Film

Mein Feind – Geschichte einer Ausstellung
von Bettina Flitner
DE 1993 | 30 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 17
13.11.1993

Diskussion
Podium: Bettina Flitner, Christel Fomm (Kamera)
Moderation: Klaus Kreimeier
Protokoll: Antje Ehmann

Protokoll

Wer im Sommer des letzten Jahres während der von Betina Flitner durchgeführten Umfrage die Kölner Schildergasse entlangschlenderte, wurde einmal nicht nach seinem bevorzugten Waschmittel gefragt und auch nicht, welches seine Lieblingsfernsehserie sei – sondern schlichtweg: „Haben sie einen Feind?“ Wer einige Zeit danach die selbige Gasse betrat, ist von 14 bewaffneten Frauen auf lebensgroßen Photographien darüber aufgeklärt worden, wen diese gerne töten würden und warum.

Bettina Flitner interessierte es, von Menschen zu erfahren, wann bei ihnen der Siedepunkt erreicht ist, jemanden zu ihrem Feind zu erklären. Flitner schilderte in amüsanter Art und Weise den Hergang und die Umstände der daraus resultierenden Austellung und deren Dokumentation. Die Umfrage habe erwiesen, daß der männliche Teil der Schildergosseneinkäufer zwar viel häufiger mit irgendwem auf Kriegsfuß stand, doch die Begründungen und Ursachen der Feindschaft derart dümmlich und oberflächlich gewesen seien, daß Männer aus Flitners Austeilung schließlich weg gekürzt wurden. Die Feindschaftsbekundungen von Frauen seien – wenn sie erfolgten – instantan, wie aus der Pistole herausgeschossen, als wäre der Groll auf die jeweilige Person ihr steter Begleiter, als hätten sie auf diese Frage nur so gewartet. „Hoben sie einen Feind?“ – „Jaaaa.“

Vielen der Frauen habe aus dem bereitgestellten Plastikwaffen-Arsenal sofort ihr bevorzugtes Mordinstrument zugeblinkt. Während des Photographierens habe sich die erhobene Waffe in ihrer Hand dermaßen energetisch aufgeladen, daß ihnen (und hier stimmt wohl wirklich einmal die Rede vom „kathartischen Effekt“) der Text zum phantasierten Mord nur so aus dem Mund gesprudelt sei. in der Regel hätten sich dabei“ über Jahrzehnte währende, zermürbende Demütigungen Luft gemacht. Die imaginierte Täterrolle sei also immer eine Folge der realen Opferrolle gewesen. Da die Interviewten von der Straße geholt wurden, wollte sie Flitner auch dorthin wie· der zurückstellen, um „das Versteckte wirklich öffentlich zu machen“ und nicht in irgendeinen geschlossenen Austeilungsraum zu bannen und der Vergessenheit anheimzustellen.

Nicht zufällig fühlte sich Klaus Kreimeier angesichts dieses Dokumentarfilms, der u. a. eine sich über die Ausstellung ereifernde, von blöden Bildzeitungsartikeln aufgehetzte, wild diskutierende Menschentraube präsentiert, an gute alte Demonstrations-Zeiten erinnert. Dieser außerordentliche Tumult (mit dem Flitner überhaupt nicht gerechnet hatte), habe nicht nur die heutige Urbanität, die Stadt als „Kommunikations- und Erlebnisraum“, sondern auch das Potential von Kommunikationsfähigkeit bzw. -unfähigkeit gezeigt. Das wurde von Kreimeier begrüßt. Doch der Aufruhr hatte auch seine Schattenseiten. F!itner war entsetzt darüber, daß – als die Austeilung verboten wurde (was sie nicht weiter störte die Bilder wieder aufzustellen) – das Kulturamt mit einer „Begehung der Ausstellungsstraße“ darüber entscheiden wollte, ob es sich hier um Kunst handele oder nicht (denn Kunst darf ja provozieren).

