Protokoll
Vorab: eine spannende Diskussion, die weniger von den Fragen aus dem Auditorium bewirkt wurde als von der offenen, parteilichen, engagierten Art in der die Filmemacherin diese Fragen aufgriff.
Denn: Einwände zu diesem Film konnten nicht so einfach aus der „Ideologiekiste“ gefischt werden, sondern mußten sich konkret mit dem Produkt beschäftigen.
Da gab es zunächst einmal inhaltliche Verständnisfragen, so daß Beck sich aufgefordert sah, Vor- Nach- und eigentliche Filmgeschichte zu referieren. In der Sparte „Aus aller Welt“ hatte sie in einer Tageszeitung vom Fall des Bauern Marx erfahren, der angeklagt war drei Menschen (seine ganze Familie) ermordet zu haben. Ergänzende, fundiertere Berichte in der TAZ und im STERN hatte Beck dann entnommen, daß Marx nach dem Vorfall in die Irrenanstalt eingeliefert worden war, wo er ein Jahr lang, bis sich die Täter selbst stellten, festgehalten wurde. Mit diesen Informationen und einem Verdacht war Beck in das bayrische Dorf gefahren, um den Fall zu recherchieren und hatte ihre Vermutungen bestätigt gefunden: der Bauer war durch Rufmord psychisch zerstört worden, bevor das juristische Urteil feststand.
Nun habe sie für die Darstellung dieses Falles nach einer adäquaten filmischen Form gesucht und dabei feststellen müssen, daß die reinen Dokumentaraufnahmen nicht vermitteln konnten, was ihr wichtig war. Sie sei deshalb auf die Idee gekommen, Spielszenen hinzuzufügen und mit leitmotivartigen Montagen zusätzliche Bedeutungsebenen zu eröffnen. Die Baum- und Innenraummontagen stünden symbolisch für den Wahnsinn, in den der Bauer fällt bzw., verdeutlichten die Formen der Ausgrenzung, die das Dorf anwendet, um ihn in diesen Wahnsinn zu treiben. Dazu habe sie inszeniert und montiert – bis an die Grenze zum KunstgewerbIichen (was ihr schon oft zum Vorwurf gemacht worden ist): Die Unschärfe der Aussagen der Dorfbewohner solle sich z.B. in der Schärfeverlagerung der Landschaftsbilder spiegeln. Die Frage eines Diskutanten, ob es in Anbetracht des Verfahrens legitim sei, den Film als Parabel zu entziffern, bejahte Beck, widersprach jedoch dem Eindruck des Fragenden, der Film sei eine ironische Bemerkung zum dokumentarischen Arbeiten, eine Absage an die eindeutige Sinngebung von Bildern. Ihr sei daran gelegen zu vermitteln, daß es sich um einen Dokumentarfilm handele, nur wolle sie den diffusen Wahrheitsbegriff erweitern, der eben nicht aus dem puren Zusammentreffen von Bild und Ton entstünde. Sie habe in die „Archäologie des Gerüchts“ gehen wollen. Auf die Gratwanderung zur Folklore, die sie hier betriebe, angesprochen, zeigte Beck, Idyllisierungsverdacht vermutend, temperamentvollen Widerstand („Dir würd’ ich am liebsten die Flaschen um den Schädel schlagen“). Der Mann lebe nicht mehr. Die sogenannten exotischen Verhältnisse hätten ihn umgebracht. Sie habe in MORDS GESCHICHTEN aus dem eindeutigen Opfer- Schuldverhältnis, dem z.b. der Film Ralf Schübels verhaftet sei, ausbrechen wollen. Es sei ihr nicht um die pure Anklage eines Gemeinwesens gegangen, daß einen juristisch unschuldigen Mann, schuldig gesprochen habe. Das führe zu nichts.
Auf die Frage warum sie die Figur Seidl, der die Gerüchteküche doch am stärksten angeheizt habe, in ihrem Film ausspare, antwortete Beck, daß sie befürchtet habe, dieser werde das Dorf unter Druck setzen mit seinen Intrigen.
Seidl sei ein „klassischer, bayrischer Ganove“ , habe überall seine Finger im Spiel, man könne ihm seine Intrigen aber nicht nachweisen, d.h., ihn juristisch belangen. Der negative Robin Hood Bayerns leitete über zu der Frage an die Autorin, ob sie den Film schon im Dorf gezeigt habe. Beck verneinte dies, erläuterte hierzu, daß der CDU- Gemeinderat den Film schon boykottiert habe, Stimmungsmache betriebe im Dorf und sie reale Angst habe vor den Tätlichkeiten und Handgreiflichkeiten der Dorfbewohner. Sie selbst brauche erst die nötige innere Stabilität, um sich einer Konfrontation auszusetzen. Hier hakte ein Diskutant nach und fragte, warum sie sich überhaupt dieser Angstsituation aussetzen wolle. Ob sie es als unmoralisch empfände, die Bilder für sich zu behalten. Beck entgegnete engagiert, und protokollarisch in diesem ihrem Engagement kaum vermittelbar, es sei ihr ungeheuer wichtig die Filme den Dorfbewohnern zu zeigen („Weil ich einen Wahnsinns-Haß auf diese Verhältnisse habe“:) Der Ort des Vorfalls ist ihre Heimat zu der sie in einem ambivalenten Liebe-Haß Verhältnis steht. Deswegen wies sie auch entschieden die Unterstellung eines Zuschauers zurück, die Menschen wirkten in dem Film „blöde, beschränkt, verknotet uns unwahr“. Sie habe keinesfalls intendiert die Menschen zu entwürdigen. Wenn, dann seien sie unversöhnlich, verknotet seien eher die Intellektuellen in ihrem hier in Duisburg praktizierten Diskussionsstil. Niemand wage sich hier noch verbal „zuzupacken“.
Ein anderer Zuschauer bestätigte den Eindruck, die Menschen würden zu Objekten von Becks Filmkunst, z.B. degradiere sie die Nachmieterin, die den Mordfall schildere zur bloßen Witzfigur.. Beck widersprach, bedauerte, daß dieser Eindruck entstehen konnte. Sie habe makabre Verhältnisse darstellen wollen, sie stehe dazu, wie auch ihre Darsteller so gezeigt haben werden wollen. Zum Schluß wurde noch einmal auf das Sprachproblem eingegangen. Der Film ist in weiten Passagen in bayrischem Dialekt gehalten. In der Diskussion um eine eventuelle Untertitelung (Beck verweigert Untertitelung, da ist ihr Einsprechen lieber), stellte sich heraus, daß das Gros der Zuschauer kaum etwas von diesen Passagen verstanden hatte . . Manche hatte das Unverständnis sogar zu diametral entgegengesetzten Interpretationen verleitet (Das Opfer, Bauer Marx z.B. nicht als Opfer identifizieren können). Man konnte in der Diskussionsrunde jedoch über das Defizit an Faktenverständnis hinwegkommen, rückte den Film in die Nähe eines Experimentalfilmes und plädierte für „Ergänzungsphantasie“ in der Rezeption.