Extra

AG Dokumentarfilm

Duisburger Filmwoche 8
1984

Podium: Wilhelm Ruth, Achim Rhode, Doris Heinze, Rolf Behr, Peter Heller, Irmhild Scheuer
Protokoll: Toni Weber

Protokoll

Vor dem Hintergrund der Novellierung des Filmförderungsgesetzes (FFG) steht die Forderung der AG Dokumentarfilm, 25% der Mittel der Filmförderungsanstalt (FFA) für den Dokumentarfilm bereitzustellen. Begründet wird diese Forderung damit, daß 25% der abendfüllenden Filme Dokumentarfilme sind, ober nur in Ausnahmefällen, wie etwa „Nachruf auf eine Bestie“ von Rolf Schübel, mit FFA-Mitteln gefördert sind. Da das Filmförderungsgesetz die Wirtschaftlichkeit des Films als eine Förderungsbestimmung enthält, galt es die Wirtschaftlichkeit des Dokumentarfilms unter Beweis zu stellen.

Wilhelm Roth versuchte in seinen einleitenden Worten durch die These, daß der Dokumentarfilm ein Kulturgut ist und als solches nicht wirtschaftlich bestimmbar in die Diskussion einen anderen Gesichtspunkt einzubringen.

Rolf Behr, der Justitiar der Filmförderungsanstalt, räumte ein, daß Wirtschaftlichkeit im Filmbereich ein Reizthema sei, aber nur, um dann auszuführen, daß das Filmförderungsgesetz des Bundes auf den wirtschaftlichen Bereich begrenzt sei, da verfassungsrechtlich den Ländern die Kulturhoheit zugesichert ist. Zum anderen begründete er die Orientierung des Gesetzes an der Wirtschaftlichkeit mit der Geschichte desselben. Das FFG wurde 1968 beschlossen, weil die Kinos keine (Film-)Ware besaßen. Das Gesetz beziehe sich ausschließlich auf den Kinofilm, nicht auf Film allgemein. So werden im gesamten Filmbereich, einschließlich Werbe-, Fernsehfilm, etc. ein Jahresumsatz von 1 Mrd. DM erwirtschaftet, während der Kinofilm allein einen Umsatz von 500-6oo Mio. DM mit einem Verlust von 300-400 Mio. DM erziele. Filme sollten gefördert werden, die dem Bedarf der deutschen Kinos gerecht werden. Der Anteil des deutschen Kinofilms in den Kinos betrug bislang 8,5%, für 1985 sei ein Anteil von 15-16% zu erwarten. Das Gesetz sei weniger an einem Wirtschaftlichkeitsbegriff orientiert, als vielmehr an einem Kinofilm-Begriff. Denn durchschnittlich 80% der Produktionsmittel eines jeden Films sind aus öffentlicher Hand. Bei durchschnittlich 1,5Mio.DM Produktionskosten verblieben 300 Tsd.DM Eigenanteil. Falls dieser und die Verleihvorkosten eingespielt werden, spricht man bereits von wirtschaftlich.

Diesen Ausführungen schloß Herr Behr noch die Erfolgsquote der Filmförderungsanstalt an. Von den jährlich 200 geförderten Filmen finden 15 Filme keinen Verleih und 10 Filmen gelingt es, die Förderungssumme das sind 20% Eigenanteil einzuspielen.

Auf die Frage. weshalb denn sowenige Dokumentarfilme gefördert werden, erläuterte Herr Behr, daß man auch berücksichtigen müsse, daß es neben den Referenzfilm-Mitteln – ein prädikatisierter Film benötigt hierfür 130 000 Zuschauer, um dann ca. 1 Mio. DM zu erhalten –, die Alexander Kluges Film „Der Kandidat“ bekommen hatte) im Rahmen der Projektförderung die Dokumentarfilme „Der gelbe Stern“ , „Mit starrem Blick aufs Geld“ und „Die Nacht und ihr Preis“ eine Darlehensförderung erhielten. Gleichfalls werden aus den Kurzfilmmitteln jedes Jahr 20 Dokumentarfilme gefördert.

