Film

Zeit der Stille
von Thorsten Näter, Hans Kudnewsky
DE 1986 | 82 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 10
07.11.1986

Diskussion
Podium: Thorsten Näter, Hans Kudnewsky
Moderation: Bärbel Schröder
Protokoll: Jochen Baier

Protokoll

Der Schluß des Films, der Werner Ruzicka als stilisierte Pointe erschien, bildete den thematischen Mittelpunkt der Diskussion: Inwiefern verrate dieser Schluß, in dem die beiden Protagonisten durch einen kleinen Irrtum im Zusammenhang mit der Benutzung fernmeldetechnischer Einrichtungen – kurz: einem dummen Zufall – doch noch sich (akustisch) begegnen, die Methode des Films bzw. dessen gesamte bis dahin unaufgelöste Glückssuche an eine billige Versöhnung mit dem schlechten Bestehenden, das der Film doch so genau erfasse (so v.a. W. Ruzicka und D. Leder) – oder: inwiefern sei dieser Schluß absolut erforderlich, wolle man nicht angesichts der beschriebenen Großstadtisolation in Wehleidigkeit und Larmoyanz verfallen (so v.a. Th. Näter).

Näter erklärte, sich in seinen Filmen kritisch mit einer schlimmen Umwelt auseinanderzusetzen, bedeute doch auch, gegen die latent angelegte Resignation, die im Schlimmen sich bestätigt, anzugehen. Ihm gehe es um den Erhalt des Widerspruchs, daß Menschen noch in der ausweglosesten Situation Witze sich erzählen.

Stimmungsmäßig hätte seines Erachtens das Berlin-Bild des Films nicht gepaßt ohne diesen Schluß. Schließlich gebe es ja Dialog in der Stadt und nicht etwa nichts. Man sei sogar in der Stadt eher bereit, miteinander zu reden, weil man von den Folgen eines solchen Gesprächs befreit sei. Der Dialog, der keine Konsequenzen habe, sei recht eigentlich großstadttypisch. Gleichzeitig bewege man sich in der Großstadt in einer Mangelsituation, die sehr viel unaufgearbeitete Sehnsucht produziere. Diese habe der Filmschluß weitertransportieren wollen.

Es sei aber eher eine Diskreditierung der Sehnsucht, die nach W. Ruzickas Einschätzung der Schluß transportiere. Der Film, dessen inszeniert/dokumentarische Methode Ruzicka als beispielhaft bis brillant lobte, zeige so viele Berührungspunkte und deren Scheitern – alle wollen reden, aber es komme nicht dazu… – der Schluß versöhne die Erzählung mit der Verhinderung von Kommunikation in der Stadt – preisgegeben werde dafür die Sehnsucht.

Ähnlich argumentierte Dietrich Leder, der an der Schlußpassage zusätzlich bemängelte, daß hier ein Großstadtklischee (zufällig die falsche Telephonnummer) mobilisiert werde, das rückwirkend dem gesamten Film, der zwar Abstruses, doch nicht erzwungen Lächerliches bringe, eine Einheit im Versöhnlichen aufpräge. Durch die scheinbare Aufhebung werde den brillanten Montagen einiges von ihrer Wirkung genommen.

Näter entgegnete, die Entscheidung für diesen Schluß sei letztlich eine emotionale gewesen; Kritik komme auch fast ausschließlich aus dem Kreis der Kollegen, während das Publikum keinen Anstoß nehme. Der Schluß bereite eher einem Gefühl, einer Hoffnung den Weg.

Weitere Diskussionsbeiträge beschäftigten sich mit der Methode von Näters Inszenierung, die durchweg als eine spannende „Mischform“ (Ruzicka) erlebt wurde, in der die Inszenierung die Akteure in ein dokumentarisches Bühnenbild stelle, das wie durch eine Folie transparenter werde.

Näter wollte diesen Begriff der „Mischform“ auf seinen Film allerdings nicht anwenden; er sehe den Film als Spielfilm.

Nach der Spontaneität der Arbeitsweise befragt, wies er auch darauf hin, daß er zwar mit einem möglichst schmalen Konzept angefangen habe, keinesfalls aber· ’spontan‘ gedreht habe. Für jede Sequenz habe ein Auflösungskonzept bestanden, das er in langen Motivbesichtigungen mit seinem Kameramann per Dialog, später mit einer Videokamera entwickelt habe.

Es sei in einer Stadt auch nicht alles ständig anders als am Vortag, d.h. es gebe zyklische Vorgänge, die man nicht habe inszenieren oder vorplanen müssen; z.B. fahren immer Menschen mit der U-Bahn, oder in einem Kaufhaus gebe es beobachtbare Vorgänge. die wiederkehrten usw. – gleichzeitig wolle er das nicht „spontan“ nennen. Man habe allerdings nie in die dokumentarischen Situationen eingegriffen, wenn sie einmal passierten. Niemand sei für das Team angetreten.

Dietrich Leder bemerkte hierzu, dennoch sei während des ganzen Films die Allmacht des Cutters spürbar gewesen, der das Spiel mit dem dokumentarischen und dem – nachgedrehten – inszenierten Material auf faszinierende Weise beherrsche.

Auch hier widersprach Näter: Es sei die Macht des Materials, nicht die des Cutters die entscheidende. Ein Cutter könne nur Wachheit beweisen, nicht Nacht haben. So denken Literaten bestimmte Figuren sich aus, und ab einem ‚- bestimmten Punkt machen die Figuren mit dem Literaten, was sie wollen.