Film

Der Patriot
von Katja Fedulova
DE 2018 | 35 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 42
08.11.2018

Diskussion
Podium: Katja Fedulova
Moderation: Sven Ilgner
Protokoll: Serjoscha Wiemer

Synopse

Der jüngste Abgeordnete der Duma auf Agitationstour: Wassilij Maximowitsch Wlassow inszeniert sich als Macher, ist textsicherer Nationalkonservativer. Seinem Vorbild Wladimir Schirinowski nachstrebend, klopft er lustvoll chauvinistische Sprüche. Die Stimme seiner Freundin steht indes nicht auf der markigen Agenda des ehrgeizigen Parvenüs.

Protokoll

Sven Ilgner lenkt das Gespräch gleich zu Beginn auf den Protagonisten des Films, den jungen Duma-Abgeordneten Wassilij und dessen Rhetorik. Wassilij ist Mitglied der LDPR, einer rechtsnationalen konservativen Partei, die durch den bekannten Parteivorsitzenden Wladimir Wolfowitsch Schirinowski geprägt ist. Der Film betone wie wichtig die Sprache als Mittel der Politik sei. Als die Regisseurin gebeten wird, die Sprache von Wassilij genauer zu beschreiben, charakterisiert sie diesen als einen hervorragenden Redner. Über seine Sprache sei es ihm möglich, viele Menschen zu erreichen und sich verständlich zu machen. Er erreiche sowohl einfache Menschen als auch höhergestellte.

Ilgner vertieft das Thema, und schlägt vor, die Art der Rede Wassilijs als eine bestimmte Variante populistischer Rhetorik zu verstehen, die einen harten und konfrontativen Stil eher vermeide. Die Regisseurin geht darauf ein und zieht den Vergleich mit dem Auftreten Schirinowskis, der sich durch harte Parolen profiliere. Wassilij präsentiere zwar einen anderen Stil, grenze sich aber dennoch nicht erkennbar von Schirinowksi ab.

Durch das filmische Porträt Wassilijs wolle sie etwas von den Veränderungen der russischen Gesellschaft erzählen. Es sei zu beobachten, dass die junge Generation sich an konservativen und nationalistischen Werten orientiere. Es gäbe eine Neubelebung von Werten aus Sowjetzeiten, zuweilen in einer merkwürdigen Mischung mit einer in manchen Fällen geradezu fanatischen Religiosität. In den letzten drei Jahren, seit ihrem Film MEIN NAME IST KHADIJA (2015, df), habe die politische Situation eine negative Entwicklung genommen. Es sei eine programmierte Strategie des Staates, das Land durch patriotisch-nationalistische Werte zusammenzuhalten. Viele junge Menschen, die sich politisch engagierten, kämen zu den großen Parteien, weil sie sich dort eine gesicherte Zukunft erhofften. Die Oppositionsparteien seien sehr schwach. Oppositionelle Meinungen würden eingeschüchtert. Erst vor wenigen Tagen seien zehn junge Menschen in Russland unter dem Vorwurf des Extremismus verhaftet worden. Dies sei eine Form von Abschreckung und Einschüchterung. Liberale Ansichten hätten nicht die gleichen Chancen wie konservative Positionen.

Ein Zuschauer berichtet, dass deutlich geworden sei, dass Wassilij ein Machtmensch sei. Der Film unterstütze diese Wahrnehmung, da der Protagonist häufig sehr stark wirke. Allerdings gebe es Szenen, die diesem Eindruck entgegen stünden. So zeige Wassilij sich zurückhaltend wenn seine Mutter anwesend sei. Und in der Eröffnungsszene zeige der Film, wie Wassilij durch die Regisseurin dirigiert werde.

