Protokoll
Erwartungsfroh strömten die Zuschauer der 8. Duisburger Filmwoche in den Kinoraum, in dem das Werkstattgespräch stattfinden sollte und der sich bei Gesprächsbeginn so gefüllt hatte, wie es in den Tagen zuvor nur höchst selten zu beobachten war. Zuvor war bereits der S-8mm-Film „Gruorn“ (von Gerold Hoffmann und Angelika Müller) gezeigt (und auch diskutiert) worden, der nun in alter wie zwei neuen Musikversionen (von Reiner Goebbels bzw. Piet Kloeke komponiert/arrangiert) noch einmal ausschnittweise per Video-Beam vorgeführt werden sollte. Anschliessend sollte die Diskussion über das Gehörte/Gesehene zu einer eher allgemeinen Erörterung des Themas übergehen.
Als Faktum dieses Gespräches lassen sich zwei Punkte vorab festhalten: 1) Trotz einiger technischer Schwierigkeiten (die von der Videocrew erstaunlich gelassen und zielsicher beseitigt wurden – daran können sich einige FILMemacher, die sich stets (zu Recht) über die miserablen Filmprojektionsbedingungen in Duisburg aufregten, ein Beispiel nehmen) überzeugte das Demonstrationsverfahren, dreimal die Tonfassung eines einzigen Filmes zu verändern. Die Zuschauer reagierten mit spontanen Geschmacksurteilen, die einiges über das jeweilige Wertsystem verrieten, dem sie entsprangen. 2) Und vielleicht war es diese Qualität/Faszination des Konkreten, die die nachfolgende allgemeinere Erörterung des Verhältnis zw. Dokumentarfilm und Musik zum absoluten Geschwafel degradierte. Man hielt Fensterreden, die bestenfalls noch dazu taugten, die eigene Filmarbeit zu popularisieren, Beiträge, die an kaum einer Stelle auf etwas bezogen war, was ein Vorredner erwähnt hatte, Einwürfe, die mehr Happening- denn Diskussionscharakter trugen. Der Erfolg: Der Saal leerte sich in Rekordgeschwindigkeit, und das Gemurmel und die Geräusche der Verschwindenden übertönten fast die mirkophonverstärkten Stimmen der Redner.
Zum Verlauf: Theo Janßen befragte den „Gruorn“-Regisseur Hoffman zunächst danach, wie seine Musikauswahl, die ja durchaus etwas „erdverbundenes“ hätte, zustande gekommen sei. Sie hätten, antwortete der Regisseur, in den Schallplattenschrank gegriffen, weil sie keinen Kontakt zu Musikern besäßen, die ihnen eine Originalmusik hätten komponieren können. Die einzelen Stücke seien allerdings nicht „wahllos“ in den Film gekommen, man hätte sich schon überlegt, welches Stück an welchen Platz gehöre, etwa die Folk-Musik als Einstieg/Annäherung an das Land und die gesitliche Musik zur Kirchen-Sequenz. Von den beiden Neufassungen gefalle ihm die Goebbels-Version „musikalisch“ besser, sie würde er sich auf Schallplatte gerne kaufen, doch als Filmmusik sei sie zu stark, da hätte ihn Klockes Version schon eher überzeugt.
Da die beiden Komponisten keine großen Diskussionsvorgaben machen wollten, sie hatten ja die Beispiele vorgelegt, erhielt das Publikum die Chance, zu Wort zu kommen. In der ersten Wortmeldung wurden die beiden neuen Versionen erst einmal charakterisiert, Klockes Fassung sei „Programm-Musik“, setze die Musik im Sinne der Intention der Filmemacher ein, während Goebbels etwas dem Film Entgegengesetztes komponiert habe. Ein anderer Zuschauer will schon jetzt erst einmal die Begriffe „dokumentarisch“ und „Musik“ definiert haben, was bei seinem nachfolgenden Redner auf Widerspruch stößt, es sei doch ganz einfach: Die eine Musik sei dem Film unterlegt, deshalb sei sie etwas Sekundäres. Die andere von Goebbels setze etwas gegen den Film, und das sei richtig, denn Film bestünde immer aus Bild und Ton, und beide könnten ruhig miteinander in Streit geraten. Aber schon im nächsten Beitrag wurde dieser Einfachheit widerstritten. Es sei doch eher so, daß der jeweilige Komponist Mit-Regisseur zu nennen ist, der sich in den Intentionen mit dem Regisseur arrangiert. Er hätte Klockes Beitrag durchaus „subtil“ gefunden. Auch im nächsten Wortbeitrag wurde Klockes Version verteidigt. Sie sei gar nicht „bloße Untermalung“, nein, die Musik kündige bei den Eingangsbildern eine Auseinandersetzung mit den Bildern der scheinbar heilen Landidylle an. Die zweite Musik habe sich stattdessen „völlig über die Bilder gelegt“, diese damit dominiert.
