Extra

Neues aus den Magazinen?

Duisburger Filmwoche 13
17.11.1989

Podium: Harun Farocki, Hans-Jürgen Rosenbauer, Andreas Schreitmüller, Thomas Schmitt, Roger Willemsen
Moderation: Lutz Hachmeister
Protokoll: Michael Kwella

Lieferung 2: Die Kultur

Protokoll

Eingangs stellte Lutz Bachmeister die Frage, was denn das Neue an den zuvor gesehenen Beiträgen, was denn das Typische an den neuen Kulturmagazinen sei, um dann Andreas Schreitmüller zu bitten, zunächst einmal das Konzept des „Geldtages“ von 3Sat vorzustellen, da man hier nur isolierte Beiträge habe sehen können.

Schreitmüller: Grundsätzlich erschöpfe sich für ihn der Zusammenhang von Kultur und Fernsehen nicht in der Berichterstattung über Kultur, sondern beinhalte er auch einen anderen Umgang mit dem Medium als gewohnt. Dem Fernsehen käme durchaus ein eigenes Kulturverständnis zu – eben TV-spezifische Kulturformen.

Beim „Geldtag“ habe es sich um den Versuch gehandelt, die Magazinform auf einen ganzen Tag hin auszudehnen. Während übergreifende Zusammenhänge sonst eher zufällig entstünden, habe man sich bemüht, solche im Verlaufe eines Tages deutlich werden zu lassen. Und zwar auf sehr unterschiedliche Weise, mittels sehr spezifischer Beiträge – etwa dem von Harry Rag, von Alexander Kluge oder mit Ausschnitten aus „Geisterfahrer“ von der Medienwerkstatt Freiburg zur Gründung der Öko-Bank.

Geplant gewesen seien zwei Ebenen: Ein ganzer Tag mit Studiogästen und das Einspielen von Filmen; allerdings sei es schwierig gewesen, diese beiden Ebenen spontan zusammenzubringen.

Rosenbauer: Er habe Zweifel an dieser Form – man sei gezwungen, einen ganzen Tag fernzusehen, um die Zusammenhänge verstehen zu können. Gleichwohl fände er es wichtig, neue Formen zu finden, und zwar nicht nur schnellere wie bei „Zak“, sondern auch langsame und längere.

Bei der ARD seien übrigens thematische Bündelungen durchaus möglich und auch schon erfolgt, doch dann auf mehrere Abende oder eine Woche verteilt.

Hachmeister machte zwei Tendenzen aus: Einerseits die thematische Bündelunq von Sujets, andererseits das Assoziationsprinzip wie bei „Freistil“. Ob letzteres der neueste Trend sei, möglicherweise auch eine Art von Masche?

Willemsen: Durch Magazine wie „Freistil“ würde der Kulturbegriff neu definiert – so würde die Flugzeugkonstruktion traditionell eigentlich viel eher der Naturbewältigung zugeordnet. Tatsächliche Kulturinhalte würden nicht mehr dargestellt, sondern eine Art kulturelle Collage geschaffen, deren einzelne Elemente unverständlich seien, erst im Zusammenspiel eine diffuse semantische Aussage ergäben – mithin einen diffusen Kulturbegriff.

Farocki: Es stelle sich die Frage, ob bei dem Aufeinandertreffen der Elemente einer Collage tatsächlich Bedeutung erzeugt oder nur doppelpunktartig eine bereits geäußerte These expliziert werde wie bei der Unterbrechung des Kittler-Interviews durch Teile des Videoclips. Ansonsten sähe er den Unterschied der Magazinformen nicht so wie behauptet. (…)

Hachmeister: Er habe das Gefühl, anläßlich des 50. Jahrestags des Kriegsausbruch hätten die Magazinmacher von Freistil überlegt, was bekommen wir irgendwie zusammen …

Thomas Schmitt: So sei es tatsächlich gewesen. Aber: „Krieg und Fliegen“ habe (als dritte Ausgabe dieses Magazins) die größte zustimmende Zuschauerresonanz erhalten.

Hachmeister: Ob es denn möglicherweise auch darum ginge, mit solchen Formen jüngere Leute mit anderen Sehgewohnheiten an das Fernsehen zu binden?

