Phoolans aus dem Gefängnis, mittlerweile hat die Banditin die Rechte an ihrer Lebens-Geschichte einem französischen Verlag verkauft, seither ist sie schweigsam geworden. So setzt sich fort, was der Film in seiner Kombinatorik unterschiedlicher Perspektiven artikulieren will: Nicht die eine Wahrheit, sondern die Bündelung von Geschichten über eine Figur, unter denen Phoolans eigener Bericht nur eine mögliche Sichtweise – nicht mehr und nicht weniger – bildet. Die Heidin, Banditin, vergewaltigte Frau in der Rolle einer Rache-Göttin erscheint im Prisma der Sichtweisen und Erzählmuster: fiktionalisiert, formuliert ein Zuschauer, der sich mitunter fragen mußte, ob diese Person, von der ständig die Rede ist, überhaupt existiert. Ein anderer halte die echte Phoolan Devi denn auch zuerst für eine weitere Phoolan-Dars1el!erin gehalten. Jetzt also – in der Wirklichkeit- ist deren Geschichte ins Eigentum eines Buchverlags übergegangen, wie um zu bestätigen, was die Erzählstrategie des Films zu erkennen gibt: daß die reale Person nur Anteil hat an der eigenen legende, ohne vollständig in ihr aufzugehen. Dies perspektivierende Verfahren des Films, so Mirjam Quinte, funktioniere indes nur, weil Phoolon Devi tatsächlich selbst präsent ist, weil ihre Schilderung neben den anderen steht/ unterscheidbar, aber nicht privilegiert.

An diesem Punkt wird – zurückhaltend- Kritik angebracht: Eine Zuschauerin wünschte sich geneuere Einblicke ins Gemüt Phoolon Devis, ihre Empfindungen und den nur erahnbaren Zwiespalt ihres Selbstbildes. Mirjam Quinte schildert in diesem Zusammenhang die schwierigen Bedingungen eines Interviews im Gefängnis, das nur in den Zwischenräumen der Halblegalität möglich war. Eine indische Mitarbeiterin führte das Gespräch mit Phoolon Devi unter Zeitdruck/ das so entstandene Material mußte im Diplomatengepäck außer Landes geschmuggelt werden. So konnte die Filmemacherin, die auch sonst den Gesprächsfluß nicht durch störende (Rück-) Übersetzungen unterbrechen wollte, nicht alle Fragen stellen, die ihr vorschwebten . Allerdings weisen bestimmte Antworten darauf hin, daß monehe Fragen ins Leere gehen müssen: Phoolan Devi etwa beschreibt ihr leben nicht über die emotionalen Zustände, sondern als gelebte Praxis. Hier geht es also um den europäischen Blick, der andere Zuordnungen vornimmt und auf Irritationen stößt. Mirjam Quinte versteht den Einsatz einer indische Anklänge dezidiert vefmeidenden Filmmusik als Hinweis auf diese Außenperspektive einer Annäherung an Fremdes, die sich nicht als ethnologische tarnen will. Irritationen beschreiben verschiedene Zuschauer: über die Fülle der Perspektiven, der ungewohnten Zusammenhänge, die sich auftun, der anderen Kategorien, die das Derken strukt;Jrieren. Am überraschendsten vielleicht: die Doppelgesichtigkeit religiöser Frauenbilder; neben der treu-gehorsamen Ehefrau steht eben auch der Typus der rächenden Durgo-Kali, mit dem Phoolan Devi immer wieder identifiziert wird. So ist denn vielleicht auch die Verletzung eines anderen Tabus durch die Banditin entscheidender als ihr Zugriff auf männliche Handlungsbereiche: Als Frau der unteren Koste habe sieMännereiner höheren Kaste getötet, betont Mirjam Quinte, und offiziellerseits am Filmprojekt geäußerte Bedenken richteten sich auf die Möglichkeit/ ein Propagandafilm für die untere Kaste könne entstehen. Irritierend aber auch, doß Polizisten und Banditen, wie die Filmemacherin beschreibt, als „zwei Seiten derselben Geschichte“, statt als oppositionelle Kräfte erscheinen; daß Räuberbanden und deren Anführer/ trotz der ganz realen Gefahr, die sie für Dorfbewohner darstellen, zugleich den Status von Volkshelden haben.

Die filmische Form kommt hier nur in einer Diskussion über den Umgang mit verfremdeten Bildern und den Einsatz des Kommentars detaillierter zur Sprache. Geteilte Meinungen über refrainartig eingestreute Aufnahmen von Geiern und einem ziegenhütenden Mädchen werden artikuliert: Während der eine die interpretative Haltung und die Redundanz symbolischer Vereindeutigung für eine eher ärgerliche Zutat hielt, widersprachen andere Zuschauer mit Hinweis auf die Möglichkeiten des Nachdenkens und der assoziativen Spielräume, die solche Bilder eröffnen. Den Kommentar, der verschiedentlich als bloße Verdoppelung oder verengende Übersetzung der Interviews gesehen worden war, versteht Mirjam Quinte als Anknüpfungspunkt für eigene Reflexionen. Auch dies also eine Strategie, jene Distanz, die dem in die Fremde gerichteten Blick zueigen ist, spürbar zu machen.