Hierauf meldete sich Heiner Goebbels zu Wort und erklärte, daß er wirklich nicht wisse, ob man so wie er es getan hätte, einen Film anfangen lassen könnte. Generell sei er der Ansicht, daß es noch zuviel Überflüssiges in der Musik gebe. Piet Klocke antwortete auf den Vorwurf, in seiner Version sei zuwenig Spannung enthalten, daß das an den Produktionsbedingungen gelegen hätte, zuwenig Zeit, zuwenig Experimentiermöglichkeit.
Dann hatte das Publikum wieder das Wort. Mit den Worten, sie besäße gegen Tautologien eine Abneigung, begann eine Zuschauerin in einem längeren Beitrag ihre Einschätzungen des Verhältnisses zwischen Dokumentarfilm und Musik zu referieren. Beide Versionen enthielten durchaus Tautologien, auch bei Goebbels seien sie zu finden, etwa wenn ein bestimmter Knall (Trommelschlag?) bei einem bestimmten Bild, das eine Waffe zeige, eingesetzt sei. Auf diese konkrete Stelle ging der angesprochene Komponist ein, indem er sein Verfahren erläuterte: er habe einen Konzertmitschnitt, ausgewählt, eine bestimmte Stelle genommen und über den Anfang des Filmes gelegt. Daß der Knall, genau an dieser Stelle gelandet sei, wäre deshalb nichts als reiner Zufall. Zugeben müßte er allerdings, daß das Konzert durchaus auf das Thema „Krieg“ zugeschnitten gewesen wäre, und daß deshalb einige Geräuscheffekte zu Recht Assoziationen an Kriegslärm geweckt hätten. Die längere Dialogsequenz habe er im übrigen dem John-Wane-Film „Düsenjäger“ – an dieser Stelle hat der Protokollant nicht genau aufgepasst, deshalb kann für den Filmtitel keine Gewähr/Gewehr übernommen werden. Goebbels fügte hinzu, daß er die Originalmusik der Filmemacher „entsetzlich harmlos“ gefunden hätte, daß sie die Simplizität eines Holzschnitts besitzen würde.
Ein Zuschauer unternahm erneut den Versuch der Definition dessen, worum es denn überhaupt geht. Er sah in jedem Film generell drei „Musiken“, die der Leute, die man filmt, die des Filmemachers und dann die der Zuschauer. Deshalb sei die Frage, welche Musik man einsetze, immer die Frage, welche Musik man für den Einsatz des Fil.ms bedeutsamer halte. Auf diese Definition ging kein weiterer Zuschauer mehr ein, stattdessen wurden immer neue Definitionen aneinandergereiht. Man erging sich in Banalitäten wie „Musik und Film sind zwei Grundelemente, die nur schwer zu vereinbaren sind“ oder „Die Liebe der Dokumentarfilmer zur Musik ist eine unglückliche“. Man erinnerte an die Traditionen des Kulturfilms und seinen Musikeinsatz, beschwor die Dokumentarfilmgeschichte und fragte nach der Wirkung von Filmmusik: „Was läuft eigentlich auf der emotionalen Schiene ab?“
Wichtig vielleicht nur zwei einzelne Anmerkungen, die leider in der Menge der Worte untergingen. Einmal wies ein Filmemacher darauf hin, daß die Musik stets für den Filmemacher auch ein Ausweg war. Mit ihr konnte er die Löcher stopfen, die schlechte Recherche, mangelnde Plausibilität und ungenügende Dramaturgie reißen würden. Und dann hatte einer das Gefühl, daß es zwischen Hoffmann und Goebbels nie zu einer Zusammenarbeit gekommen wäre, weil beide zu unterschiedlichen Auffassungen von Politik und Ästhetik hätten. Diesen Worten kann sich der Protokollant, der mit einem überaus redseligen Beitrag peinlicher weise die Debatte beendete, nur anschließen.