Film

Trans/Tpahc
von Peter Braatz
DE 1993 | 95 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 17
11.11.1993

Diskussion
Podium: Peter Braatz
Moderation: Dietrich Leder, Werner Ružička
Protokoll: Torsten Alisch

Protokoll

Trans, also bewegen, durchmessen, durchschreiten, oder in seiner russischen Bedeutung: Versenkung, Vertiefung. Oder auch wenn einer zuviel Wodka trinkt, dann ist er trans. Der Begriff geht bis ans Ende der Weit, und dieser Zug fährt fast 10000 Kilometer geradeaus, in eine Richtung, auf einem Breitengrad entlang. Man kann nicht mehr abspringen, es kann eine Drogenkarriere sein oder die Fahrt in den sibirischen Knast. Ein Film, der darüber nachdenkt, was am Ende dieses Jahrhunderts kommt, und durch die Augen eines schlafenden Mädchens blicken wir ins 3. Jahrtausend. Ein Film bis ans europäische Ende, dahinter ist dann Japan, aber dazu wäre ein Fernglas notwendig, und das wäre auch nur Amerika im Quadrat. Das hatte sich Peter Braatz überlegt. Er hatte auch eine Schauspielerin dabei, es sollte ein Dokumentarfilm werden, der sich zu einem dokumentarischen Spielfilm entwickelt.

Das hat aber alles nicht funktioniert (auch wegen der Schauspielerin und ihm), und so sehen wir vom 3. Jahrtausend nur die Reste einer schlafenden Frau. Auf dem Plakat zum Film sind es kleine Plaketten aus Glimmer, einem russischen Gestein, das die Mädchen am Baikaisee als Schmuck tragen, der klappert und den sie dann beim Tanzen verlieren. Am Anfang sollte ein roter Vorhang sich öffnen, so wie in Blue Velvet ein blauer Samtvorhang eine Fahrt zu den Abgründen dieser Welt eröffnete. Mit einem Streichorchester sollte es beginnen, und ein Freund hatte sphärische Gitarrenmusiken entwickelt, ein Berg von Musik lag bereit, ein halbes Jahr Musikarbeit, alles in russischer Melodik komponiert und zum Teil in Prag aufgenommen, viele wunderbare Sachen. Und dann hat der Schnitt olles verändert.

Eine Art von Clip-Ästhetik will jemand gesehen haben, die dramaturgische Endlosigkeit eines MTV- statt ARTE-„Themenabends“ soll da.. aufgeschimmert sein. Nein, sagt Peter Braatz, dieser Film widerspricht völlig der MTV-Ästhetik – wie auch der Dokumentarfilm-Ästhetik: Auf vielen Dokumentarfestivals abgelehnt, mit der Begründung: Für’s Publikum is das nix!

Der normale Eisenbahnfilm zeigt die Bewegung des Zuges durch drei Blickrichtungen: links raus, rechts raus oder hinten raus. Hier setzen sich aber Bilder durch Musik in Bewegung, Beschleunigung entsteht durch Sound. Und einzig im Speisewagen kuckt man nicht quer raus, sondern in den Raum hinein. Bei den von der ewigen Sinnsuche schwer Geschädigten tauchten schon längst keine Fragezeichen mehr auf, aber hier stellt sich die Frage: Wann guckst Du aus dem Zug raus und mit wem redest Du? Wenn man aus dem Fenster guckt und was sieht, ist es ja schon vorbei. Man kann also nur zufällig was einfangen, also auch nur zufällig interviewen. Die russische Seele ist zwischen den Zeilen im Material enthalten, und auch der Umwälzungsprozeß, der während dieses Films in der Sowietunion stattfand, ist im Film: Eine Fahrt auf der transsibirischen Eisenbahn zu einem Zeitpunkt, als die Sowjetunion aufgehört hat zu existieren. Oder der Reisende, der stundenlang aus dem Fenster blickt und irgendwann zu träumen beginnt: entweder in der Erinnerung oder als Vision. Aber was wird man cis Europäer in der Taiga träumen? Peter Braatz hatte an Staus gedacht, an riesige Baustellen in überfüllten Großstädten, aber dann findet er Aufnahmen von Paris, sterbende Elefanten und ein kleines Kind. Und einen Menschen, der nach Taiga fährt, ein GenreBild vom russischen Menschentyp, ein Russe, der seine Frau geschlagen hat und nun in Sibirien verhört werden so!l, mit der Aura und der Sprache des jungen Alain Delon, so wie sich ihn Peter Braatz vorgestellt hat.

Jemand hat den Film gern gekuckt, trotz der wilden Mischung von Stilen und Bildern, er vermisst aber das Anhalten, die Pausen, und dann das Weiterreisen, und vielleicht wurde auch das Element des trans zu früh eingeführt. Peter Braatz erzählt von 80 Kilo Filmmaterial, von 80 Kilo Geräten und den ganzen persönlichen Koffern, die vier Leute dabei hatten, und dann steht man am falschen Bahnhof und erreicht den richtigen Trans-Express 5 Minuten vor Abfahrt. Es war seine erste Fahrt mit dieser Eisenbahn, was hätte eine „Recherche“-Fahrt da schon ergeben sollen, wenn der Blick aus dem Fenster im Moment der Wahrnehmung schon Vergangenheit ist. Der KameraBlick in diesem film ist der Augenblick: wenn die Kamera ins Abteil kuckt, das Geschehen nicht sehen möchte und sich dann beschämt abwendet. Selbst die grundsätzlichsten Filmregeln, nämlich daß ein Vorbeirauschen der Landschaft von links nach rechts eine Vorwärtsfahrt imaginiere, und von rechts nach links eine Rückwärtsfahrt, löst sich in frans auf: Alles Logische mußte über Bord geworfen werden, und so wird auch das Motiv des Wassers zum Symbol der Endstation einer Zugfahrt.

 Werner Ružička, Peter Braatz, Dierich Leder v.l. © Ekko von Schwichow
Werner Ružička, Peter Braatz, Dierich Leder v.l. © Ekko von Schwichow