Film

Vom Überstehen der Stürme
von Hans-Georg Ullrich, Detlef Gumm
DE 1981 | 90 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 5
1981

Diskussion
Podium: Detlef Gumm
Moderation: Angela Haardt
Protokoll: Corinna Belz

Protokoll

Zu Beginn der Diskussion erzählten die am Film Beteiligten aus GelsenkirchenHorst, daß ihnen die Arbeit an Vom Überstehen der Stürme sehr viel Spaß gemacht habe und daß sie mit dem Film zufrieden seien. Angela Haardt sagte, daß sie gehört habe, daß es nach der Fernsehausstrahlung des Films einige „böse“ Reaktionen in der Lokalpresse gab. Der Vorwurf habe gelautet, so erzählte Detlef Gumm, „Gelsenkirchen habe besseres zu bieten als diese schäbige Hinterhofatmosphäre“.

Auch habe man u. a. bemängelt, daß bei einer Fernsehsendung die Deckung von Kaninchen gezeigt wurde. Allerdings hätten ihn und auch die Leute vom Hof diese Vorwürfe, die vorwiegend von der CDU-Stadtverordneten Frau Moorkamp initiiert worden seien, nach einem öffentlichen Gespräch nicht weiter beunruhigt.

Eine Zuschauerin sagte, ihr habe an dem Film gefallen, daß man nicht nur bei dem I „eben auf dem Hof geblieben sei, sondern auch die Arbeit der Leute mit einbezogen habe. In diesem Zusammenhang fände sie die Szene sehr schön, in der man sehe, wie jemand von der Arbeit kommt, sein Gesicht ganz angestrengt und müde ist und wie diese Anstrengung dann langsam abfällt. Gumm erklärte, daß er doch von der Situation am Arbeitsplatz vor dem Dreh eine andere Vorstellung gehabt habe. Gerne hätte er auch Darstellungen von Konflikten, die am Arbeitsplatz ja immer denkbar seien, gehabt. Solche Aufnahmen seien dann aber nicht möglich gewesen, weil man z. T. keine Drehgenehmigung bekommen habe oder in anderen Fällen nicht lang genug am Arbeitsplatz war, wo dann zuweilen Konflikte auch vertuscht würden bzw. in der Zeit, in der sie da waren, keine größeren Schwierigkeiten aufgekommen seien. Die Lösung, Konflikte zu inszenieren, wäre ihnen zu weit gegangen. Allerdings sehe er den möglichen Vorwurf, daß die Darstellung des Arbeitsplatzes zur Idylle wird. Auf die Verwunderung eines Zuschauers hin, daß es auf dem Hof so einträchtig zuginge und seine Frage, ob das immer so sei, sagten die am Film Beteiligten, er solle ruhig mal vorbeikommen, dann würde er sehen, daß alles so sei wie im Film gezeigt.

Detlef Gumm sagte, aus den Reaktionen, die sie nach der Fernsehausstrahlung in Form von Briefen und Telefonaten bekommen hätten, ginge fast einstimmig eine Sehnsucht nach solchen Wohnzuständen hervor. Ein Zuschauer meinte, ihn habe die Telefonsequenz im Film irritiert, da das Schnitt/Gegenschnittverfahren beide Gesprächspartner, wie im Spielfilm üblich, zeige. Gumm sagte dazu, auch in seinen Augen sei diese Konstruktion im nachhinein die schwächste Stelle. Auf die Frage, wie er mit den Leuten aus Gelsenkirchen zusammengekommen sei, erzählte er, vor fünf Jahren hätten sie auf dem Hof einen Magazinspot fürs Kinderfernsehen über das Kaninchenzuchthobby gedreht. Aus der Überlegung, daß der Hof nicht nur eine Freizeitbeschäftigung, sondern eine für die Großstadt untypische Lebens- und Wohnform darstelle, habe man sich entschlossen, diesen Film zu machen. Zunächst wurde die Idee zu einem Drehbuch verdichtet, das aus O-Ton-Aussagen, die noch aus dem alten Film stammten, und neuen Fotos entstand. Dabei handele es sich weniger um ein Drehbuch, meinte Gumm, als um eine Skizze, die vermittelt, wie die Struktur des Films angelegt sein sollte. Ungefähr 60% des dort Beschriebenen sei später auch in den Film aufgenommen worden. Nachdem das BMI eine Förderung abgelehnt habe, sei die Realisation des Films zusammen mit dem ZDF erfolgt. Ein größerer Verleih habe sich nicht gefunden, doch sei Vom Überstehen der Stürme wahrscheinlich demnächst über das RuhrFilmZentrum auszuleihen.

