Protokoll
Man könne sich diesen Dingen, als Mensch, der mit Bildern umgeht, nur vom Rand nähern. Diese Dinge sind in „östlicher Landschaft“ der Zustand und das Ende der DDR-Gesellschaft; der Film versuche weitergehend, etwas über den Zustand von Gesellschaften überhaupt zu sagen.
Didi Danquart konstatierte, die dokumentarischen Bilder seien sehr schön durch die Töne kommentiert (Ein anderer Zuschauer sprach später sogar davon, die Bilder der Müllkippe würden durch die Stimme Carusos geadelt); es habe ihn deshalb gewundert, warum nach den vorgefundenen Bildern Eduard Schreiber die Szene mit dem nackten Mann inszeniert habe.
Für ihn (E.S.) sei Film in erster Linie Bilder und Montage, man solle in der Schlußsequenz nicht mehr sehen wollen, als daß die DDR-Bürger, nach einer Inflation von immer gleichen Sätzen und Fragen, sich nicht nur der Insignien ihres Staates, sondern auch ihrer eigenen Identität entledigt hätten.
Das Verhältnis von dokumentarischen Bildern und inszenierter Schlußsequenz bestimmte den Fortgang der Diskussion.
Die Haupteinwände waren, die offensichtliche Symbolik der Szene verstelle den Blick auf die Wirklichkeit und lade die dokumentarischen Bilder ebenfalls nachträglich symbolisch auf, sie mache diese damit weniger glaubwürdig, der Schluß sei überhöht und zu stark.
Der Vorgang sei aber auch ein starker gewesen, entgegnete Eduard Schreiber. Auch er sei kein Vertreter von puristischen Formen; das Schöne am Filmemachen sei doch, daß man alles machen könne. Außerdem habe er keine moralisierende Absichten gehabt, sondern im Gegenteil versucht, sich von der gängigen DDR-Filmpraxis abzusetzen, die mit jeder Einstellung den besseren Menschen zu erzeugen und vorzuführen versucht habe.
Dietrich Leder erzählte dann (nach einem kleinen Exkurs über die Eleganz der Bilder und die fehlende olfaktorische Präsenz des Mülls) abschließend und überleitend die Geschichte eines Kruzifixschnitzers, der die Leidensmierie Christi so ausdrucksstark habe darstellen wollen, bis schließlich der Ausdruck des Schmerzes gekippt sei („Scheiße, jetzt lacht er“).
Auf die Vermutung von Didi Danquart, es handele sich bei VERLORENE ZEIT nicht nur um Zeitgeschichte, sondern auch um eine persönliche Auseinandersetzung des Filmemachers, antwortete Günter Jordan, die Idee. zu dem Video gehe auf den ehemaligen Direktor der DEFA zurück, der ihn zweimal rausgehauen habe; zu jener Zeit sei das Thema Ackermann noch tabu gewesen, auch hätte sowas damals noch vom Politbüro genehmigt werden müssen, weshalb sie erst gar nicht um Erlaubnis gefragt hätten. Ackermann habe immer als großer Name herumgegeistert, die Recherche habe aber die Geschiente einer grauen Maus, eines völligen Versagers ergeben. Bezüglich der Produktion hätten sie bis zum Schluß Kompromisse eingehen müssen. Der Film habe viel mit ihm zu tun, da das Thema die Möglichkeit geboten habe, sich mit Problemen, die über seinen Vater auf ihn gekommen seien, auseinanderzusetzen, sich über sein Verhältnis zur Gesellschaft klar zu werden. Günter Jordan sprach in diesem Zusammenhang auch von der Notwendigkeit, die Nabelschnur zu durchtrennen. Roswitha Ziegler hatte besonders der Umgang mit dem historischen Bildmaterial gefallen, für sie sei VERLORENE ZEIT der bisher beste Film der Duisburger Filmwoche. Nach einem kurzen Ausflug zum Pawlowschen Hund und der Metaphorik von Krankheiten, bezogen auf Menschen und Gesellschaften, griff Eduard Schreiber die Problematik der Verwendung von Archivmaterial wieder auf. Es sei schwierig, einen dezentralen Blick auf die Dinge aus diesen Stellvertreterbildern zu entwickeln. Auch das Verlangsamen der Laufgeschwindigkeit nütze da nicht viel, man müsse in so einem Fall besser andere Medien wählen oder vielleicht Fotos sammeln. Günter Jordan zeigte sich selbst mit den Bildern, nicht zufrieden, es seien keine Korrekturen mehr möglich gewesen, der count down lief. Deshalb sei der Film illustrierend, er sei „unterwegs“, wenn auch nicht sonderlich analytisch.
Zum Text erklärte Günter Jordan, es handele sich hier um die sechste Variante. Ziel sei für ihn, einen Text auf eine gewisse literarische Höhe zu bringen, dieser solle aber auch nicht bierernst daherkommen. Vielleicht habe die jetzige Fassung einen zu großen Unterhaltungsanteil. Ihm habe beispielsweise der spielerische Umgang bei Didi Danquarts Montage gefallen, bei seinem eigenen Film erschienen ihm jetzt einzelne Passagen als zu bemüht. Als problematisch wurde von einigen Zuschauern auch empfunden, daß die Herkunft einiger als pathetisch empfundenen Sätze nicht gekennzeichnet sei. Günter Jordan stimmte auch dieser Kritik zu und erläuterte, es handele sich um Sentenzen von Peter Weiss und Santiago Carillo sowie um Leitsätze seines Vaters. Auf die Frage, ob es in der ehemaligen DDR heute die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit gebe, erwiderte Günter Jordan, dieser Film sei heute erst zum zweiten Mal öffentlich gezeigt worden, zumindest in den Sendeantalten des Ostens wie des Westens gäbe es anscheinend keinen Bedarf.