Protokoll
Es war eine der besonders hektischen Diskussionen der Filmwoche. Das mag zum einen am Film gelegen haben, wie die Diskussionsteilnehmer bemühten festzuhalten. Es lag zum anderen sicher auch am Zeitpunkt der Debatte. Es hatte sich einiges die Filmwoche über angestaut, das zum Ausbruch drängte. Eine gewisse Ungeduld mag der nachfolgenden Fete geschuldet sein, die manche Gedanken blockierte oder erst recht stimulierte. Der Protokollant verhehlt nicht, daß die Emotionen der Debatte sich auf seine Notierqualitäten niedergeschlagen hat. Das Protokoll mag deshalb subjektiver denn gewöhnlich geraten sein. Sorry!
Mit der Frage nach den Kriterien der Auswahl dieses Films begann es. Und gewohnt flapsig antwortete Werner Ruzicka: „Schon wird es ernst“, ehe er die Auswahl begründete. Das gute Programm einer Filmwoche müsse mit dem eines guten Fernsehangebots vergleichbar sein. In ihm hätte dieser Film an dieser Stelle seinen Platz gefunden. „Wir haben den Film gemocht“, war ein weiteres Argument der Auswahl. Als Spielfilm, der mit dokumentarischen Formen arbeite, habe er desweiteren seinen Platz gefunden. Die Frage nach der Berechtigung im Programm einer laut Gerücht streng dokumentarisch ausgerechneten Filmwoche habe er im Grunde eher bei „Drachenfutter“ erwartet. der zwei Tage zuvor gezeigt und diskutiert worden war. Mit der Aufforderung. die Anwesenden könnten ja die Gegenrede halten, forderte Reaktionen heraus.
In der ersten Wortmeldung teilte eine Zuschauerin das vom Diskussionsleiter vorgegebene Geschmacksurteil. Sie möge den Film auch, könne sich aber vorstellen. weshalb ihn andere nicht mögen würden. Der Film repräsentiere ein Spiel mit erotischen Ferment sei „hippiemäßig“ gemacht, gehöre einer vergangenen Dekade an. Die Figuren spielten sich ein bißchen sich selber. „Es hatte so etwas Spaßiges“, schloß sie ihr Plädoyer, das prompt von einem weiteren Zuschauer gestützt wurde: „Es hat mich wunderbar unterhalten“. Allerdings wäre ein männlicher Regisseur für diesen Film auf der Bühne „zerhackt worden“.
Monika Schmid suchte in ihrer ersten Wortmeldung, die Dinge zu präzisieren. Die Darsteller hätten die Chance wahrgenommen, die sich ihnen bot. Der Film zeigt ein Stück weit die Erfahrungen im Business. Sie habe allerdings weniger Wert auf die perfekten Sanges- und Darstellerleistung gelegt, sondern auf die Darstellung des Versagens. „Nichts wäre mir lieber, als über dieses Versagen einen Dokumentarfilm gedreht zu haben.“
Werner Ruzicka ergänzte seine Qualitätsbeschreibung des Films, wohl angesichts der spürbaren, wenn auch bislang unartikulierten Aversionen gegen das Werk, indem er die Unmittelbarkeit und den Charme der Produktion lobte. Das, endlich, provozierte das erste öffentliche Verdikt wider den Film. Ein Zuschauer erklärte, daß er den Film absolut dilettantisch finde, daß nichts an ihm stimmen würde. Die Regisseurin erläuterte die Produktionsbedingungen, wohl als Replik, sprach vom enormen Termindruck der Arbeit, erwähnte, daß mit der Kamerafrau beispiels- weise keine Gespräche über die Bildauflösung stattgefunden hätten, so daß diese aus dem Stand aufgelöst hätte, was dazu führte, daß man eine Reihe von Aufnahmen einfach nicht gebrauchen konnte, weil etwa Anschlüsse fehlten. Aber: „Ich fand es wichtig, den Film allen Widrigkeiten zum Trotz fertigzustellen.“ Auch weil sie sich moralisch dazu verpflichtet sah, da viele umsonst für diesen Film gearbeitet hatten. Generell wollte sie bei den Dreharbeiten viel zu lassen und ausprobieren. Die Geschichte veränderte sich ständig durch das Leben, so habe der Tod des Vaters eines Darstellers den Film unmittelbar geändert. Die Regisseurin erläuterte dann weitere Details der Dreharbeiten, wie sich aus Improvisationen langsam das fertige Ergebnis herausgeschält habe, die Szene mit dem Schrei hätten sie übernommen, weil der Tonmann während des Drehs erklärt hatte: „Schrei nicht so!“
Ein Zuschauer fragte nach, ob die Darsteller es gemochten, das, was sie darzustellen hatten? Nein, antwortete Monika Schmid, sie hätten darunter gelitten, daß bestimmte Dinge beim Schnitt weggefallen seien. Die Macken ihrer Darstellung sehen sie nicht. Monika Schmid berichtete, daß eine der Darstellerinnen im neuen Film von Wim Wenders mitspielen konnte:
Als jemand noch einmal die Qualitäten des Films benannte, seine Spielfreude lobte, und gleichzeitig den Vorwurf der Funktionalisierung der Darsteller zurückwies, schien er für einen Teil der Anwesenden zu sprechen. Auch andere gestanden jetzt ein, den Charme des Films verspürt zu haben. Monika Schmid gab das wohl den Mut, von der Angst zu sprechen, die sie verspürte, den Film hier zur Diskussion zu stellen. Sie betonte noch einmal daß sie den Film als Test gesehen habe und daß das alles noch nicht für sie vorbei sei. Diese Erfahrungen habe ihren Blick auf den Film (wohl generell) verändert. Sie betonte noch einmal, daß das Publikum hier sehr viel verhaltener auf den Film reagiert habe.
Ein Zuschauerkompliment „Ich garatulier Dir zu Deinem Film“ beendete die merkwürdig zerfahrene Diskussion, in der wohl viele Agressionen, die der Film aus welchen Gründen auch immer ausgelöst hatte, nicht zur Sprache kamen.
Und die Fete begann…