Irgendwann habe sich der Tumult dermaßen überpurzelt, daß Christel Fomm mit ihrer Kamera nur noch hinterlaufen konnte. Nicht alle Szenen des Aufruhrs fanden ihren Weg in den Film. Um das Ganze nicht allzu sensationell aufzuputschen, wurde z.B. eine symbolische Exekution der Frauen, nicht in den Film mitaufgenommen: Eines Nachts seien die öffentlich gemachten, geheimen Mordgelüste auf die Frauen selbst zurückgeschlagen, mit mehreren Messerstichen habe man sie auf den Photos gelyncht. Einmal sei ein vor Arger bebender Mann auf Christel Fomm zugestürzt: „Darf ich ein Bild umschmeißen?“ ln einem anderen Fall fanden zwei miteinander diskutierende Männer keine Worte mehr und konnten ihren Streit nur noch mit Faustschlägen fortsetzen. Von derartigen Gewalt-Reaktionen auf das Aufzeigen von Gewalt ließen sich Flitner/Fromm nicht irritieren, denn der Umgang mit Gewalt sei ja ihr Thema gewesen.

Flitners Herangehensweise an dieses Thema fand im Publikum ausschließlich guten Anklang. Dabei dämmerte es einem männlichen Zuschauer, daß „Männer ganz normalerweise gewalttätig“ seien, und sie, wenn Frauen mit den gleichen Mitteln antworten würden, die Männer natürlich in „ihrem auschließlichen Recht“ beschnitten: „Das geht ins Rückenmark“.

Was die formalen Aspekte des Films angeht, wurde in erster Linie. die exzellente Kameraführung gewürdigt, da sie sich so glücklich von den üblichen, auf der Schildergasse massenweise stattfindenden Umfragedokumentationen unterscheide.

David Wittenberg schlägt mit einem längeren Wortbeitrag eine Bogen über das gesamte Filmfestival „Mein Feind“ würde in wunderbarer Weise die Zusammenhänge der in den Veranstaltungen gesondert thematisierten Problematiken aufzeigen. Der Film gäbe Auskunft über das Zusammenspiel von Gewalt und Gewalttabu im Lichte der „Faszination des Bösen“. Mit letzterem Stichwort wurde die Debatte des Films beendet und eine über die „Extra III“ – Veranstaltung des Vortags eingeleitet.

Auf Bettina Flitners Stein des Anstoßes, der ihr so am Herzen lag, daß sie die „ganze Nacht nicht schlafen konnte“ sei hier nur in Kürze eingegangen: Flitner, wie einige andere aus dem Publikum, konnten aus den Vorträgen der drei Wissenschaftler, die sich seit Jahrzehnten – jeweils auf ihre Weise – mit dem Thema des Faschismus und der „Faszination am Bösen“ auseinandergesetzt haben, keine Transferleistungen in Bezug auf die sogenannte „reale“ Gewalt vollziehen. Sie erkannten ledig lieh drei „aufgeblasene Eichhörnchen“, die sich in typisch männlicher Manier durch die Präsentation ihres Wissens gegenseitig aufgeilten. Überhaupt sei das ja alles so „abgehoben“ und das wäre in „unseren Zeiten, in denen es überall brennt“, absolut Fehl am Platz. Auch nach allen intelligenten Hinweisen (vielleicht gerade aufgrund der Intelligenz dieser Hinweise?), die die Wichtigkeit auch solcher Veranstaltungen klärten, konnte diesen Betroffenen nicht geholfen werden.

Wittenberg wies auf die Lebenswichtigkeit derartiger Reflexionen für Dokumentarfilmer hin. Viele Dokumentaristen hätten sich in der Annahme, daß das Arbeiten an der Basis, das reine Abfilmen der sogenannten Realität (von Greueltaten) genüge, lange genug geweigert, zu reflektieren: Diese einfachen Muster sollten doch nun wirklich mal aufgegeben werden.

Klaus Kreimeier konnte das Wort und den Vorwurf „abgehoben“ nur zurückweisen, da es weder eine sichtbare Realität noch eine primäre Realität gebe. Doch daß Denken und Handeln, Inhalt und Form nicht voneinander zu trennen sind, war den Kritiker/innen der Extra III-Veranstaltung einfach nicht begreiflich.