Film

Im Grenzgebiet
von Claas Danielsen
DE 1993 | 35 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 17
10.11.1993

Diskussion
Podium: Claas Danielsen
Moderation: Petra Katharina Wagner, Dietrich Leder
Protokoll: Torsten Alisch

Protokoll

Die ambivalente Form des Films, die sich im Wechsel zwischen Nähe und Momenten der Distanzierung herstellt, entspricht den Gefühlen des Filmemachers für seine Protagonisten: Er empfindet Sympathie für diese herumhängenden Jugendlichen … aber dann kommen von ihnen Sätze wie „für Asylanten ist der Ofen eigentlich zu schade“.

Claas Danielsen reizt diese Gratwanderung, wo Spiel in Gewalt umkippt und umgekehrt. Dietrich Leder will wissen, wie der Filmemacher in diesen Grenzsituationen reagiert hat, etwa als die Jugendlichen das erste Mal mit einer Waffe auftauchten. Der Regisseur fühlte da des öfteren einen Zwiespalt, weil er sie natürlich nicht mit seiner eigenen Meinung vor den Kopf stoßen, sondern sie so aufnehmen wollte, wie sie nun einmal sind. Er beschreibt seine eigenen Reaktionen als „sehr zurückgehalten“: Nachdem er diese Gruppe zufällig kennenlernte, hat er längere Zeit mit „Dasitzen & Zuhören“ bei ihnen verbracht. Die Dreharbeiten dauerten dann acht Nachmittage.

Die Funktion des Autos im Film gab Anlaß für zwei Diskussionsansätze:

Zuerst ging es um die Frage der Selbstinszenierung der Jugendlichen vor der Kamera, hätten sie dies Auto auch zerstört, wenn keine Kamera auf sie gerichtet worden wäre? Claas Danielsen erzählt, daß er schon bei der Recherche ein ähnliches Erlebnis mit ihnen hatte, als sie eine verlassene Kaserne in nur 20 Minuten völlig „zerdepperten 11 , alle Scheiben mit infernalischem Krach zerschlugen. Diese Aggression hat ihn sehr betroffen gemocht. Seiner Meinung nach wäre dem Auto das gleiche Schicksal auch ohne Anwesenheit einer Kamera widerfahren. Das Auto war ein Geschenk vom Kneipenwirt, nach einigen hochtourigen Crash-Fahrten durch das Gelände gab es einen Kolbenfresser, und dann kann man sowas ja nur noch kaputtmachen. Das Versenken des Wracks im benachbarten See konnte er während der Dreharbeiten verhindern, zwei Wochen später landete es aber doch im Süßwasserteich.

Eine andere Szene hätte es allerdings ohne die Anwesenheit einer Kamera nicht gegeben: Die Erzählung und Prahlerei des einen Jungen von seiner Verhaftung und dem Prozeß, nachdem er Molotow-Cocktails auf Ausländerheime geworfen hatte. Hier wurde auch die Selbstinszenierung zum Thema des Films, als der Junge im Gespräch mit seinem Kumpel über seine „Rolle“ herumf!achste, die er vor Gericht spielte.

Klaus Kreimeier entdeckte in der Geschichte des Autos und seiner Verwandlung zur Wippe ein spielerisches Umgehen mit Konsumgütern, das der Ambivalenz ähnelt, mit der der Filmemacher seinen Protagonisten gegenübertritt.

Die Fernsehfassung des Films ist 14 Minuten kürzer, sie wird in einer Reihe mit neun anderen Filmen laufen, die unter Betreuung von Klaus Wildenhahn („Beobachten, nicht Interviewen“) beim NDR produziert wurden.

Abschließend wurden einige Hintergründe zu den sozialen Zusammenhängen dieser Jugendlichen erläutert: Der als Sozialarbeiter erscheinende Bartträger kurz vor Ende des Films ist der Bürgermeister des Ortes. Sowohl er wie viele der anderen Erwachsenen sanktionieren diese Zerstörungen und Gewaltaktionen der Jugendlichen (solange die grünberockten Jäger im Wald nicht umgefahren werden!): Die Jugendlichen tun, was sich die alten Männer nicht mehr trauen. Die Rolle der Mädchen entspricht dem traditionellen Modell: Sie putzen, waschen ab und pflegen die Blumenbeete vor der Hütte, treten ansonsten aber nicht aktiv in Erscheinung. Diese Jugendlichen sind keine outlaws, sondern leben in vorgegebenen Konventionen, sanktioniert von noch vorhandenen Autoritäten.