Film

Wer nicht will deichen, der muß weichen
von Jörg Bookmeyer
DE 1984 | 45 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 8
07.11.1984

Diskussion
Podium: Jörg Bookmeyer
Moderation: Brigitte Krause
Protokoll: Dietrich Leder

Protokoll

Zwei Filme, zwei Diskussionen.

Zunächst: DER UNTERGANG DER AG WESER erhielt – von einigen wenigen, am Detail festgemachten Einsprüchen oder Nachfragen mal abgesehen – nur ein uneingeschränktes Lob. So fand Anerkennung, daß es den Filmemachern gelungen sei, dieses Leben, diesen Kampf abzubilden. Es wurde die Art der Aufnahmen – besonders die Kamera von Hörmann in der besetzten Werft -, die Montage und Wahl wie Einsatz der Musik gepriesen. Das Lob stand so mächtig im Raum, daß die einzig gewichtigeren Einwände von den Filmemachern selbst herbeizitiert werden mußte. So berichtete Hörmann davon, daß der Einsatz der Brahms-Themen bei Linken auf Kritik gestoßen sei („Warum nicht Eisler?“), daß man die Musik kitschig genannt hätte, daß sie den Dokumentarfilm seiner analytischen Fähigkeiten berauben würde. Mitscherlich entwickelte, an dieser zitierten Kritik ansetzend, sein Verständis von Musik. Sie sei zwar auf der einen Seite etwas, was auf Gefühle abziele oder diese ausdrücke. Gleichzeitig sei sie aber etwas Hoch-Abstraktes, in der Organisation ihres Materials beispielsweise.

Die Feststellung eines Zuschauers, daß die Musik ausdrückt, daß die Werftarbeiter kämpfen müssen, aber nicht gewinnen können, wurde allgemein akzeptiert. Gleichfalls die Behauptung, daß der Film die Trauer um diese Situation angemessen umgesetzt habe. Die weiteren Diskussionbeiträge zielten einmal auf die Sache selbst, also auf Fragen, die die Werftenkrise, die Betriebsbesetzung, den Organisationsgrad der Arbeiter, ihre Perspektiven im Kampf zum Thema hatten. Darüberhinaus interessierten sich einige dafür, wie der in Aussicht gestellte Langfilm zu diesem Ereignis aussehen werde. Auf diesen zweiten Diskussionstrang möchte ich mich hier begrenzen.

Die Filmemacher erzählten von der Entstehungsgeschichte dieser Fassung: Seit 1974 (bei den Arbeiten zu DIE VULKANWERFT IM METALLERSTREIK) habe Kontakt zu Werftarbeitern in Bremen bestanden. Man hatte den Arbeitern der Vulkanwerft versprochen, falls es, wie es alle erwarteten, zur letzten großen Werftkrise in Bremen kommen werde, einen Film über die Betriebsschließungen zu drehen. Als dann nicht die sich in Bremer Stadtstaatbesitz befindliche Vulkanwerft sondern die AG Weser zur Schließung anstand, hätten die Vulkanwerfter gebeten, den Film mit den Kollegen von der AG Weser (einer Werft, die wie Saurien ausführte, seit 1954 als „befriedet“ galt) zu drehen. Sie hätten ca. 20 Stunden Material aufgenommen, auf eigene Kosten. Radio Bremen (Redaktion: Elmar Hügler, der nach bescheidener Meinung des Protollanten wohl derjenige Redakteur mit den meisten Filmen in Duisburg) sei erst später dazugestoßen und habe für einen 43-Minuten-Film die üblichen Finanzmittel bereitgestellt. Die Langfassung werde keine reine Ausweitung des vorhandenen Filmes sein, vielmehr wolle man vom heutigen Ist-Zustand ausgehen (nur wenige von den entlassenen Werftarbeitern haben einen Arbeitsplatz gefunden, manche hätten eine Umschulung begonnen, die überwiegende Mehrzahl sei arbeitslos gemeldet und einige wenige seien ganz aus ihrer bisherigen Berufstätigkeit ausgestiegen, einer sei beispielsweise Hausmeister geworden), um einen Gang durch die Geschichte zu unternehmen. Die historischen Teile sowie die Teile, die sich auf die Perspektiven des Kampfes (Stichwort: alternative Produktionsweisen) beziehen, werden dann ausgeweitet. Die Versteigerung der Maschinen auf der Werft habe man im übrigen nicht mehr drehen dürfen, gegen ihre Anwesenheit habe die Versteigerungsfirma protestiert. Im Gespräch über die Langfassung betonte Hörmann, daß er persönlich noch nicht genau wisse, wie ein solcher Film aussehen könne. Er habe das Gefühl, er habe schon alles gesagt. Außerdem sei die Finanzierung bei weitem noch nicht gesichert.

Auch WER NICHT WILL DEICHEN, DER MUSS WEICHEN fand Beifall. Die Kritik, die geäußert wurde, begriff sich als konstruktiv, war darauf abgezielt, dem Filmemacher die Qualität seiner Arbeit zu verdeutlichen. Er solle sich doch in Zukunft noch stärker auf die unmittelbaren Nahwelten konzentrieren, auf das Abschildern mikrostruktureller Veränderungen statt auf die Untersuchung von Großkomplexen, in der er nur abstrakt und nicht anschaulich arbeiten könne. Als Gegensatz wurde dabei die Bearbeitung der beiden Themen des Filmes begriffen (hie: die Folgen der Verdeichung, dort: die Versehrnutzung der Nordsee allgemein). Bookmeyer bestand darauf, daß beides zusammengehöre, ja, er gab sogar zu, davon zu träumen, bei mehr Produktionsgeld eine große Recherche (mit Flugzeug, Hubschrauber etc.) nach Verschmutzern der Nordsee durchzuführen. Auch einem weiteren Vorschlag von älteren Filmemacherkollegen schien der Regisseur nicht ohne weiteres folgen zu wollen (und zu können). Man schlug ihm vor, die Folgen der Verdeichunq in einem Langzeitprojekt aufzunehmen. Bookmeyer erwiderte, daß die sichtbaren Veränderungen in Folge der Verdeichunq erst über einen Zeitraum von zwanzig, dreissig Jahren zu registrieren seien, und daß das nun ein wahrlich zu großer Zeitraum sei.

Im Anschluß an eine Zuschauerbemerkung, die ihren Zweifel an den Moden apokalyptisch-ökologischer Universalkatastrophen anmeldete, sprach man über die Qualität der Einzelbilder, was sie vom Watt wie zeigen, ob die Schönheit der Bilder die Schönheit des Watts transportiere und wie diese abgebildete Schönheit zum Grad der mehr oder minder unsichtbaren Zerstörung stünde. In diesem Zusammenhang wurde noch einmal deutlich, daß die „Heimatverteidiger des Watts“ von außen, aus der Fremde kommen, während die Einheimischen durchaus zum Eindeichen bereit seien. Ihnen, den „CDU-Deich-Bewohnern“ zuzuhören, mache ihm auch Spaß, betonte Bookmeyer zum Schluß. Sie verstehen zu lernen, darauf sei er auch deshalb neugierig, weil er in ihnen beispielsweise die Haltung seines eigenen Vaters wiederfinde. Ohne daß er das explizierte, bezog sich die geäußerte Neugier wohl auf die Frage nach dem apokalyptischen Stimmungsbild, ihm geht es wohl auch darum zu begreifen, wie die Menschen mit diesen Vorstellungen von Zukunft, von Veränderung und Zerstörung zurechtkommen.