Film

Inventur wegen Geschäftsaufgabe
von Bernard Mangiante
DE/FR 1990 | 50 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 14
13.11.1990

Diskussion
Podium: Bernard Mangiante
Moderation: Dietrich Leder
Protokoll: Torsten Alisch

Protokoll

Es ist eine 8-minütige Einstellung in Bernard Mangiantes Film, die ihn aus der Masse der modischen DDR-Dokumentationen heraushebt und die die Diskussion in Duisburg über diesen Film prägte. Diese 8 Minuten. die anhand von zwei Menschen das ganze individuelle Dilemma des Zusammenlebens und zugleich das gesellschaftliche Dilemma des 40 Jahre lang versuchten Lebens nach einer Staatsideologie auf eindrucksvolle Weise zusammenführen, lassen das Denken und Sprechen plastisch werden in diesem Film“ (Klaus Kreimeier). In dieser 8-minütigen Einstellung, in der ein Arbeiterpärchen aus dem ehemaligen Braunkohlekombinat „Schwarze Pumpe“ offen Ober ihre (gescheiterten) Träume und ihre (ebenfalls nicht mehr realisierbaren) Versuche eines Sozialismus auf freiwiller Basis in einer kleinen, überschaubaren Gemeinschaft phantasieren, sehe man förmlich wie „Gedanken entstehen und sich ausdrücken“. In diesen 8 Minuten entdeckt ein Pärchen nach 20 Jahren, daß sie nicht mehr derselben Meinung sind: Ihre gemeinsame Geschichte des Versuches, sich nicht gedankenlos den ideologischen Gegebenheiten in der „sozialistischen“ Staatsgesellschaft anzupassen, sondern immer wieder selbst initiativ zu werden und auf Veränderung zu dringen, erscheint ihnen nun selbst vor Augen: Ihre Fehler, ihr Scheitern, ihre unnützen Versuche, wenn ER dann nicht mehr weiterweiß, oder sich rauszureden versucht, setzt SIE nach kurzer Pause ein und relativiert seine Aussagen.

Die Klarheit dieser Sequenz ist aber auch Folge der entschiedenen bildlichen Gestaltung: Das Pärchen aufgenommen in einer Totalen, auf einer Parkbank sitzend, im Hintergrund die Wohnhäuser – ihre Heimat. Die Blicke der Zuschauer können wandern vom Erzählenden zu den Gesten des gerade Schweigenden, der Zuschauer kann/muß aktiv am Film teilnehmen, er wird nicht wie im konventionellen Spiel-/Dokumentarfilm durch Schnitt und Gegenschnitt seiner eigenen Auffassunsgabe und Phantasie beraubt. Gleichzeitig läßt der Regisseur seinen Figuren die Freiheit über das gerade Gesagte nachzudenken, es vielleicht zu korrigieren und Fehler zu entdecken. Die porträtierten Personen werden nicht lächerlich gemacht, auch wenn sie leicht spinnerte Ideen äußern, sondern regen die Zuschauer zum Nachdenken an.

Die Auswahl der Musik in diesem Film wurde hervorgehoben: Auch sie zeige die Vielschichtigkeit von Geschichte und lasse das Eingeständnis von Fehlern zu. Ein von dem Arbeiterpärchen selbstgeschriebener Arbeitersong aus den 60ern wird auf die triste Beton-Welt der Wohnsilos gelegt und erzähle „Über eine Kultur, die sich aus diesen Betonblöcken gebildet hat“.

Auf die Frage, ob die Produktionsbedingungen oder eventuell die Tatsache, daß sich da ein französisches Team in der DDR aufhielt dazu beitrug, daß die Leute so offen und ehrlich zu Unbekannten reden, erklärte Bernard Mangiante, daß dies wohl weniger dazu beigetragen hat, als seine Art der Fragestellung: Sich auf die Leute einlassen und sie nicht ausquetschen wollen.

Die ursprüngliche Intention Bernard Mangiante’s war, einen „Beobachtungsfilm“ über die Landschaft der DDR zu machen- „Wie es in der DDR aussehe“, aber aufgrund der kurzen Vorbereitungszeit (2 Wochen), die aus den beschränkten finanziellen Mitteln resultierte, mussten zeitaufwendige Straßenstudien entfallen und er musste sich hauptsächlich auf Interviews und Gesprächsszenen beschränken. Nur eine Sequenz, die Beobachtungen bei der Wahl eines Betriebsrats, ist den Vorüberlegungen nahegekommen.

Die große Qualität dieses Films mache die Klarheit aus, mit der er gemacht ist: Einerseits entdecke man sie beim Sehen des Films, weil er sich auf wenige Leute beschränkt, die aber intensiv darstelle, und andererseits wurde in der Diskussion deutlich, daß Bernard Mangiante – im Gegensatz zu vielen anderen Machern – sich darüber klar sei, was er eigentlich mache. Er hat vor dem Drehen mit 8 – 10 Leuten gesprochen, die ihm interessant erschienen, sich dann aber sofort gegen einige entschieden, weil sie nicht lebendig erzählen konnten. Einer hatte sich innerhalb der zwei Wochen zum Berufspolitiker entwickelt… und „die eine ist nicht mal mehr aus der Büchse rausgekommen“. Eine Person habe sich sehr intensiv über das Problem der Gewalt und des Rassismus geäußert, die ist dann aus dem fast fertigen Film wieder rausgefallen, weil es dem Regisseur nicht um Botschaften geht, die mittlerweile fast jeder kennt.

Auch die Generation der „Väter“ interessierte ihn hier nicht – nachdem er sich in seinem letzten Film intensiv damit auseinandergesetzt hatte („Lager des Schweigens“, lief im vergangenen Jahr in Duisburg) – deshalb taucht der Vater von Barbara Thalheim nur kurz im Film auf: Bernard Mangiante wollte zeigen, daß diese Generation da ist, daß sie existieren, aber damit genug.

Bernard Mangiante hat es nach eigener Aussage noch nie geschafft, mit Leuten zu drehen oder sie zu interviewen, die ihm unsympathisch sind. Daraus resultiert die Qualität dieses Films, wie es ein Zuschauer formulierte: „Den Figuren wird die Freiheit gelassen vielschichtig zu sein und zu reden.“