Film

Der kleine Godard
von Hellmuth Costard
DE 1978 | 84 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 2
1978

Diskussion

Protokoll

Hübner-Voss (Diskussionsleiterin): Vielleicht kannst Du noch mal sagen, wie Du den Film schließlich finanziert hast, nachdem wir gesehen haben, wie Du Dich so lange rumschlägst mit dem Antrag an das Kuratorium!
H. Costard: Die Finanzierung ging los mit einem Auftrag vom ‚Kleinen Fernsehspiel’: Kamerafilme. Das sind 66.000 Mark. Und als ich diesen Auftrag bekam, dachte ich, jetzt sei der richtige Moment gekommen, die Konstruktion dieses S-8 Kamera-Systems in Angriff zu nehmen, das mir schon jahrelang im Kopf rumspukte. Das war, als ich anfing, einfach die Idee, die Kameras mit Quarzsteuerung zu versehen und die Kameras so zu blimpen, daß man im Direktton aufnehmen kann. Dann zog sich diese technische Arbeit hin, weil mit dem Arbeiten an diesen Geräten sich jetzt natürlich dramaturgische Ideen entwickelten. Also in der praktischen Arbeit entwickelte sich eine Dramaturgie, die mir wiederum bestimmte Zwänge auferlegte, wie diese Technik zu sein hatte. Dann kamen diese Sound-Kameras auf den Markt usw. Also das war eine Odyssee, alleine von der technischen Entwicklung her. Das Geld vom ZDF war innerhalb dieser zwei Jahre praktisch aufgebraucht. Anfang 77 hatte ich schließlich eine Technik, mit der ich nicht richtig zufrieden war, die mir aber das Filmemachen auf S-8 ermöglichte. Und da war das Geld alle. Dann gab es noch eine Kurzfilmprämie von 22.000 Mark, und dann haben Freunde mir geholfen, und dann habe ich Schulden gemacht. Ich mußte ja, da ich das Geld vom ZDF ausgegeben hatte, um diese Kamera zu entwickeln, irgendwie den Vertrag erfüllen und einen Film machen. Das war eben schwierig, weil kein Geld mehr da war. Ich erzähle jetzt doch von mir: Bis zum 31. Mai muß man ans Kuratorium einen Antrag stellen, und zwar muß man irgendwie etwas niederschreiben. Das ZDF saß mir im Nacken und sagte: „Mach Deinen Film!” So blieb mir eigentlich gar nichts anderes übrig als das Schreiben des Antrags und das Drehen des Filmes zu verbinden. Das war sozusagen meine Idee. Auf der anderen Seite war der Moment des Scheiterns gerade dann gegeben, als ich das, was ich eigentlich wollte, zu Papier gegeben hatte.
Und so war am Anfang eigentlich nur die Idee, den Moment, wenn ich denke: Jetzt habe ich gleich den nächsten Satz gefunden, mit den drei Kameras zu filmen. Ich hatte dann unter dem Tisch meistens so einen Fußschalter, durch den alle Kameras anfingen zu. laufen. So haben wir dann stundenlang aufgenommen und so die ganze Arbeit an diesem Text dokumentiert. Dann hab’ ich den Antrag noch ein bißchen umgearbeitet – da gab es auch die erste Diskussionen: läßt man ihn nun genauso, wie er da gefilmt wurde? Er war doch ein bißchen schlecht, weil ich auch abgelenkt war durch dieses Drehen. Ich hab’ ihn also abgeschickt ans Kuratorium Junger Deutscher Film. Und im wesentlichen beinhaltet der Text ja eine Begründung, warum es mir unmöglich ist, Drehbücher zu schreiben.
Die müssen dieses Buch also so benutzt haben wie so’n. . es gibt ja diese Heftchen, Filmheftchen, wo man so reinblättert und dann bewegt sich ein Hase, springt durch ’nen Reifen oder so – jedenfalls haben sie es so angeguckt, wahrscheinlich haben sie es gar nicht gelesen und haben gesehen: aha, nicht links und rechts geschrieben und so, „kein Drehbuch”, weg damit. Und dann haben sie diesen Brief dabeigelegt, der dann Teil meines Films wurde: dort, wo der blinde Sekretär in die Schreibmaschine schreibt. Sie haben mir praktisch gesagt: Wir würden Ihnen raten, das Material, das Sie uns geschickt haben, zu einem Drehbuch auszuarbeiten und Anfang 78 einen erneuten Förderungsantrag zu stellen.
Jetzt hab’ ich das Spiel also weitergespielt und gesagt: Das ist für mich praktisch eine Aufforderung, einen Film zu machen, denn wenn ich einmal sage, ich kann kein Drehbuch schreiben und die Leute dann sagen, „bitte schreiben Sie ein Drehbuch”, dann heißt das für mich: Filmemachen und Drehbuchschreiben am Schreibtisch. Wenn der Film dann fertig ist, ein Drehbuch schreiben und das dann einreichen. Das hab’ ich auch gemacht. Als ich dann so nach einem Monat noch nichts gehört hatte, hab’ ich mich schon gefreut und mir gesagt, „offensichtlich klappt es dieses Mal mit einer Prämie”.
Dann kriege ich am 19. September einen Brief vom Kuratorium:

Sehr geehrter Herr Costard, der Auswahlausschuß des Kuratoriums hat am 16. / 17. 9. (zwei Tage immerhin) getagt und auch über Ihren Antrag auf Produktionsförderung entschieden.
Leider ist eine unmittelbare Förderung des Filmes nicht möglich, da das Kuratorium nach seinen Richtlinien und nach den Bedingungen der Kultusministerkonferenz nur Filmprojekte, nicht bereits fertiggestellte Film fördern darf. Der Auswahlausschuß hat jedoch im Hinblick auf die Qualität des von Ihnen vorgelegten Drehbuchs empfohlen, für Ihren Film eine Vertriebsförderung zu gewähren.

Das finde ich natürlich sehr surrealistisch. aufgrund eines Drehbuches eine Vertriebsförderung zu gewähren, das hat mir noch keiner erklärt. Na ja, dann wird das so’n bißchen ausgeführt, und dann steht zum Schluß:

Wir wünschen Ihnen [Ur die Auswertung Ihres Films guten Erfolg.

also, sie wußten immerhin von der Existenz des Films.

Bitte teilen Sie noch kurz mit, ob Sie die vorgelegten Antragsunterlagen, insbesondere Drehbücher wieder benötigen oder ob sie von hieraus vernichtet werden sollen . ..

(großes Gelächter unter den Zuhörern)

mit freundlichen Grüßen
Dr. Dr. Dörffeldt . .

