Alexander Scholz

HALT

Die Hand an der Kette einer Schaukel: Sie hilft beim Schwung holen, dass etwas in Bewegung kommen möge, bevor man loslässt und sich in die Welt stürzt. Gleichzeitig bietet das Festhalten Sicherheit; erlaubt, dass man der Welt noch etwas enthoben bleibt; sie beobachten kann, bevor man gleich wieder gezwungen ist, auf ihrem soliden Grund zu stehen.

„Halt“, das Motto der 49. Duisburger Filmwoche, meint die „Stopp!“ rufende Intervention ebenso wie den Wunsch nach Trost; den beruhigenden Rückhalt wie das längst übervolle Maß. In Filmen, besonders im Kino, begegnet uns oft beides. Manchmal wollen uns Bilder agitieren, uns für eine Sache einnehmen. Manchmal wollen sie uns in die Dinge entführen, sie verzaubern – Halt in der Wahrnehmung, manchmal gar im Eskapismus stiften.

Dokumentarfilme hingegen – zumal die, die wir in Duisburg zeigen – bieten selten Gelegenheit zur Realitätsflucht. Sie taugen kaum dafür, sie für bequemliche Ideen wohliger Kunstautonomie in Anspruch zu nehmen. Dafür haftet ihnen zu viel Wirklichkeit an. Halt suchen wir also nicht im Abstand zum Hier und Jetzt, sondern finden ihn stattdessen in Präsenz, ineinander. Als Zuschauende, die gemeinsam innehalten oder sich miteinander unterhalten; gemeinsam Wahrnehmungen und Widerstand nicht konsumieren, sondern erfahren und denken.

Dieser Halt ist kein romantischer Sozialkitt, als der das kollektive Erleben von Kunst oft verklärt wird – insbesondere von jenen, die solches Miteinander sparend sabotieren. Der Halt, den wir meinen, ist die Kraft, der Ohnmacht entgegenzutreten, Beziehungen neu zu knüpfen und Geschichte in Bildern in Bewegung zu halten. Es könnte die Kraft des Dokumentarfilms sein, „die versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zu zwingen, dass man ihnen ihre eigene Melodie vorsingt“ (Marx) – oder sie zumindest, mit der Hand an der Kette, ins Schwingen bringt.