Angela Haardt sagte, sie habe gefreut, daß der Film Humor zeige. Diese Art, miteinander umzugehen, habe sie in Zechensiedlungen als einen Ausdruck der Gemeinschaft von Nachbarn schon öfter erfahren. Es sei ein Aspekt, den man in Filmen, auch denen des Programms, wo es meistens sehr ernst zuginge, selten sehe. Auf die Frage, ob die Nachbarn der Kaninchenzüchter ähnliche Hinterhöfe hätten, erzählte man, daß es dort auch Lauben gebe, deren Rasenanlagen aber z.T. so gepflegt seien, als wären sie mit der Nagelschere geschnitten. Ein Zuschauer meinte, der Titel des Films sei etwas merkwürdig, und fragte die Mitwirkenden, was sie darüber dächten. Einer von ihnen sagte, damit seien wohl die Lebensstürme gemeint, die die einzelnen Generationen auf dem Hofüberstanden haben. Und Gumm ergänzte, warum man so einen komplizierten Titel genommen habe, sei der erste Einwand gewesen, den er von den Leuten gehört habe. Obwohl der Vorwurf, ob das nicht ein bißchen zu dick aufgetragen sei, öfter aufgetaucht sei, fände er einen poetischen Titel, der sich weitgehendst interpretieren ließe, gut.

Daraufverweisend, daß der Film sehr viele Spielelemente habe, fragte ein Zuschauer, ob man überlegt habe, eine durchgehende Handlung einzuführen, also eine Art von „dokumentarischem Spielfilm“ zu inszenieren. Gumm erklärte, diese Überlegung sei ihnen nicht fremd gewesen, allerdings hätten sie sich mit der Vorstellung einer solchen Inszenierung sehr schwer getan, auch weil die früheren Filme, die sie gemacht hätten, sehr viel puritanischer im Sinne eines ,Realität abbildenden“ Konzepts gewesen seien. So seien sie z. B. erst jetzt dazu übergegangen, mit komponierter Musik zu arbeiten. Grundsätzlich aber würden sie gerne die Richtung dieses Films weiterentwickeln in der Form, daß man eine Rahmenhandlung vorgeben würde, die allerdings im gleichen sozialen Kontext bleiben und auch ohne geschriebene Dialoge auskommen sollte. Die konstruierten dramaturgischen Momente dieses Films seien lediglich die ziehenden Wolken, der Postbote etwa undjeweils die Bewegungsabläufe aus dem Hof heraus und in den Hof zurück. Denkbar sei, mit den „Darstellern“ aus Vom Überstehen der Stürme einen weiteren Film zu machen, der von eine Spielhandlung bestimmt wäre.

Auf die Frage, wie lange man an dem gezeigten Film gedreht habe, sagte Gumm, die Drehzeit sei in drei Abschnitte unterteilt gewesen. Zunächst seien sie zwei Wochen im Frühsommer in Gelsenkirchen gewesen, dann habe man in Berlin das Material gesichtet und sich am Schneidetisch gezielt überlegt, wie man den Film strukturieren könnte. In der zweiten Drehphase seien sie mit einem Schneidetisch nach Gelsenkirchen gekommen. In dieser Zeit habe man jeweils die Muster vom Vortag angeschaut, die fehlenden Anschlüsse gedreht und kleinere Sequenzen geschnitten. Auch seien die Leute vom Hof oft gekommen, um sich am Schneidetisch die Rohschnittfassung einzelner Szenen anzuschauen. Direkteren Einfluß auf die Montage hätten sie dabei nicht genommen, doch habe sich ein Gespür, ein aktives Mitdenken entwickelt, z. B. habe ein Mann nach einigen Wochen immer das gleiche Hemd angehabt, weil er in Schnitten dachte. Die letzte Drehphase sei eine Woche im November gewesen, in der die Kaninchenschau stattfand.

Angela Haardt fragte gegen Ende der Diskussion die Beteiligten des Films, ob sich durch die Arbeit an Vom Überstehen der Stürme ihr Verhältnis zum Fernsehen geändert habe. Dies sei an sich nicht der Fall, sagte eine Frau, sicherlich habe man einen genaueren Einblick in die Filmarbeit bekommen, aber ansonsten würde man sich nach wie vor ganz gern mal nur unterhalten lassen. In Bezug auf Vom Überstehen der Stürme wäre es schöner gewesen, wenn der Film zu einer früheren Sendezeit gezeigt worden wäre, denn normalerweise sei man um 22 Uhr auch schon müde.