und das ist für mich zwar einerseits sehr traurig, weil ich auf dem von mir produzierten Defizit sitzenbleibe, aber ich finde, damit ist die Sache irgendwie ganz schön rund geworden.
K. Saurer: Die Geschichte mit den Drehbüchern, die verlangt werden, bezieht sich ja hier mehr auf Spielfilme. Aber was damit verbunden ist und was eine wichtige Sache ist – darum möchte ich es einfach einflechten – obwohl es vielleicht einigen bekannt ist: dadurch werden ja genau die Filme, die sich abenteuerhaft, ohne vorgefertigte Meinung, vorgefertigtes Konzept auf die Wirklichkeit einlassen – nämlich mit dokumentarischen Mitteln – von vornherein unterbunden. Die ganze Filmförderung kann sich eben dadurch diese unbequemen Filme vom Leib halten.
Zuschauer: Welche Funktion haben die Besuche bei den Filmkollegen, bei den Filmaufnahmen“) Ist das ein Seitenhieb gegen deren Riesenbudgets und wie die arbeiten“?
H. Costard: Ja, es bezieht sich auf eines der Themen. Die machen da Filme praktisch nach fertigen Ideen bzw. nach fertigen Drehbüchern. Und damit diese Polarisierung deutlich wird, deshalb dachte ich, man sieht wirklich mal, wie woanders gedreht wird. Das wissen die Leute ja meistens nicht, die wissen nicht, wie es da so zugeht.
Und die andere Sache, die mir Spaß gemacht hat, war: Ich wohne in Hamburg in diesem Bunker, und die Szenen am Tisch sind alle im Bunker gedreht. Dann hatte ich ’ne Menge Aufnahmen von außerhalb des Bunkers. Mir war nicht klar, wie ich das irgendwie so mache, daß man weiß, das ist Innen und Außen von derselben Sache. Mit den Schüssen ist da so ein ganz schöner Übergang gefunden. Man findet ja auch manchmal gut, was andere machen. Im „Amerikanischen Freund” z. B. gibt es diesen tollen Kran in Paris. Sie sind in einem Hotel, und es gibt so einen Blick aus dem Fenster. Ein Kran schwebt vorbei und das Gewicht des Krans. Und dann gibt es einen Gegenschuß, der ist ungefähr hundert oder zweihundert Meter weg, und man sieht sofort da ist das Hotel mit dem Kran. Das fand ich toll. Dieselbe Funktion haben die Schüsse in meinem Film.
Zuschauer: Ich habe diesen Film als einen einzigen Gag empfunden, auch als starke Entblößung eines jeden Films. In diesem Film gab es irgendwie keinen Inhalt – das ist vielleicht etwas oberflächlich – es gab so viele Einzelheiten: einerseits wurde der S-8 Film vorgestellt, dann aber wurden auch diese ganzen organisatorischen Fragen, einerseits wurden die Ideen dargestellt, dann aber klammerte man sich unheimlich an diese technischen und organisatorischen Fragen.
H. Costard: Filme herzustellen, ist ja ein Organisationsproblem. Man kann da ganz verschiedene Sachen anführen. Nur die Organisation eines Teams z.B.: Man muß verschiedene Leute, die alle Geld verdienen müssen, alle zur selben Zeitengagieren. Sie müssen frei sein. Man muß Fahrer haben, man muß Steuererklärungen machen usw.
das geht eben so weiter, letztlich kann man die Montage, den Schnitt als die Organisation von Bildern ansehen, und insofern finde ich das schon ’ne zentrale Sache, über Organisation zu reden.
Zuschauer: Ich muß sagen, daß mir dieser philosophische Gedankengang im Film sehr gut gefallen hat, ich fand nur schade, daß ein paar Gedanken so schnell vorbeigingen. Du hast gesagt, daß durch dieses System der Time-Codierung der jeweilige Moment bezeichnet sei, wo wirkliche Zeit mit der Film-Zeit übereinstimmt. An einer anderen Stelle, wo der Mann vom Sessel fällt, ist die Rede von der Inszenierung der Wirklichkeit. Diese Seite der Gedankengänge ging dann etwas verloren. Weil mich die sehr berührt hat, wüßt’ ich von Dir gern, ob Dich das im Zusammenhang mit dem S-8-System beschäftigt hat und ob Du durch den Film mit diesen Überlegungen weitergekommen bist?
H. Costard: Also ich glaube schon, daß ich an einem Punkt war, wo ich mich fragte, ob man denn überhaupt Filme machen kann, ob das überhaupt möglich ist. . Mir war das nicht so bewußt, wie der Godard das gesagt hat: „Ist es überhaupt möglich, diese Wirklichkeit abzubilden?” Wo ist der Moment, daß eine Idee da ist. Wenn sie praktisch vorgeformt ist in einem Text, ist es dann noch möglich, diesen als direkten realen Reflex auf die Wirklichkeit zu sehen?
Die Geschichte mit dem Time-Code ist also merkwürdigerweise nicht eine Lösung, die ich gefunden, mir erarbeitet habe, sondern die mir zugefallen ist. Das ist ja das Interessante, und deshalb finde ich schon, daß der ganze Film – und nicht nur die Stelle, wo der Mann aus dem Sessel fällt – auch Inszenierung von Wirklichkeit ist. Dieser Film ist ja von mir nicht konzipiert worden in einem genialen Überblick, sondern ich habe eigentlich nicht mehr gemacht, als mich für diese Zufälle zu öffnen. Und das Merkwürdige, was passiert ist, was mich überrascht hat, was mich sehr gefreut hat, das Schönste, was ich so erleben konnte in diesem Zusammenhang ist, daß das plötzlich logisch wird. Die Frage ist doch, in welcher Geschichte befinden wir uns. Und da wird Filmemachen plötzlich wieder interessant, weil es zu tun hat mit unserem eigenen Leben. Ich geh’ nicht irgendwie in einen Film und lenke mich ab, – das ist alles okay. Ich hab’ doch ’ne ganze Menge wirklich brennender Probleme und brennender Frage, die meine persönliche und meine gesellschaftliche Existenz betreffen, und die möchte ich doch auch im Kino irgendwie reflektiert sehen. Reflektiert jetzt nicht im Sinne einer gedanklichen Aufarbeitung unbedingt, sondern reflektiert eben durch Kamera und Filmmaterial.
Die Frage ist dann: Ist das logisch? Lange sind ja spontane Filme gedreht worden. Wir müssen ehrlich sagen, daß eine gewisse Ermüdung eingetreten ist. Das ist das „new american cinema”, das auch hier vertreten war und an dem viele Leute intensiv und sehr streng gearbeitet haben, um da weiter zu gehen. Ich kenn’ eine ganze Reihe, die als Forscher, als Künstler oder was auch immer ihr Leben geopfert haben, um an diesen Punkt irgendwie ranzukommen
Zuschauer: Es gibt mehrere Stellen im Film, wo Autorenschaft, wo Sprache angegriffen wird. Ist denn Film ohne Sprache denkbar? Soll es so sein, daß man mit dem Film Situationen aufspürt, wo der Film selbst die Sprache ist ohne daß die Menschen sich äußern, oder wie ist das gemeint?
