Film

Wenn es nicht so ernst wäre, müßte man weinen
von Michael Geyer, Christian Berg
DE 1988 | 45 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 12
11.11.1988

Diskussion
Podium: Helmut Laakmann (Mitglied im Streik-Kommittee von Krupp/Rheinhausen)
Moderation: Dietrich Leder
Protokoll: Michael Kwella

Protokoll

Dietrich Leder: Ein Film aus Versatzbildern, Einzelaufnahmen, Stimmungsmomenten – noch voller kräftiger Worte, die später jedoch nicht in Taten umgesetzt  worden seien.

Ein Zuschauer: Ähnlich wie bei WiIdenhahn („Stillegung“) kämen vor allem ältere Menschen zu Worte, vorkriegsgeprägte Persönlichkeiten – dies fände er problematisch, wenn ein Funke auch auf andere Altersgruppen überspringen solle. Menschen jüngeren und mittleren Alters seien nicht repräsentiert, kein Wunder, wenn im Film dann eine eher resignative Tendenz erscheine.

Ein über das Filmprojekt offenbar etwas informierter: Die Autoren hätten nur den engen Bereich der Margareten-Siedlung in Rheinhausen betrachten wollen; alle Protagonisten des Films würden mit einer Ausnahme in dieser Siedlung wohnen. Allerdings dürfe man wohl auch jüngere Einwohner dort vermuten.

Laakmann: Er fände den Film gut, weil endlich einmal andere als die „Promis“ zu Wort gekommen seien und weil endlich einmal das sonst nur unter den Kumpels Bekannte seinen Weg in die Öffentlichkeit gefunden hätte. So sei: zu sehen, „welches Pfund bei den Leuten steckt, die nicht in der großen Politik sind“. Fragwürdig fände er jedoch, daß Christian Berg und Michael Geyer, die Regisseure, für ihre Gespräche Menschen ausgesucht hätten, die den Klischee-Vorstellungen von Menschen im Ruhrgebiet entsprächen, jedoch schon lange nicht mehr typisch für das Revier seien.

Bedauerlich sei außerdem, daß zwar ein Demonstrationszug durch die Siedlung gezeigt werde, nicht jedoch sein Ziel (das Duisburger Rathaus) und die dortigen Aktionen. Diese seien voller Power gewesen und hätten die Hilflosigkeit von Politikern und Polizei gezeigt.

Dietrich Leder: Am Sendetag des Films „War die Sache schon gelaufen“ (das heißt, die „Zukunft“ von Rheinhausen beschlossen). Habe der Film noch dem damals vorherrschenden Gefühl entsprochen?

Laakmann: Er selbst sei unmittelbar Beteiligter und kenne die Leute aus dem Film – so habe bei ihm die Freude überwogen, diese Menschen zu sehen. Sicherlich sei es kein Film für konkrete Verwendungszwecke nach der damaligen Situation, eher ein Zeitdokument über die Gefühle der Menschen. Auswirkungen auf die Arbeiter in Rheinhausen habe der Film nicht gehabt.

Pim Richter (Berlin): Als Nichtkenner des Ruhrgebiets habe ihm der Film eindrucksvoll das Milieu des Kleinbürgertums vor Augen geführt: Zum einen die ausgeprägte Identifikation mit Krupp, zum anderen die Angst vor dem, was nach dem „Plattmachen“ von Rheinhausen käme. Plausibel geworden seien ihm die Ängste des Kommunismus und die Konkurrenzgefühle gegenüber Ausländern; eben bei den Leuten, die sich nach dem Krieg eine kleine Existenz aufgebaut hätten und inzwischen glaubten, in Sicherheit leben zu können. Sie würden natürlich jetzt das (in ihren Augen) Schlimmste fürchten.

Laakmann: Einer jener älteren Kollegen, die im Film ihre Angst vor dem Kommunismus artikuliert hätten, sei dem Kegelclub der MLPD (Marxistisch-leninistische Partei Deutschland) in Rheinhausen beigetreten. Er sei an einen Punkt gekommen, an dem er darüber nachdenke, in welchem System er lebe, und beginne, auch Grundsätzliches einmal in Frage zu stellen.

Ein Zuschauer bezeichnete es als gefährlich, wenn – wie im Film geschehen – der EInfluß von Krupp nur negativ dargestellt werde. Das gehe an dem Bewußtsein der Leute vorbei, die auch von den Sozialleistungen des Werks profitieren würden. Ein Metaller: Nein, da habe sich in den Köpfen schon Einiges geändert. Die jüngere Generation sähe die Sozialleistungen durchaus kritisch, sie wisse, daß die Krupp-Krankenhäuser mit dem Geld der Arbeiter gebaut worden seien, daß die Arbeiter ihr Geld im Krupp-eigenen Konsum ließen.

Und die Perspektive?

Laakmann: Laut Umfrage-Ergebnissen gäbe es kaum einen Punkteverlust für die SPD in Duisburg; in Rheinhausen sei hingegen die Frage „Welche Partei tut etwas gegen die Arbeitslosigkeit?“ mehrheitlich mit „Keine“ beantwortet worden. Und „Wer unternimmt etwas gegen die Arbeitslosigkeit?“ habe nicht die erwünschte Antwort „Die IG Metall“ erbracht, sondern „Der Betriebsrat von Krupp“. Da sei ein neues politisches Bewußtsein entstanden, weil die Gewerkschaften und die Parteien nichts für den Arbeiter getan hätten.

Der Aberwitz: Bald nach der „Beleidigung“ des Konflikts sei Krupp ausgebucht gewesen mit Aufträgen bis einschließlich des ersten Quartals 1990, seien bis jetzt 25.000 Überstunden gefahren. Er frage sich, ob dieser Trend nicht vorher absehbar gewesen wäre. Die seinerzeitige Radikalität des Konflikts sei hausgemacht gewesen durch die Polarisierung „Platt machen“/Erhalt auf Dauer; ein langfristiger Plan wäre angesagt gewesen – jetzt, wo er von der Auftragslage her durchaus möglich wäre, rühre sich jedoch nicht.

Leder: Er frage sich, warum sich jetzt nur so schwer etwas bewegen ließe. In der Geschichte passiere immer etwas zunächst von oben, worauf sich dann reagieren ließ. Offenbar wisse man jetzt nicht, was agierend zu tun sei.

Laakmann: Doch. Beispielsweise ließe sich die Zeitschiene des Arbeitsplatz-Abbaus von 2 auf 4 Jahre verlängern.

Ansonsten: Die Nichteinmischung in betriebliche Belange von außen könne vielleicht für den Bäckerladen an der Ecke gelten, nicht aber für einen 100jährigen Großkonzern, der staatliche Unterstützung erhalten und erheblichen Einfluß auf die regionale Infrastruktur genommen hätte. Er dürfe sich aus seiner Verantwortung und Stadtanbindung nicht wegstehlen, müsse dazu verpflichtet werden können, neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Doch innerhalb der Belegschaft sei nichts mehr in diese Richtung aufgekkommen, man sei eben „platt gemacht“, Resignation habe sich verbreitet.

Leder: Wie bei Wildenhahn und in anderen Filmen sichtbar: Es wären so viele Niederlagen in den letzten Jahren gewesen.