Extra

Rheinhausen – immer noch ein Medienereignis?

Duisburger Filmwoche 17
10.11.1993

Podium: Helmut Lookmann (Betriebsleiter), Theo Stegmann (Betriebsrat), Johannes Kaul (Leiter des Morgenmagazin beim WDR), Rainer Zimmermann (Lokalchef NRZ), Klaus Helle (Dokumentarfilmer), Reiner Komers (Dokumentarfilmer), Jü Peters (Regisseur "Langer Abschied")
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Judith Klinger

Protokoll

Das Ende von Rheinhausen war still, nicht ohne Bilder, aber doch wohl für dramatische visuelle Symbole untauglich, die früheren Beobachter diagnostizieren an sich die Neigung, dies Ende nur vage zur Kenntnis zu nehmen, in der Diskussion bleibt es Leerstelle. Nicht die Zeitdifferenz selbst, die seit einer ähnlichen Filmwochenveranstaltung vergangenen fünf Jahre, sondern der Rückblick, das Nachdenken über eine frühere Euphorie prägen das Gespräch – wenigstens seitens derjenigen, die hier die Medien repräsentieren. Eine Diskussion also, die sich dem Überfluß und der Verfallszeit von Bildern widmet, zwischen den Bildproduzenten beiderseits der Kamera.

Während Filmemacher, Beobachter, Redakteure Auskunft darüber geben, wie innig empfunden ihre Solidarität mit den Betroffenen, Arbeitern, Kämpfenden war, wie sehr sich also die Arbeit des Bericht-Erstattens mit dem eigenen leben verquickt hat, analysiert die andere Seite auch visuelle Obsessionen. Theo Stegmann kann die Faszination der Filmer Für die Dramatik der Hochöfen begreifen, aber sie entspringt zugleich der Distanz, ist Faszination derjenigen, die diese Arbeit nicht zu leisten haben. Wichtig wären ihm außer einem solchen Blick der Begeisterung die genauere Beschreibung von Binnenstrukturen, die Darstellung jener Momente, die der Belegschaft eines Betriebs neues Selbstbewußtsein haben vermitteln können. Nicht bloße Abbildung der Identifikation von Betroffenen mit ihrer Arbeit, sondern die Analyse ihres Entstehens, ein genaueres Verständnis der Bedeutung von Widerstand für die Biographie des von der Kamera nur abgetasteten Arbeiters werden eingefordert. Diese Dinge festzuhalten und sie nicht dem Strudel der Werkschließung mitzuüberantworten, wünschen sich die Gefilmten von den Berichterstattern.

Ein anderes Kapitel bilden die Bedingungen der Dokumentenproduktion: Klaus Helle und Reiner Komers schildern den Entstehungsprozeß ihres ersten Rheinhausen- Films von der spontanen Entscheidung uns der Hoffnung, das gerade erwachende Medieninteresse werde ihrer Arbeit Öffentlichkeit garantieren, über die Desillusionierung bis hin zum – zuletzt unerwarteten – Ankauf durch das ZDF. Im Gedränge der Rheinhausen überflutenden Sendervertreter fanden sich Helle und Komers an den Rand der Ereignisse versetzt, von der „Dampfwalze“ aus Videogeräten an die Peripherie abgedrängt, die einen anderen Blick eröffnet. Wieder arbeiten beide an einem Film über Rheinhausen, heute erschweren indes nicht die aufgeblähte Bildermasse, sondern Desinteresse und finanzielle Engpässe der Sender ihre Arbeit.

Kritisch sieht Johannes Kaul auf seine Rheinhausen-Zeit zurück, beschreibt ein Süchtigwerden nach der Emotionaliät, dem Teilhaben am Kampf: Sentimentalität, lautet das Fazit, fördert journalistische Arbeit nicht. Wäre stattdessen eine analytische Distanz, eine Neutralität, die auch das Eindringen in Argumentation und Strukturen der 1anderen Seite1 erlaubt, nicht eher ratsam gewesen? Ein schärferes Fragen hätte das ermöglichen können, an die Stelle der gefühlsbeladenen Nähe zu den Betroffenen wäre die Suche noch differenzierten filmischen Mitteln zu setzen. Reiner Korners formuliert profundes Unbehagen gegenüber einer unreflektierten Intimität mit dem Gezeigten: Wo der Film „Sprachrohr einer Bewegung“ wird, schleicht sich Unechtes ein, sind gegenseitige Aufschaukelungsprozesse zu beobachten.

