Film

Ich lebe gern, ich sterbe gern
von Claudia Acklin
CH 1990 | 73 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 14
18.11.1990

Diskussion
Podium: Claudia Acklin
Moderation: Werner Ružička, Christa Blümlinger
Protokoll: Reinhard Lüke

Protokoll

Die ‚Diskussion‘ litt offensichtlich unter Ermüdungserscheinungen auf Seiten des Publikums. Ein Umstand, der weniger diesem Film und seiner Regisseurin als dem Umstand anzulasten sein dürfte, daß es die letzte Diskussion der diesjährigen DUISBURGER FILMWOCHE war. So folgt das Protokoll im Wesentlichen einem ‚öffentlichen Zwiegespräch‘ zwischen Werner Ruzicka und Claudia Acklin.

Andre Ratti und die Medien

Andre Ratti genoß als Moderator der Sendung ‚Menschen, Technik, Wissenschaft‘ im Schweizer Fernsehen ungeheure Popularität, da er es auf unkonventionelle Art verstand, ‚trockene‘ naturwissenschaftliche Themen populistisch aufzubereiten. Insbesondere zu Zeiten der AKW-Diskussionen scheute er nicht davor zurück, in bisweilen provokativen Interviews immer wieder auch ‚heiße Eisen‘ anzupacke. Sein Stellenwert innerhalb der schweizer Medienlandschaft war in etwa dem eines Alfred Biolek hierzulande vergleichbar. (Name von Werner Ruizicka ins Spiel gebracht) Pepe Danquart: Insofern setzt der Film auch in seinem Aufbau stark auf die Popularität Rattis in der Schweiz. Der Eindruck, daß der Film durch die vielen Interviews mit hierzulande wenig bekannten Zeitgenossen in der Mitte ein ‚Loch‘ hat, das sich erst wieder schließt, wenn Ratti selbst wieder ins Bild kommt, entsteht wahrscheinlich bei schweizer Zuschauern nicht. In Solothurn wurde er jedenfalls völlig anders aufgenommen als jetzt in Duisburg.

Die Mediathisierung des Todes

Werner Ruzicka: Macht der Film nicht auch die Ambivalenz deutlich, die der medialen Auseinandersetzung mit soeben Tabu- Themen wie AIDS eigen ist? Seit Michel Foucault ist doch zumindest klar, in welchem Maße auch ein permanenter öffentlicher Diskurs eine Form der Tabuisierung sein kann. Wie hat Andre Ratti zu diesem Problem gestanden?

Caudia Acklin: Ratti war in diesem Sinne kein Philosoph oder Intellektueller, sondern jemand, der sich aus Theorien immer gerade das rausgepickt hat (z.B. Wilhelm Reich), was ihm gerade für seine Praxis brauchbar erschien. Wohl aber besaß er ein unerschütterliches Vertrauen in das aufklärerische Potential der Massenmedien, wobei er sich immer wieder auf Marshall McLuhan und dessen These ‚The medium is the message‘ berief. (Ein McLuhan Verständnis, das auch arg diskussionsbedürftig wäre. Der Protokollant) So setzte er nach seinem ‚coming out‘ alles daran, das Thema AIDS in die Massenmedien zu bringen. Dabei war ihm Rock Hudson in mancher Hinsicht ein Vorbild. Claudia Acklin selbst steht diesem Potential der Medien weit skeptischer gegenüber. Für sie bewegt sich diese Form des Aufgreifens von Tabu-Themen immer auf einem schmalen Grat zwischen aufklärerischem Interesse und der Gefahr, voyeuristischen Bedürfnissen auf Seiten der Zuschauer zu entsprechen. Grundsätzlich ist es die Verbindung von Sexualität und Tod, Lebenslust und Lebensende, die AIDS gleichzeitig so schockierend wie medienwirksam macht. Für Andre Ratti war das Fernsehen aber sicherlich auch eine Möglichkeit, seinen ausgeprägten Narzißmus und Exhibitionismus auszuleben.

Werner Ruzicka: Diese delikate Dialektik wird durch zwei Personen des Films, den Photographen und die Graphikerin, die beide von Rattis AIDS-Tod medial profitieren, geradezu augenfällig. Claudia Acklin: Den Photographen hat Ratti aus oben genannten Gründen selbst zu sich bestellt. Die Graphikerin, sicherlich selbst nicht frei von selbstdarstellerischen Interessen, hat die letzte Zeit an Rattis Sterbebett verbracht und diese Erfahrungen in Zeichnungen verarbeitet, die jedoch nie öffentlich gezeigt wurden. Auf Grund dieser Umstände sind sie zwar im Film, werden jedoch nicht ·ausgestellt‘, sondern nur ‚durchgeblättert‘.

Andre Ratti und die Schwulen-Szene

Werner Ruzicka: Die Spielszenen, die Rattis Tagebuchaufzeichnungen illustrieren, bleiben in puncto Qualität hinter diesen zurück und begrenzen vielfach unnötig die Imagination des Zuschauers.

Claudia Acklin: Andre Rattin war innerhalb der schweizer Schwulen-Szene keineswegs eine unumstrittene Person. Zum einen hat er sich zu seiner Homosexualität erst öffentlich bekannt, als er von seiner AIDS-Infektion wußte, zum anderen beschränkte sich seine Tätigkeit für die AIDS-Hilfe Schweiz vorwiegend auf die Repräsentation. Die alltägliche Kleinarbeit interessierte ihn weit weniger. Jene Spielszenen gehen weitgehend auf Ideen von Mitgliedern der Schwulen-Szene zurück, die die Regisseurin im Rahmen der Recherchen befragte: Sie selbst würde diese Szenen heute wahrscheinlich ‚abstrakter‘ gestalten. Ein Zuschauer monierte, daß der Film mit Rattis Tod endet, statt auch die weiteren Aktivitäten der von ihm initiiert e n Organisation zu dokumentieren. Auch von der Einsamkeit der Pflegesituation und des AIDS-Todes sei im Film nichts zu sehen. Claudia Acklin: Der Film ist nicht der AIDS-Hilfe, sondern nur diesem einzelnen Menschen gewidmet, der auch im Sterben eine privilegierte Persönlichkeit war, sofern er bis zum Schluß ständig von einer Gruppe von Freunden umgeben war. Abschließend wies ein Zuschauer darauf hin, daß die mediale Präsenz von AIDS auch höchst ambivalente Züge habe. Einerseits fördere sie möglicherweise krude Vorstellungen von Moralität und Strafe, andererseits habe sie den Schwulen durch die öffentliche Präsenz des Themas aber auch Wege zu mehr Toleranz geebnet. Und dann ließ Werner Ruzicka noch etwas wie „der Tod, ein ewiges Rätsel und Mysterium‘ vernehmen. Das zu erwartende ‚Amen‘ blieb jedoch aus.