H. Costard: Wie orientiert man sich. das ist die Frage, und ich hab’ eben ’ne bestimmte Skepsis gegenüber der Logik entwickelt. Mir scheint diese Welt sehr logisch. Das, was mich schmerzt, ist diese Logik, die Logik in der Architektur, die Logik im Verkehr und wie sich überhaupt Gemeinwesen organisiert. Da hab’ ich gedacht, man müßte eine andere Art von Sensibilität finden, sich auf die Dinge einzulassen, und ich habe für mich gefunden, daß es nur der schöpferische Moment sein kann. Der Autor ist jemand, der seine Orientierung findet im Moment, in dem ihm ein Satz kommt. Seine Produktionsebene ist der Satz, das Wort, das er hinschreibt. Das ist auch in Ordnung und eine wunderschöne menschliche Sache: Texte zu schreiben, Bücher herzustellen. Aber das Medium Film ist etwas anderes und der Moment, in dem der Film schöpferisch sein kann, ist meines Erachtens eben nicht der Moment, in dem ein Drehbuch geschrieben wird, sondern eigentlich nur der Moment, in dem die Kamera läuft.
Aber ich fände es vollkommen falsch und fühlte mich falsch verstanden, wenn daraus so ein Dogma entstehen würde, wenn ich meine Fähigkeit, auch mal einen Text zu schreiben, vollkommen vergessen soll. In dem Moment, wo der Text als Text erscheint und in dem Moment, wo mir das Abenteuer passiert, mich mit der Kamera auf die Wirklichkeit einzulassen, oder ich mich in diesem Abenteuer befinde, halte ich es doch für legitim, die Fähigkeit zu schreiben auch zu nutzen. Es gibt ’ne ganze Menge Szenen in dem Film, die sind für den Zuschauer nicht durchschaubar, und zwar mit Absicht nicht. Es gibt Szenen, wo man sehen kann: Jetzt ist ein Zeitsprung usw. Da sind auch Zeitsprünge drin, die nicht durchschaubar sind, absolut in derselben Weise gemacht wie beim herkömmlichen Kino, das die Asynchronität verschleiert. Ich will mir ja nicht das Bewußtsein erarbeiten, daß der Moment der Aufnahme für mich zunächst mal das Wichtigste ist, um dann die ganzen Errungenschaften der Filmsprache und der Gestaltungsfähigkeit wegzuwerfen. Ich will ja alles haben. Ich will auch spinnen können, den Zuschauer in die Irre führen usw. Das will ich ja alles dürfen.
K. Wildenhahn: Ich habe eigentlich keine Frage, sondern wollte nur versuchen zu sagen, wie sehr mir der Film gefallen hat. Man ist ja etwas hilflos, das gleich in die richtige Definition zu bekommen. Ich glaube, der Film hat mir deswegen gefallen, weil – wie mir scheint – Du ohne Netz gearbeitet hast und in der filmischen Ausdrucksform etwas versucht hast, wo Du Dich auf Deine Einfälle verlassen hast, auch wenn Du manchmal nicht mehr wußtest, wo das endet. Daß es dann trotzdem nachher diesen Boden bekommen hat, ist für mich eine Sache, die mir unheimlich gut gefällt. Es wird auch klar dadurch, daß die handwerkliche Organisation des Materials genau bezeichnet ist, daß Phantasie im Film durch Technik und Organisation überhaupt erst möglich wird. Dieser Ansatz, der natürlich eher wie ein persönlicher Aufsatz oder wie ein Essay wirkt, hat mir sehr gut gefallen.
Andererseits habe ich darin auch eine gesellschaftliche Wirklichkeit wiedergefunden, obwohl der Film so persönlich ist. So eine Kulturbehörde und der Besuch von Godard im Büro vom NDR ist schon, jedenfalls für Leute, die in der Kultur arbeiten müssen, sehr aufschlußreich Viel weiter kann man es wohl kaum treiben. Was da ’rüberkommt, das ist sehr genau beobachtet.
H. Costard: Jetzt wollte ich noch mal sagen, daß es für mich hier eigentlich mit die schönste Vorführung war. Einmal von der Qualität der Vorführung aber auch vom Publikum her. Irgendwie ist es … ich hab’ auch schon traurige Vorführungen erlebt, wo ich das Gefühl hatte, daß es doch nicht zündet. Für mich war das sehr schön vorhin.
Zuschauer: Ich möchte noch etwas zu diesem 8mm-System sagen, aber nichts Technisches. Die Industrie hat ja hier ein Medium geschaffen für Nicht-Privilegierte. Kaum ein Arbeiter, außer er gibt sein halbes Leben dafür, kann sich l6mm oder so etwas leisten Er wird also in diesem 8mm-Bereich Medienarbeit betreiben. Von daher fand ich den Film so sehr wichtig, nämlich von der Frage her: wie weit kann so ein System in den offiziellen Medienapparat eindringen. Viele Kolleginnen und Kollegen haben ja eine Kamera, die sie zu Urlaubszwecken benutzen die aber genausogut dazu benutzt werden könnte, die Produzenten dieser Kameras in Frage zu stellen. Die Frage, die sich für mich ergibt, ist: Hast Du dieses System aufgegeben? Siehst Du in diesem Bereich Möglichkeiten, so eine Arbeitnehmerproduktion entstehen zu lassen, und inwieweit würde ein solches System in die offiziellen Medien eindringen können?
H. Costard: Es hat mal so ’ne Zeit gegeben, wo es hieß, jeder soll sein eigenes Leben aufnehmen usw. Ich finde das nicht mehr so wichtig! Es wäre vielleicht besser, wenn die Leute, die z. B Stehlampen herstellen. dahin kommen, die Produktion sinnvoller zu organisieren. Das wäre für mich im Moment die bessere Utopie als die gesamte Durchdringung der Gesellschaft durch die Medien. Das ist vielleicht auch ein falscher Wunsch.
Das andere, was für mich wichtig war – ich hab’ diese Gedanken auch in meinem Kopf so hin und her bewegt – und was ich entdeckt oder für mich sozusagen bewiesen habe: daß es diese Fluchtmöglichkeiten innerhalb des Systems nicht gibt. Da wird etwas hergestellt, S-8 billig und einfach; man kann damit – wenn man will – Filme machen. Aber diese Fluchtmöglichkeiten existieren in Wirklichkeit nicht, wenn ich diese Geräte gegen den Produzenten benutzen will. Das Scheitern ist eingebaut. Es ist nicht bewußt von den Produzenten eingebaut. der richtet sich nach den Gesetzen der Profitmaximinierung. Aber das Scheitern ist drin gewesen – und da wird das System eben sehr diffizil und gibt viel Anlaß zum Nachdenken. Das hab’ ich am Anfang nicht erkannt. Das war meine Dummheit. Ich habe gedacht, ich finde irgendwo ein Mauseloch, wo ich rauskomme. Und der Film zeigt, oder für mich ist er der Beweis: dieses Mauseloch existiert nicht. Die Welt ist dicht, da kommt keiner raus. Auch wenn er sich auf die Distanz des Mondes von uns entfernt: er ist noch drin.

