Film

Die Wismut
von Volker Koepp
DE 1993 | 110 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 17
10.10.1993

Diskussion
Podium: Volker Koepp
Moderation: Klaus Kreimeier, Dietrich Leder
Protokoll: Antje Ehmann

Protokoll

Voller Optimismus eröffnete Dietrich Leder die Debatte zum Film, denn alle Anzeichen waren vielversprechend: „Wismut“ hat erfreulicherweise die Kinoränge gefüllt, den Diskussionsraum überfüllt und in seiner Monumentalität reichlich Stoff für die Diskussion bereitgestellt. Dieser Optimismus wandelte sich jedoch zunehmends in sein Gegenteil. Denn die weitgestreckte Diskussionzeit zeichnete sich zwar sehrwohl durch eine gewisse Fülle aus, jedoch als eine Hülle und Fülle von tapsendem Gestammel, Gemurmel bis zu Sprachlosigkeiten auf der einen Seite und babylonischer Sprach· Und Argumentationsverwirrung auf der anderen Seite.

Von Volker Koepp, der es auf ungefähr fünfdreiviertel Sätze gebracht hat, erfuhr man, daß ihm während seines Ganges durch die terra incognita nichts gesondert zu erwähnendes überrascht habe, da Filmen immer Überraschung sei; daß er mal Physik studiert habe, ihm sowohl Sachsen- wie Männer-Filmen unverfraut war, und daß er ansonsten eben die Haltung hat, die er hat.

Aus dem Publikum erfuhr man zunächst: von einer Frauenstimme, daß sie ab jetzt die Bauarbeiter auf der Straße und ihre Nachbarn besser verstehen würde. Von einer anderen, daß sie einfach „alles gut“ fand. Von den sich zuweilen in das Gewusel einmischenden, live dabeigewesenen Wismuttadeltönen, die der Veranstaltung Züge eines absurden Theaters verliehen, mußte Koepp die scharfe Kritik einstecken, daß er das Erzgebirge nicht ausreichend gewürdigt habe, der Film aber „vom Optischen her gefallen“ habe und die „heilige Kuh Wismut“ ja zum Glück nicht geschlachtet wurde. Themas Frickel fand, wie im letzen Jahr, den archäologischen Blick und das serielle Motiv gut.

Da die Diskussion in ihrer Diffusität so zu vernebeln drohte, daß selbst dem strängsten Diskurswächter die Fäden aus der Hand fielen (wenn sie denn jemals so klar konturiert waren, daß er welche in der Hand hätte halten können), erfolgte ein klarer Wortbeitrag Klaus Kreimeiers als Strukturangebot, auf das jedoch nicht weiter eingegangen wurde: Der Film sei mehr als eine Bestandsaufnahme, denn er vereine zwei eklatante Widersprüche, um die sich die jeweiligen Detailbeobachtungen gruppierten und die der Film gekonnt ausbalanciere. Die archaische Produktionsweise des Bergbaus, die bis ins Mittelalter zurückgeht, der traditionelle Beruf des Bergmanns, dem in der Regel unter meist hoher Identifikation nachgegangen werde, stehe im krassen Wiederspruch zu der modernen Dienstbarmachung für die Atomenergieproduktion. Dies sei der explosive Stoff des Films, der somit (ganz im Sinne Ruzicka/Koepp) nicht als Symbol für die ehemalige DDR verstanden werden könne.

David Wittenberg lieferte das Initiationsstichwort, das als Stachel des Bösen die Diskussionsrunde nunmehr in Form cholerischer Schübe vorantreiben ließ.

David Wittenberg lieferte das Initiationsstichwort, das als Stachel des Bösen die Diskussionsrunde nunmehr in Form cholerischer Schübe vorantreiben ließ. Wismut sei ein schlechter Sprechfilm, dessen „oral history“ nicht stimmig sei. Der spezifisch DDR politische Aspekt werde unter dem Mantel der „Betroffenheitsfolklore“ versteckt gehalten, überhaupt sei der Film ein beredtes Schweigen, da Koepp die Interviewten ihre Geschichte nicht auf den Punkt bringen lasse. In Wittenbergs Beitrag war etwas argumentativen Strängen Ähnliches angelegt, woran die Diskussionsrunde vorher wie nachher miteinander aneinander vorbeiredete.

Wer oder was war das Problem?

Problem 1 war Volker Koepp selbst.

Problem 2 war die (beschimpfte bzw. begrüßte). in Porenthese gehaltene Verarbeitung der politischen Umwelt.

Problem 3 war, daß Zuschauer aus der ehemaligen DDR den vermißten Hintergrund sehr wohl- als inhärenten Untergrund im Film angeregt sahen, was ihnen „viele neue Erkenntnisse“ ermöglicht habe. Was hingegen die anderen als unerträgliche Fehlinterpretation von sich wiesen, da der Film nicht symbolisch genommen werden könne und solle. (Die sich an diesem Punkt zu entzünden drohende Ost-West-Perspektiven-Unvereinbarkeitsdebatte verstand Dietrich Leder mit der Vokabel „schwachsinnig“ gekonnt abzubiegen.)

Problem 4 war, daß die verfehlte „Stimmigkeitsästhetik“, die in besagte „Betroffenheitsfolklore“ münde, aus der absolut despektierlichen laissez-faire-Haltung Volker Koepps rühre. Man könne dem Film dadurch nur pure Oberflächlichkeit attestieren. Womit sich schließlich als

Problem 5 zeigte, daß diese seine Haltung verstanden (im Sinne des Wortes) oder bis zur Peinlichkeit hin nicht verstanden wurde.

Abschließend einige Worte zu Punkt 1 und 4/5:

Volker Koepp hat in der Tat die Diskussion dazu genutzt, sich als erratischer Block in stoischer Ruhe zu üben, was seine (nicht gerade souveränen) Kritiker in ihrer Kritik immer mehr anpeitschte. An dieser Stelle sei eine prinzipielle Anmerkung zur Differenz von Kunst- und Kulturträgern erlaubt: Auch wenn die fruchtbare Möglichkeit des öffentlichen Austauschs zu ·nutzen ratsam wäre, sei es grundsätzlich jedem Künstler zugestanden, sein Werk kommentarlos dahingestellt sein zu lassen. (Die einen machen, die anderen reden und interpretieren.)

Mit der zuweilen bodenlosen Kritik an Koepps Haltung entlarvten sich die Kritiker in erster Linie selbst. Diesem zugestandenermaßen gewiß nicht bestem Film Volker Koepps eine beliebige oder gar unruhige, oberflächliche Kameraführung vorzuwerfen, zeugt denn doch von nichts als Mißverstand. (Um die Sache zu verkomplizieren sei angemerkt, daß sich erst in den Kneipenanschlußgesprächen herausstellte, daß das Argument der Kameraführung ein Lapsus war, denn der eigentliche Kritikpunkt bestand in folgendem Moralismus, nämlich daß Koepp die Leute skrupellos ausgenutzt und lächerlich gemacht habe.) Der Vorwurf, der Film sei geglättet und oberflächlich, scheint wohl in einer ebensolchen Wahrnehmungsweise der Kritiker begründet zu sein, die, wenn sie sich nicht an einen kontinuierlichen Protagonisten (oder welch funktionales Äquivalent auch immer) klammern können, der den Zuschauer an die Hand nimmt, durch den Film führt, alle Fragen klärt und in beruhigenderweise festgelegte Muster bedient, somit eine im Leben einfach nicht immer vorhandene Stimmigkeit simulierend produziert, in den Abyss der Hilflosigkeit stürzen.