Eine andere Zuschauerin bemerkt, sie habe den Eindruck, die Regisseurin habe ihren Protagonist zu Beginn „ins Messer“ laufen lassen. Das sei irritierend. Die Szene habe satirische Züge. Frau Fedulova erläutert daraufhin die Szene und schildert, wie sehr es Wassilij geschmeichelt habe, dass ein Film über ihn gedreht werde, der in Deutschland gezeigt werde. Er habe sich sehr auf das Interesse gefreut und sei stolz darauf gewesen. Dies und die Eitelkeit des Protagonisten hätten zu der Eingangsszene geführt. Sie habe Wassilij so gezeigt, wie er sei. Die betreffende Sequenz fasse sie nicht als Bloßstellung auf. Sie habe von Beginn an mit Wassilij darüber gesprochen, dass eine gewisse Portion Satire und Humor für den Film wichtig sei. Die Rolle der Musik sei für die satirische Ebene des Films sehr wichtig, gerade um hervorheben, dass politische Inszenierungen in Russland oft wie ein „Theater“ ablaufen.

Ob die Regisseurin durch einen kritischen Film über Russland negative Konsequenzen für ihre weitere Arbeit fürchten müsse, fragt eine Zuschauerin. Darauf antwortet Frau Fedulova, dass ihre Filme nur noch selten oder gar nicht in Russland gezeigt würden. Auch sei es üblich, dass Filmfestivals alle Filme ein Jahr im Voraus zur Genehmigung beim Kulturministerium vorlegen müssen. Es gebe durch neue Gesetze weitere Hindernisse für russlandkritische Filme.

Ein Zuschauer zeigt sich verwundert darüber, dass die Regisseurin einen Menschen porträtiere, der ein so konservativ-reaktionäres Frauenbild vertrete. Die Regisseurin sieht darin keinen Konflikt, es habe sie interessiert zu erfahren, warum ein Mensch solche Ansichten vertrete. Ihr Film habe zwar keine Antworten darauf, was man gegen Rechtspopulismus tun könne. Es sei aber wichtig, sich damit auseinanderzusetzen. Es gebe schließlich nicht nur in Russland, sondern auch in Europa und an anderen Orten rechtspopulistische Bewegungen.

Ilgner interessiert sich für die Drehbedingungen. Fedulova berichtet davon, dass sie insgesamt zwölf Drehtage in Russland gehabt hätten. Manche Pläne für Dreharbeiten seien durch „höhere Stellen“ verhindert worden. Alles was gedreht werden durfte, sei immer abgesprochen gewesen. Daher sei es Glück gewesen, dass im Internet viele Aufnahmen gefunden werden konnten, die zum Beispiel Wassilij und Schirinowsky zusammen bei Auftritten zeigen.

Schließlich richtet sich die Diskussion auf das im Film gezeigte Material und seine Verwendung. Joachim Schätz fragt nach der Herkunft des nicht selbstgedrehten Materials, und ob da auch PR-Material der LDPR dabei sei. Es sei wichtig, so Schätz, Inszenierungsweisen und Rhetoriken sichtbar zu machen. Dies sei schwierig, wenn PR-Material verwendet werde, das mit eigenem Filmmaterial im Schnitt vermischt wird. Die Regisseurin erklärt, dass das fremde Material auf YouTube gefunden worden sei. Gerade die Eröffnungsszene sei auch ein satirischer Kommentar auf das Genre von Politiker-Werbeclips und deren Selbstinszenierung. Sie glaube, dass ein Dokumentarfilm wie DER PATRIOT das Verständnis solcher Inszenierungsweisen verändern könne, wie sie etwa im russischen Fernsehen üblich seien.

Eine Zuschauerin möchte wissen, ob es den Versuch gegeben hätte, eine „Gegenstimme“ im Film zu etablieren, um dem Protagonisten etwas entgegen zu setzen? Die Regisseurin antwortet, dass es tatsächlich für einige Zeit die Hoffnung gegeben habe, dass die Freundin des Protagonisten die Rolle eines Gegenpols ausfüllen könnte. Diese Idee sei jedoch gescheitert. Dadurch habe der Film sich auf die Beobachtung dessen, was in Russland passiert, konzentriert, weniger auf kontroverse Positionen.

Es sei ihr Anliegen, so die Regisseurin gegen Ende der Diskussion, etwas zu zeigen, dass man noch nicht im Westen über Russland kenne. Dann könnten Menschen auch Bezüge herstellen zu dem, was in Deutschland passiert.