Film

Kehraus
von Gerd Kroske
DE 1990 | 29 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 14
16.11.1990

Diskussion
Podium: Gerd Kroske
Moderation: Karl Saurer
Protokoll: Reinhard Lüke

Protokoll

‚Wegen oder trotz Dr. Helmut Kohl‘?

Der Anlaß für seinen Film, so Gerd Kroske, sei nicht der Auftritt des deutschen Kanzlers gewesen. Er habe lediglich bei einem nächtlichen Streifzug durch Leipzig einmal erlebt, wie die Straßenkehrer von betrunkenen Passanten angepöbelt worden seien. Daraus sei dann die Idee für seinen Film entstanden. Man habe zur Messezeit in Leipzig drehen wollen, aber daß dort just zu dieser Zeit der Wahlkampf stattfinden würde, sei zum Zeitpunkt dieser Entscheidung natürlich noch nicht absehbar gewesen. Kohl sei also mehr zufällig in den Film geraten. Man habe sogar überlegt, diese Szenen herauszuschneiden, da hier doch die Gefahr einer Dominanz bestehe, die nicht beabsichtigt sei. Bei Beginn der Dreharbeiten sei man sich lediglich über die Drehorte im Klaren gewesen, wodurch man manchmal Probleme gehabt habe, sich auf den Zufall einzustellen.

‚In sich ruhende Bilder‘ – ein typischer Dokumentarfilm aus Deutschland/Ost?

Einen 30minütigen Film in 35mm zu drehen sei doch relativ ungewöhnlich. Ob man denn bei diesem aufwendigen und nicht zuletzt kostspieligen Material überhaupt einen Spielraum gehabt habe, um auf derartige ‚Zufälle‘ zu reagieren? Ob das Format während der Vorbereitungszeit überhaupt ein Diskussionspunkt gewesen sei? Gerd Kroske: Man habe ungefähr drei Stunden Material belichtet, von daher also schon einen gewissen Spielraum gehabt. Das Format habe eigentlich nie zur Disposition gestanden, da man beim DEFA-Studio sehr stark auf 35mm ausgerichtet sei.

Im Anschluß hieran entspann sich eine Diskussion um die Frage, ob sich an der Wahl des Formates nicht auch signifikante Differenzen zwischen ost- und westdeutschen Dokumentarfilmen festmachen lassen. So wurde von mehreren Teilnehmern die handwerkliche Perfektion der Bilder in ‚Kehraus‘ gelobt. Man habe den Eindruck, so Helga Reidemeister, daß die Bilder ‚in sich ruhen‘. Auf diese Weise sei es hervorragend gelungen, die wahrlich deprimierende Stimmung des Leipziger Nachtlebens einzufangen. Hier, wie auch in anderen ostdeutschen Produktionen komme ein: großes Vertrauen in Situationen und Stimmungen zum Ausdruck, während bei vielen westdeutschen Filmen eine große Anstrengung, ein angespanntes Warten auf das Sensationelle zu spüren sei.

Warum scheint in Cannes immer die Sonne? Warum stinkt es nie in Leipzig?

Dietrich Leder pflichtete dem weitgehend bei, sah die Ost-West Differenzen doch anderswo. Er habe in ‚Kehraus‘ auch gesehen, wie dreckig es in Leipzig sei und wie penetrant es dort stinke. Desweiteren sei deutlich geworden, daß einen schnell redenden Sachsen nun wirklich ‚keine Sau mehr‘ verstehen könne. Bei westdeutschen Filmen sei von diesen nunmal nicht zu bestreitenden Tatsachen nie die Rede. Desgleichen begännen sämtliche Festivalberichte aus Cannes mit dem Wetterbericht, die aus Leipzig nie. Hier komme eine gewisse Verlogenheit zum Ausdruck, ein seltsamer Solidaritätsbonus, den gerade ‚linke‘ Filmemacher westlicher Provenienz der (ehemaligen) DDR einräumten. (Daß die Dialoge für ungeübte Ohren möglicherweise etwas schwer verständlich seien, könne, so Gerd Kraske, auch daran liegen, daß der Tonmeister, den man sich nicht ausgesucht habe, kaum Erfahrungen mit Außenaufnahmen gehabt habe und auch sonst nicht sonderlich kooperativ gewesensei. Da bei einigen Teilnehmern großes Interesse bestand, den Trinkspruch der Straßenkehrer nocheinmal zu vernehmen, sei er hier für die Nachwelt festgehalten: ‚Die Straßen war’n dreckig, da kriegt ihr ‚nen Klaps. Jetzt trinken wir Tee und dazu ‚nen Schnaps.)

‚Vermischtes‘

Ein Teilnehmer sah in der -Interview-Szene mit der Straßenkehrerin einen stilistischen Bruch der ruhigen und distanzierten Atmosphäre des Films. Hier habe man den Eindruck, die Frau sei geradezu vor die Kamera gezerrt worden, und ihr Unbehagen sei deutlich zu spüren. Daraus resultiere auch bei ihm als Zuschauer eine gewisse Beklemmung. Die Szene thematisiere mehr die Situation des Interviews als die Fragen, resp. Antworten.

Gerd Kraske hielt dem entgegen, daß in ihren Antworten, der Schilderung ihres Lebens doch sehr wohl eine Tragik zum Ausdruck komme, die schließlich auch von politischer Relevanz sei. Eine Teilnehmerin gab zu bedenken, daß diese ‚Beklemmung‘ auch aus dem Umstand resultieren könne, daß Mitglieder östlicher Randgruppen mit solchen Situationen weit weniger vertraut seien als im Westen, wo sie einem vielfach gleich die komplette Analyse ihres Lebens ins Mikrophon diktierten.

Für Sabine Fröhlich machte ‚Kehraus‘ auch deutlich, wie sich Bilder in neuen (politischen) Kontexten verändern. Das Neue (‚Kohl‘) sei einbezogen worden ohne die ursprüngliche Konzeption aufzugeben.

Und dann war da noch die einsame Ruferin in der Wüste, der der Film ganz und gar nicht gefallen hatte, da er weder ein Porträt der Protagonisten noch der Stadt sei und überhaupt eine tragende Idee vermissen lasse.

 Gerd Kroske, Karl Sauer v.l. © Ekko von Schwichow
Gerd Kroske, Karl Sauer v.l. © Ekko von Schwichow