Film

So lange ich fliehen kann noch, da schütze ich mich
von Peter Kern
DE 1990 | 50 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 14
16.11.1990

Diskussion
Podium: Peter Kern, Jens Berthold (Hauptdarsteller)
Moderation: Kai Gottlob, Christa Blümlinger
Protokoll: Torsten Alisch

Protokoll

V o r s p i e l

Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Regisseur und Darsteller: Ist das Dargestellte inszeniert oder wird Inszeniertes dargestellt?

Peter Kern: Der Film ist eine Liebeserklärung an Jens, an seine Art, wahrhaftig mit dem Leben umzugehen. In die Figur Jens ist aber auch das Leben von Peter Kern „hineingeschlichen“.

Jens Berthold: In diesem Beruf muß man sich mit Inhalten auseinandersetzen. Man muß ein Verhalten für Inhalte finden. Das ist der Beruf des Schauspielers.

(Fast wäre die Aufführung an dieser Stelle zu Ende gewesen, weil jemand einwarf, daß der Film so lebendig sei, daß man darüber nicht zu diskutieren brauche: Entweder man habe etwas erlebt in diesem Film, oder eben nicht. Peter Kern und seine angereisten Mitarbeiter verspürten nach so kurzem Auftritt aber noch nicht genug Lust, um ihre Hotelbetten aufzusuchen.)

Es folgte die Produktionsgeschichte: Das Video wurde zwischen den Proben zu „King Lear“ in Düsseldorf gedreht. Peter Kern hatte die Dramaturgie und die Drehorte grob im Kopf. Die Familiengeschichte, die Orte im Osten und die Bungalow-Thematik wurden recherchiert. Spontan dagegen ist die Dachrinnen-Auseinandersetzung gedreht worden, die aber mehrmals geprobt werden mußte, wobei die schauspielerischen Leistungen der Mutter zu Tage traten: Auch nach der zehnten Probe kam sie noch zum Höhepunkt.

Bei der Klappen-Sex-Szene gab’s Schwierigkeiten als das Team gerade „gut dabei war“, dann aber eine Putzkolonne auftauchte und eine Drehgenehmigung sehen wollte…

K a t h a r s i s

Schauspieler Jens Berthold hat sich im Nachhinein viel Gedanken über die eine Szene im Film gemacht, die auf das AIDS-Problem anspielt. Beim Dreh wußte er noch nicht, ob er’s hat oder nicht. Er dachte, er hat’s nicht. Später stellte sich raus. daß er’s doch hat. Da tauchten beim ihm Skrupel auf, ob er die Szene im Film so vertreten könne. Doch als er sich an einen Spruch von Werner Schroeter erinnerte – „Lieber einem AIDS-Kranken in den Arsch ficken als an sich selber zugrunde gehen“ – fühlte er sich wieder ermutigt. „Es gibt nichts Privates!“, so das Credo Jens Bertholds, „Wir müssen aufhören, uns zu schonen!“ Bei dem Versuch, nur noch gesund leben zu wollen, vergesse man das Leben: „Lieber sich auf die Scheiße einlassen und etwas riskieren!“

Das wäre auch eine ganz gute Dokumentarfilmtheorie, warf jemand ein. „Ja! Stimmt!“, rief Jens Berthold, „obwohl ich mit mit Theorie nicht so auskenne …“ Anschließend trug er das Hölderlin-Gedieht „Gebet für die Unheilbaren“ vor und erzählte über die tröstende Wirkung von Gedichten.

Ein kurzes Zwischenspiel befaßte sich mit der Oberraschenden Tatsache, daß dieser Film vom Fernsehen gekauft wurde – allerdings wird er nur auf WDR 3 zu sehen sein. Peter Kern hatte ihn zuvor dem – von vielen in Duisburg vertretenen Filmemachern hofierten – „Kleinen Fernsehspiel“ des ZDF angeboten: Nachdem seine vorherigen 15 Projekte alle abgelehnt wurden, dachte er sich, daß ein fertiger Film vielleicht mehr Chancen hätte. Nix da! Nach 15 Minuten hätte man die Sichtung abgebrochen und ihm mitgeteilt, daß der Film „beschissen“ sei. Wortwörtlich.

F i n a l e

Fast wäre die Vorstellung jetzt zu Ende gewesen, hätte da nicht jemand die „unerhörte“ Frage gestellt, ob die Figur Jens Berthold auf dem Podium nun wirklich so sei, oder ob er uns heute abend wieder nur eine Rolle vorgespielt hätte. Nach einer Schrecksekunde begann der dramatische Höhepunkt des Abends, den Eva Schuckard aus dem mitgereisten Schauspielerensemble hervorragend inszenierte:

Inhaltlich ging es in etwa um die Thematik, ob der Fragesteller denn schon jemals in seinem Leben was erlebt habe, oder ob er zu Hause auch immer nur an Wände wixen würde.

Anschließend klang der Abend mit einer von Peter Kern intonierten Zeile Frederico Garcia Lorcas aus.

 Jens Berthold, Peter Kern v.l. © Ekko von Schwichow
Jens Berthold, Peter Kern v.l. © Ekko von Schwichow