Zuschauer: Soll ich Dir mal ein Mauseloch zeigen? Ich glaube, der Fehler Deiner Gedanken war – und das hast Du sehr gut beschrieben – als Du gesagt hast: ‚Ich produziere billig, womit kann ich das? Mit S-8′. Man kann nämlich mit S-8 nicht produzieren (ähnlich wie jetzt mit Video) und sagen: Jetzt muß ich auf den Kino-Markt oder den alternativen Markt meinetwegen, bundesweit mit Verleih und so. Ich glaube, das geht eben nicht, schon allein wegen der Bedingungen, die uns die Industrie gesetzt hat, von der Cassette angefangen über die Länge bis zu den Tonschwierigkeiten – alles das, was Du beschrieben hast. Wir sind zum Beispiel dazu übergegangen, klar zu sagen, daß es unnötig ist, mit S-8 für den bundesdeutschen Markt zu drehen. Wir sagen, daß es gut ist, kleine Sachen vor Ort zu machen für viel weniger Zuschauer mit ’nem ganz geringen Aufwand, der sich aber dennoch tragen läßt. Nicht unsere Arbeit wird bezahlt, aber die Materialkosten kommen dabei raus. Bei 500,- DM braucht ein Film fünfhundert bis sechshundert Zuschauer. Das geht. Dann hast Du auch die Schwierigkeiten der Werbung nicht mehr, weil dann die Leute an dem Thema extrem interessiert sind. Du kannst ihnen das Material, was Du ausgewählt und montiert hast, präsentieren. Du hast vorhin gesagt auf die Frage, für welches System man sich entscheiden soll, es gebe immer zehn Gründe, die dafür und zehn Gründe, die dagegen sprechen. Die dafür sprechen, seien meistens die zehn, die hin zur Professionalisierung führen. Es ist wichtig zu sagen, daß S-8 eben ein Amateursystem ist. Das ist gerade ist das Mauseloch, eines von vielen.