Daß aber dennoch bei der FFA ein Antrag auf Förderung eines Dokumentarfilmes mit dem Verweis auf das Genre abschlägig beschieden werdet, berichtete Peter Heller. Er könne sich nicht vorstellen, daß ein Spielfilmvorhaben mit solch einem Argument abgelehnt werde. Die Annahme, daß Dokumentarfilme kein Publikum fänden aufgrund ihrer Machart. sei so nicht haltbar, denn auch 60% der aus FFA-Mitteln geförderten (Spiel-)Filme seien beim Publikum nicht erfolgreich. Diese Quoten zumindest könne der Dokumentarfilm auch erreichen. Bezogen auf die Referenzfilmmittel wies Peter Heller auf die andersartige Abspielstruktur der Dokumentarfilme hin, und äußerte die Vermutung, daß Kluges Zuschauererfolg von „Der Kandidat“ auch mit Kluges Spielfilmen verbunden sei; er es als Spielfilmregisseur leichter habe.

Die kritisierte Spielfilmgebundenheit bei der Mittelvergabe bestritt Herr Behr. Das Gesetz kenne keine Einschränkung auf ein Genre. Jeder Film mit einer Länge von 79 Min. und einem zu erwartenden Kinoerfolg könne gefördert werden. Die Praxis der Mittelvergabe ist aber wohl doch nicht ganz so neutral, wenn die Förderung auf Filme ausgerichtet ist, die einen Publikumserfolg im Kino erwarten lassen, und wenn, wie er ausführte, das Gesetz die Intention habe, „Kinofutter“ zu schaffen. Der Hinweis auf den Ursprung von 90% der FFA-Gelder aus dem Einspiel amerikanischer Produktionen, sollte als Erläuterung dienen. Die Information, daß mit den jährlich zur Verfügung stehenden 80 Mio. DM 140 Filme gefördert werden, konnte die Vermutung nicht entkräften, daß auf Druck der Majorcompanies eine Spitzenförderung betrieben-werde.

Doris Heinze, die Geschäftsführerin des Filmbüros NRW, kritisierte die betriebswirtschaftliche Denkweise der FFA und daß in der Praxis aus „wirtschaftlich“, „profitabel“ geworden sei. Schließlich sei für einen Produzenten ein Film dann wirtschaftlich, wenn er zustande komme. Wenn jedoch die Wirtschaftlichkeitsforderung des Gesetzes betriebswirtschaftlich interpretiert werde, woraus eine Förderung von Großproduktionen wie „Die unendliche Geschichte“ resultiere, und nicht volkswirtschaftlich, sei die Filmwirtschaft, das Kopierwerk bald pleite. Denn nur wenn eine Vielzahl von Filmen gefördert werde) sei dies (volks-)wirtschaftlich bedeutsam.

Diese Zielsetzung der Filmförderung, auch arbeitsmarktpolitisches Steuerungsinstrument zu sein, gelte für einige Landesgesetze, wie der Berlin-Förderung oder dem bayrischen. Das FFG habe jedoch diese Funktion nicht und könne sie auch nicht erhalten, weil die FFA-Gelder aus Kinoabgaben entstammen. lediglich für die 16- 20 Mio. DM aus dem Film-Fernseh-Abkommen, die die FFA gleichfalls verwalte. könne eine solche Zielsetzung gefordert werden.

Den zweiten Punkt der Kritik der AG Dokumentarfilm, die Kinoorientierung der FFA, erläuerte Peter Heller. Er habe in den Jahren 1974-84 für 1,3 Mio. Meter Kopienkosten gehabt, während für einen Film 3-6 Tsd. Meter anfallen. Hieraus sei zu entnehmen, daß ein Großteil für die Erstellung von Kopien benötigt wurde, oder anders gesagt, es müsse doch genügend Leute, ein genügend großes Interesse für diese Dokumentarfilme geben.

Achim Rhode von Uni-Doc präzisierte diese Kritik. Die alternative Abspielstruktur vieler Dokumentarfilme, die dort durchaus auch ihre 130 000 Zuschauer finden, wie „Der längere Atem“, sei per Gesetz ausgeschlossen. Wenn diese Zuschaueranzahl nicht in das Gesetz aufgenommen werde, sei es sinnvoller die FFA als GmbH zu organisieren.