Nun befragen die Beobachter ihre Protagonisten: Haben nicht auch Gewerkschafter, Betriebsräte, Betroffene gelernt, sich vor Fernsehkameras zu inszenieren? Filmemacher und Journalisten für ihre Zwecke einzuspannen? Helmut Lookmann beschreibt seinerseits die beobachtete Verformung der Wirklichkeit durch das Fernsehen: Für die satellitenübermittelte Live-Sendung werden Ereignisse sekundengenau gezündet, um Bewegung in verknappten Bildern müht sich der Fernsehreporter als agent provocateur. Einzelne Sender üben Druck aus, wenn ihnen der Zugang zum Ereignis verwehrt wird, drohen mit unvorteilhafter Berichterstattung. Die gnadenlose Übereinkunft zur Inszenierung dessen, was Journalisten und Betroffene der Fernseh-Öffentlichkeit übermitteln wollen, so resümiert Johannes Kaul mit Blick auf den aktuellen Fall Bischoferode, beschleunigt nur den Abnutzungseffekt.

Diesen Punkt wird die Diskussion immer wieder umkreisen: Rheinhausen war Medienereignis, war politisch wirksames Ereignis, weil Medien und Betroffene beiderseitige Nähe suchten, sich einander mit einem Zuviel an Naivität und Euphorie hingaben. Der dramatische Kampf des kleinen Mannes um sein Arbeitsrecht: das war wie Reality TV, führt Kaul weiter aus, aber die Massierung der Bilder habe wohl gerade ihre Wirkung zersetzt. Von einem Moment auf den anderen sei mit dem Interesse der Medien auch eine „Flanke“ der Rheinhausen-Offensive zusammengebrochen. Hat der gute Wille aller Beteiligten sich also selbst ad absurdum geführt? Klaus Helle vermutet dagegen, daß der „Ereignischarakter des Fernsehens“ den Umschlag von der Nachrichtenhysterie zur Langeweile zwangsläufig bedinge. Reiner Zimmermann pflichtet, als Vertreter der Print-Medien, dieser Auffassung indirekt bei: spektakuläre Bilder erzeugen das beschriebene Suchtverhalten, die Sachlichkeit von Texten erzwingt stattdessen die detailliertere Analyse des Ereignis-Umfeldes. Langsamkeit des nicht-elektronischen Filmbildes, Genauigkeit des Schreibens als Bremsklötze an der noch zunehmenden Beschleunigung des alltäglichen Nachrichtenkarussells? Daß die Erregungskurven sich in den vergangenen fünf Jahren immer rascher wieder dem Nullpunkt entgegenstürzen, glauben alle Redner. Ist Rheinhausens Ende deswegen kein mediales Ereignis mehr, könnte ein Abstraktum wie die grundgefährdete Montan-Industrie seinen Platz einnehmen?

Wie wäre schließlich eine Erweiterung oder Neudefinition jener Kategorie fernsehtauglicher Ereignisse zu erreichen? Sollte man der Abbildung des dramatischen Moments nicht die Beschreibung von Prozessen entgegensetzen? Das Spannendste an Rheinhausen, sagt Reiner Zimmerman, sei für ihn die Selbstreflexion der Stahlkocher, ihrer Familien, der Fortschritt in der Lebensanalyse gewesen. Die Filmemacher Korners und. Helle, aber auch Theo Stegmann und Helmut Laakmann sprechen sich für die Beobachtung solcher Entwicklungen aus. Anstelle einer Romantisierung des sterbenden Ruhrgebiets wäre auch das Fortleben seiner Geschichte zu dokumentieren. Für Rheinhausen heißt das: der im Arbeitskampf freigesetzten Kreativität dort weiter nachzuspüren, wo sie sich andernorts oder in ganz anderen Bereichen fortsetzt.