Film

Achshav at ahat mishelanu
von Maya Steinberg
DE, IL 2022 | 30 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 47
7.11.2023

Diskussion
Podium: Maya Steinberg
Moderation: Therese Koppe
Protokoll: Marius Hrdy

Synopse

Die Grabstätte von Rabbi Schimon ben Jochai in Galiläa. Vom Regen benetzte Schtreimel glänzen im Abendlicht auf den Köpfen der Pilger. Maya Sternberg sucht den Ort auf, der ihren Vater vor 15 Jahren zum tiefreligiösen Judentum bekehrt hat. Männer tanzen ausgelassen um ein Feuer herum. Eine Freundin erklärt ihr, wie man beim Beten richtig „schockelt“. Als säkulare, queere Frau versucht Maya, ihren Vater zu verstehen – und stellt sich gleichzeitig die Frage: Gibt es hier einen Platz für mich?

Protokoll

Die Zuseher:innen tröpfeln aus dem Kinosaal heraus und in den Diskussionsraum im Bora hinein. Auf der Leinwand ist im Zoomkader-Vollbild der Schriftzug „Maya Steinberg“ zugeschaltet, am linken unteren Rand läuft im kleineren Kader das Videobild der steten Füllung des Raumes durch das Publikum. Schließlich wird Steinberg selbst im Großformat sichtbar. Es kann losgehen.

Therese Koppe fragt Steinberg eingangs, welche filmische Form sie für diese persönliche Reise als queere Frau an den Ort der religiösen Bekehrung ihres Vaters geplant hatte?

Steinberg antwortet, sie bediente sich der anthropologischen Feldarbeit – das heißt für längere Zeit in eine Community eintauchen um Teil von ihr zu werden und dadurch ein besseres Verständnis von deren sozialer Interaktion und zwischenmenschlichen Beziehungen zu bekommen. Dabei sparte sie bewusst ihren Vater aus – sie wollte ihn verstehen, ohne ihn direkt zu filmen und sich in seine Lage (wie sie auf Englisch sagt: to put herself in his shoes) zu versetzen.

Im Film drückt sich diese „Lage“, oder eben diese „Schuhe“ unter anderem über den chassidischen Hut als Symbol der religiösen Zugehörigkeit aus. Zu Beginn ist dieser stets ausschließlich auf den Köpfen der männlichen Pilger zu sehen, als quasi Fleischwerdung des Pilgerortes und dessen Geschlechterverhältnisse, auf die Steinbergs Kamera immer wieder erkundend blickt. Und am Ende sieht man, wie sie sich selbst einen Hut aufsetzt um mit dem Symbol eins zu werden und sich damit ihre Suche nach Zugehörigkeit in letzter physischer Konsequenz „anzieht“.

Koppe hakt hier nach: Wie hat sich Steinberg genauer mit dem anthropologischen Blick und diesen performativen Elementen gegenüber ihrem Umfeld auseinandergesetzt?

Steinberg fügt an, sie wollte einen Film machen, der sie zeigt, wie sie auf die Pilgerstätte und ihre Menschen blickt, aber auch wie dabei der Film selbst auf sie zurückblickt. Sie wollte diese beiden Blickachsen hervorheben und bewusst mit dem female und male gaze spielen.

Koppe fokussiert das Gespräch jetzt auf Steinbergs Beziehungen zu Frauen, die im Film besonders unmittelbar und hervorgehoben erscheinen. Welche Funktion haben die Protagonistinnen hier? Steinberg meint, in einer früheren Version des Films gab es auch viele Szenen mit Männern, die über ihre Rolle am Pilgerort sprachen. Sie entschied sich aber, diese Männer im Schnitt einfach auszusparen, so wie sie es mit ihrem Vater selbst tat. Mit dem Wegschneiden der Männer wurde für sie der Prozess ihrer feministisch-queeren Reise sichtbarer.

Koppe möchte nun mehr über die Kapitelgliederung des Films wissen und betont dabei auch die humorvollen Zwischentitel. Steinberg erklärt, am Anfang wird der Pilgerort eingeführt. Im zweiten Teil sind dann die Frauen des Ortes zentral. Im dritten geht es darum, Mann zu werden um besser zu verstehen, um Teil dieser Gruppe zu werden. Im Judentum, heißt es, können Männer studieren, und dabei den Hut aufhaben, einer Kopfbedeckung die das Denken „bildlich erlaubt“.

Nach Zuschauerfragen über die Filmmusik und dem momentanen Verbleib des Hutes, kreist eine Frage am Ende wieder auf die Technik des Blickes zurück: Was war der Blick der Pilger:innen auf sie? Steinberg glaubt, dass diese wohl Angst hatten objektiviert zu werden und daher nicht immer einladend zu ihr waren. Sie spricht die gesellschaftliche Polarisierung in Israel an, dass sie auch mit Leuten stritt, weil sie als queere Frau sichtbar war, als „Linke“, und gefragt wurde, warum sie Hosen trägt. Diese Spuren der anthropologischen Suche entschied sich Steinberg schlussendlich nicht im Film zu zeigen.