Herr Behr konnte durch seinen Hinweis, daß die Gesetzeskraft lediglich ihre Ursache darin habe, daß bei der Beratung des Gesetzes nur die Verbände, nicht aber der einzelne Kinobesitzer zugestimmt hatten, die aber das Geld abzuführen hätten, so daß man ein rechtliches Instrument benötigte, um die insgesamt 35 Mio. DM von den derzeitig 3200 Kinos zu erhalten. Zum anderen sei es doch so, daß 7-8 Filme pro Jahr 500 Tsd. Zuschauer erreichen und so die Verleihvorkosten und den Eigenanteil einspielen.

Es gehe nicht darum, daß geförderte Filme erfolgreich sind, versuchte Peter Heller die Diskussion zurückzuführen zu den Forderungen der AG Dokumentarfilm. Er habe nur sagen wollen, daß seine Filme wirtschaftlich sind.

Daß es nur an den mangelnden Anträgen auf Förderung liege, wie Herr Behr nahelegte, wurde nicht akzeptiert. Der Umstand, daß auch Kinos, die Dokumentarfilme einsetzen, zur Abgabe verpflichtet sind, ohne daß ihr spezifisches Angebot durch ihr Einspielergebnis Förderung erhalte, wurde dem FFA-Justitiar vorgehalten, um die Forderung nach einer anderen Praxis der Mittelvergabe zu legitimieren. Die Kritik an der Vergabepraxis war natürlich mit dem Hinweis Herr Behrs auf die Anzahl der Anträge nicht erledigt. Schließlich sind 60% der geförderten (Spiel-)Filme auch im Sinne der FFA nicht erfolgreich.

Daß das Argument der Wirtschaftlichkeit lediglich ein „ideologischer Knüppel“ sei, mit dem die Kommission den Dokumentarfilm disqualifiziere, war deshalb für Peter Krieg klar. Er wies auch noch darauf hin, daß die Bestimmung des Film-Fern seh-Abkommens, geförderte Filme vorab zwei Jahre im Kino auszuwerten, weitesgehend nur dem Spielfilm nütze. Denn eine Fernsehausstrahlung könne dem Kinoeinsatz eines Dokumentarfilms durchaus förderlich sein.

Gegen die affirmative Haltung des FFA-Justitiars wendete sich dann Günter Dicks. Schließlich hätten die Majorcompanies dem FFG nicht zugestimmt, eine Orientierung an deren Interesse sei daher überhaupt nicht· einsichtig und zudem stehe die Novellierung des Gesetzes an, weshalb diese Diskussion doch stattfinde.

Der Hinweis auf die französische Förderungspraxis, die angesichts der Neuen Medien die Abspielstätten miteinbeziehe, verstand Herr Behr als Aufforderung, die Absatzförderung der FFA als ein weiteres Mittel zu nennen, das dem deutschen Film diene, um sich in der bestehenden Absatzstruktur zu behaupten. Erneut wendete er sich gegen die Kritik, daß die FFA den Dokumentarfilm disqualifiziere. Denn der Dokumentarfilm könne wie jeder andere deutsche Film, wenn er die Zuschauerzahl finde und eine Länge von 79 Min. besitze, Förderung erhalten. Von den 16-17 Filmen, die jährlich Mittel aus der Referenzfilmförderung erhielten, seien auch 1-2 Dokumentarfilme. Gleichfalls können Gelder aus der Kurzfilmförderung (1, 7MioDM) für den Dokumentarfilm verwendet werden. Unter den 7- 8 Filmen, die im Rahmen der Projektförderung Gelder erhielten, befinde steh höchstens 1 Dokumentarfilm, räumte er ein. 

Daß die Förderpraxis auch durch‚ die Kommissionspraxis, die Wilhelm Roth aus eigener Erfahrung kenne, durch ihre Orientierung an der literarischen Vorlage den Dokumentarfilm vernachlässige, wurde je doch nicht eingehender diskutiert. Ein drittes Argument gegen die FFA-Richtlinien formulierte, wieder auf den Wirtschaftlichkeits-Aspekt bezogen, Doris Heinze, nachdem sie die Längenvorgabe als hinderlich für den Dokumentarfilm kritisiert hatte. Der Spielfilm mit durchschnittlich 1,5 Mio. DM Produktionskosten könne nicht mit dem Dokumentarfilmkosten von durchschnittlich 300 Tsd. DM gleichgesetzt werden. Hier müßten Relationen zur erreichten Zuschauerzahl in Abhängigkeit zu den Produktionskosten gebildet werden.