Rosenbauer: Er wolle ja auch, daß das Fernsehen Spaß mache; so sei er interessiert an traditionellen und an neuen Formen wie der von „Freistil“. Hier würden unabhängigen Produzenten freie Möglichkeiten angeboten, würde mithin ein Spielraum zurückgegeben, der zum Teil aus Ängstlichkeit beim Fernsehen verloren gegangen sei und natürlich spiele die Zuschaueranbindunq dabei eine Rolle. Ansonsten: Wenn ein solches Magazin nicht anecken, nicht Ärger verursachen würde, dann würde es kein Aufsehen erregen, niemand würde darüber schreiben und kaum jemand es sehen. Gleichwohl müsse es die traditionellen Magazine im Sinne von Kulturinformationen geben.

Hachmeister: Wie denn die Entwicklung innovativer Sendungen organisiert sei – ob man ins Ausland schaue, eine eigene Abteilung habe, sich mit Kritikern auseinandersetze?

Rosenbauer: Nach seinen Erfahrungen seien die Debatten mit Kritikern nicht unbedingt ergiebig und von intellektuellen Auseinandersetzungen in Denkabteilungen würde er wenig halten. Nein, er vertraue mehr auf die kreative Kraft der freien Produzenten.

Schreitmüller: Er habe durch den „Geldtag“ die interessante Erfahrung gemacht, daß man nicht immer weiter nach draußen gehen müsse, um für anregende Ideen einmal mehr eine neue Subkultur zu entdecken – eher auch einmal nach innen. Das ZDF habe um die 70 Abteilungen, und er habe interessante andere Arbeitsweisen kennengelernt. Allerdings auch Verkrustungen und fehlende Offenheit für neue Herangehensweisen. Auf jeden Fall wichtig sei die Suche nach neuem Potential innerhalb der Anstalt und die Motivierung, Ungewohntes auszuprobieren.

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Hachmeister: Ob die neuen Formen – wie das Assoziationsprinzip von „Freistil“ nicht auch eine Skandalierungs-Strategie beinhalteten, um das Fernsehen wieder attraktiver zu machen?

Rosenbauer: Natürlich wolle man viele Leute erreichen und selbst bei traditionellen Magazinen würde man den ersten Beitrag auch danach auswählen, welchen zum Inhalt zusätzlichen Reiz (etwa einen erotischen) er aufweise; allerdings würde man den Reiz nicht als Selbstzweck verwenden.

Wobei die Frage der Zuschauerzahlen sehr relativ sei: eine Beteiligung bei Freistil von mehr als einem Prozent – das wäre skandalös.

Werner Ruzicka verwies an dieser Stelle die intentionale Fragestellung der Veranstaltung: Ob denn in den gezeigten Beispielen tatsächlich neue, fernsehspezifische Formen zu finden seien. Und er appellierte, doch möglicherweise das Publikum mehr in das Gespräch einzubinden.

Letzteres blieb erfolglos und das Podiumsgespräch mündete zunächst in einen weiteren Austausch über den Freiraum von „Freistil“, dem Magazin in dem allem Anschein nach Alles möglich sei, bis aus dem Auditorium moniert wurde, das Gespräch sei beschönigend – denn facto sei Vieles im Fernsehen nicht machbar.

Rosenbauer: Selbstverständlich gäbe es Grenzen, etwa durch die Rundfunkgesetze.

Allmählich wurde die (vorsichtig genannt) Zerfaserung des Gesprächs evident, beginnend mit Einlassungen zu der Verwendung von Videoclip-Teilen beim Kittler-Interview über Fragen der Moral, bis hin zur Thematisierung des Endes der Aufklärung. Es fiel unter anderem der bemerkenswerte Satz „Große Erfolge beruhen auf der Reflexion dessen, was man tut“, natürlich mußte auch das Stichwort Generationen-Problem genannt werden, wurde vor einer Entwicklung des Fernsehens wie in den USA gewarnt, bis jemand die Frage stellte, ob man denn mit den drei Beiträgen eigentlich Kulturmagazine gesehen hätte. Wunderschön dann auch die Frage, ob es denn überhaupt neue Kulturmagazine gäbe. Vielleicht hätte man an dieser Stelle noch einmal die Beispiele zeigen und das Gespräch von vorne beginnen sollen …