Film

Die Macht liegt woanders
von Nikolaus Remy-Richter, Stefan Tolz
DE 1989 | 53 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 13
14.11.1989

Diskussion
Podium: Nikolaus Remy-Richter, Stefan Tolz
Moderation: Dietrich Leder
Protokoll: Conny E. Voester

Protokoll

Der Titel des Films könnte über jeder einzelnen Einstellung stehen, denn stets wiederholt sich die Erfahrung, daß es irgendeine Ordnung gibt, die die Dinge – ungeachtet aktueller oder konkreter Bedürfnisse regelt: die Geschäftsordnung des Parlaments, die Schiffsordnung, die Straßenverkehrsordnung…. Aufgrund seiner Verallgemeinerbarkeit sahen die meisten Zuschauerinnen im Film eine Parabel, die in Form einer Studie von Menschen, Ereignissen und Verhältnissen das Spiel (den Reigen) offizieller Politik vorführt: „Man vergißt, daß es sich um Lübeck handelt und überträgt, was man sieht, auf andere Orte und eigene Erfahrungen…“

Als „Bewegungsfilm“ ist Agitation in ihm sichtbar, aber ist sie auch mit ihm intendiert? Für die beiden Filmmacher geht beides zusammen. Sie wollen die Zuschauerinnen auf die Gefahren aufmerksam machen und zum Nachdenken anregen. Dabei richtet sich ihr Interesse weniger darauf, Antworten zu geben, als darauf, Fragen zu stellen. Sie haben sich getroffen mit zwei sich ergänzenden Vorhaben. Nikolaus Remy-Richter hatte geplant, eine politische Initiative (von Bürgern) zu begleiten und dabei sowohl deren Entwicklung zu beobachten als auch die Reaktionen der Politiker auf die Aktionen. Er hatte ursprünglich an eine Greenpeace-Aktion o.ä. gedacht. Stefan Tolz interessierte sich für die Konflikte eines Politikers, die dieser erlebt, wenn er – nahe am (vermeintlichen) Machtzentrum- zu entscheiden hat. Aktueller Hintergrund für die Oberlegungen der beiden waren zum einen die Nuklear-Affären (NUKEM-Transporte etc.) und zum andern die Barschel-Affäre (Frühjahr 1988.).. Gemeinsam machten sie sich auf die Suche nach Bürgern, die sich gegen Mißstände zur Wehr setzen, stellten außerdem fest, daß offenbar an/in Häfen besonders viel geschieht und sie sich für Darstellungen (Demonstrationen) eignen.

Ihr Konzept sah anfangs vor, mehrere Leute zu begleiten und ihnen entsprechend viel Platz einzuräumen. Während der Arbeit konzentrierten sie s ich dann jedoch auf wenige und schließlich auf den Bürgermeister. Ihm, so wurde kritisch eingewandt, sei durch das Interview; die Möglichkeit zur Selbstinszenierung eingeräumt worden, die die Filmemacher als Jung- und Widerstandsfilmer in das Spiel integrieren ( ‚Kumpanei‘ ). Darüberhinaus sei die Interview-Form beliebig und führe – ähnlich wie jene Sequenzen, in deren Montage ein Kommentar der Filmemacher zu erkennen ist – weg vom Interesse an den Vorgängen. Es sei einfach auch spannender, den Leuten in Aktion zuzuschauen und aus der eigenen, genauen Beobachtung seine eigenen Schlüsse zu ziehen.

Zum Hintergrund der Eingangsszene, in der man den Bürgermeister eine Weinflasche öffnen sieht, erklärten die Filmemacher, sie sei eher zufällig aufgenommen worden : Nach dem Gespräch lief das Videoband weiter, die Kamera stand eingeschaltet daneben, keiner sah durch. Davon abgesehen, daß sich darüber streiten ließe, ob die Szene nicht genauso gestellt ist (und ob auch dies von einem kritischen Publikum registriert wird), sprach nach Meinung der Filmemacher dafür, dieses Mittel zu verwenden, daß der Bürgermeister in Lübeck große Popularität genießt (mit dem Interesse an seiner Person also auch Interesse am Film geweckt werden kann?) und es außerdem für die Dramaturgie wichtig ist, ihn vor seinem Auftritt bei der Blockade, inmitten der schweißtreibenden Entscheidungsnot, als Menschen mit „Wein, Weib, Gesang“ kennengelernt zu haben.

Als ‚konventionell‘ wurden die Erklärungsmethoden des Films kritisiert (Beispiel: Druckerpresse ergibt Tageszeitung ergibt Schlagzeile), die von den beiden Filmemachern bewußt als Spielfilmdramaturgie eingesetzt waren und von anderen Zuschauern als gelungene Darstellungsform gelobt wurden (Beispiel: Telephongespräch). Das Lob bezog sich insbesondere auf das Problem, wie Gedanken und Meinungen darstellbar werden. ohne ‚wie aufgesagt‘ zu wirken. Darin unterschied sich „Die Macht liegt woanders“ auch positiv vom zuvor gezeigten Film „Erinnerungen an Rheinhausen“ , wobei beide Filme es in der Realität mit deprimierenden politischen Ereignissen zu tun hatten. Im Gegensatz zum „Rheinhausen“-Film, der vor allem als Mitleids-Appell verstanden wurde, waren in „Die Macht liegt woanders“ die Vorgänge in kleine Schritte aufgelöst. Bei aller Distanz zum und Absurdität des Gezeigten verleitet diese Darstellung weit eher dazu, sich politische Fiktionen auszudenken. Gerade im Kontrast zur ‚Politik als Farce‘ erweise sich das Pathos derjenigen, die betroffen sind, als berechtigt. Wenn beispielsweise ein älterer Bürger auf die ‚Dringlichkeit von Atemluft‘ hinweist, wird die Rhetorik des Parlaments auf ihre Menschenfeindlichkeit hin durchsichtig.

Ergänzend zum Film verwies eine Zuschauerin auf die Beteiligung einer Duisburger Transportfirma ( GNS ) an den NUKEM-Transporten. Merke: Die Kreise schließen sich in Duisburg!

Für Nikolaus Remy-Richter besteht eine Herausforderung än den Dokumentarfilm, sich im Bewußtsein der Verwischungen. mit denen Politik heute gemacht und wahrgenommen wird, bewußt auf psychologische und irrationale Momente einzulassen. Als bloße Darstellung von Fakten sieht er filmische Mittel als ineffektiv an. Ihm ist Aufklärung wichtig und – im Zusammenhang damit – auch die Verbreitung. So erklären die beiden Videofilmer auch, warum sie den Film auf Zelluloid überspielen ließen : Auf Video sei es viel schwieriger, ihn öffentlich vorzuführen.