Costard: Da kann ich natürlich nicht widersprechen. Wenn Du die Filme machst, dann sind sie da, und dann ist es schön.

Saurer: Ich möchte noch eine Bemerkung machen zum Aufgeben von S-8. Das schiene mir trotz allem eine falsche Schlußfolgerung. Selbst das, was jetzt gesagt worden ist zur regionalen Arbeit, zur Arbeit vor Ort mit S-8, muß nicht das einzige sein. Es gibt dafür zwei Beispiele: Am 3. Dezember gibt es in der Schweiz eine Volksabstimmung, ob man so eine Bundesgrenzschutzgeschichte will, wie man es hier schon hat. . . Wir lernen ja immer von Euch … Dazu hat man, weil in der kurzen Zeit nichts Großes gemacht werden konnte, einen S-8 Film gedreht, der wird halt tagtäglich vor 200 bis 300 Leuten gezeigt. Und das ist besser als nichts. Dann gibt es auch einen Kraftwerksbau a Ia Brockdorf. Da haben beim ersten massiven Polizeieinsatz etwa ein Dutzend 5-8-Amateure Aufnahmen gemacht. Man hat die Unterschiedlichen Qualitäten in Kauf genommen, hat das Material geschnitten, und zwei Leute sind nach Berlin zur Deutschen Film- und Fernsehakademie gefahren und haben sich genau erklären lassen, wie man S-8 aufbläst auf 16 mm, und haben das dann selber gemacht. Der Film wird jetzt gezeigt, und es gibt keine Aufführung unter 200 Leuten. Also, ich würde das nicht unterschätzen. Man darf es auch nicht überschätzen.

Hinweis: Die Hefte Nr. 263 und Nr. 264 der Zeitschrift „Filmkritik” vom November und Dezember 1978 enthalten ausführliche Artikel zu Costard’s Film.