Daß die Begrenzung der Filmlänge auf 79 Min. irrational sei, gestand Herr Behr ein, auch daß die 35 Tsd. DM aus der Kurzfilmförderung (bei erreichter Zuschauerzahl), in die jeder Film unter der Länge von 79 Min. falle, zu wenig ist. 

Christoph Hübner forderte bezugnehmend auf Wilhelm Roth die Entscheidungspraxis der Kommission bei der Novellierung des Gesetzes dahingehend zu korrigieren, daß äuch nicht literarisierte Vorlagen Chancen erlangen. Auch sei zu berücksichtigen, daß der Dokumentarfilm für die nationale Filmkultur „dialogische Funktion“ habe, was nicht mit Wirtschaftlichkeits-Kriterien zu erfassen ist. Günter Öhme, der Geschäftsführer der AG Dokumentarfilm, machte unterstützt durch Anne Kubina an mehreren Textstellen des Gesetzes deutlich, daß die FFA-Praxis, wie von Herrn Behr behauptet, nicht nur durch das Gesetz bedingt ist. 

Den Hinweis auf den Gesetzestext konnte Herr Behr so nicht akzeptieren. Jedoch die Forderung, bei der Referenzfilmförderung eine Relation zwischen Produktionskosten und Zuschauerzahl zu schaffen, schien ihm, ein durchaus praktikabler Vorschlag für die Novellierung des Gesetzes zu sein. Der des öfteren erfolgte Hinweis auf die 60% erfolglos geförderten Filme, wies er entschieden als Argument gegen die FFA-Entscheidungen zurück. Denn man könne nicht fordern, daß, weil die FFA Flops gefördert habe, sie weitere Flops zu fördern habe. Fosco Dubini brachte die Diskussion erneut auf die Abspielstruktur zurück. Die Förderpraxis gehe an der Realität der Filmlandschaft vorbei, war sein Einwand. Denn die Programmkinos und die Kleinproduktionen wären auch an der Begründung der Filmkultur beteiligt, die den Erfolg der 1,5 Mio. DM-Produktionen mitbedinge. Daß die Förderung der Schachtelkinos und die Vernachlässigung der Programmkinos durch die FFA an der Zerschlagung der Kinostruktur beteiligt gewesen sei, ergänzte Peter Krieg. Daß gleichfalls durch die Praxis der Verleihförderung low-budget-Filme vernachlässigt wurden, vervollständigte den Eindruck, daß der FFA eine spezifische Förderpraxis eigen ist. 

Gegen diesen Eindruck gewendet führte Herr Behr aus, daß die 3 Mio. DM der Kinotheaterförderung, die um die 3 Mio. DM aus den UFI-Mitteln erweitert sind, nicht an die großen Kinobesitzer gehen und daß die Schachtelkinos ja gerade dem deutschen Film zugute gekommen wären. Auch sei die Förderungspraxis nicht die, die großen Kinos zu unterstützen; Herr Riech habe noch nie Förderung bezogen. Zum Schluß der Diskussion wies Peter Heller daraufhin, daß in München bereits ein Forderungskatalog erarbeitet worden sei und regte an, ausgehend von diesem Gespräch hier in Duisburg einen Forderungskatalog zu erstellen. Der Protokollant erlaubt sich, die genannten Forderungen hier nochmal aufzulisten: 

– 25% der FFA-Mittel sollen dem Dokumentarfilm zufließen, weil 25% abendfüllende Filme Dokumentarfilme sind. 

– die Referenzfilmförderung soll in Bezug auf die Produktionskosten und die Zuschauer eine Relation beinhalten. 

– die alternative Abspielstruktur soll bei der Zuschauerzählung für die Referenzfilmförderung mitberücksichtigt werden. 

– die Längenvorgabe von 79Min. soll der tatsächlichen Länge der meisten Dokumentarfilme angepaßt werden. 

– eine weniger auf literarisierte Vorlagen ausgerichtete Entscheidungspraxis der Kommissionen soll erreicht werden. 

– die Anerkennunq der „dialogischen Funktion“ des Dokumentarfilms für die Filmkultur soll berücksichtigt werden.