Film

Sofern Real
von Miriam Bajtala
AT 2015 | 30 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 40
10.11.2016

Diskussion
Podium: Miriam Bajtala
Moderation: Katrin Mundt
Protokoll: Lena Serov

Synopse

Leere Zimmer, belebt durch unverständliche Gesten: Schauspieler beschreiben und imitieren Symptome diffus bleibender Pathologien. Darstellungsversuche umreißen Krankheitsbilder, versuchsweise Sprechakte zeugen von vergeblicher Aneignung. Türen, Fenster und Treppen als Schwellen zwischen dem Innen und Außen klinischer Wirklichkeitsräume. 

Protokoll

Bildsprache/Körpersprache

Der Film habe eine dichte Bildsprache, die Räume, Sprache und Akteure miteinander verwebt – mit dieser Beobachtung beginnt Katrin Mundt die Diskussion. Als BetrachterIn werde man performativ mit eingebunden, ohne das Gesehene direkt dekodieren zu können.

Vier Schauspielerinnen und ein Schauspieler stellen psychische Krankheitsbilder aus der medizinischen Praxis dar und erläutern diese, erklärt die Filmemacherin Miriam Bajtala. Diese Darstellungen seien Teil einer Studienübung: Diese SchauspielerInnen spielen für Studierende der Medizin in Wien Erstgespräche, wobei die Studierenden die Krankheiten bestimmen müssen. Bajtala interessierte dabei, dass die Schauspielerinnen und Schauspieler ihre Texte selbst entwickeln, aber vor allem mit ihren Körpern agieren müssen und diese Körperlichkeit entwickeln. Die Methode der SchauspielerInnen bestehe darin, dass sie mit PatientenInnen Zeit verbringen und daraus performative Formen entwickeln. Dabei sind es, wie Bajtala ausdrückt, „historisch gekapselte Fälle“, d.h. die Darstellungen haben keine Entwicklung, sondern dokumentieren ein bestimmtes Krankheitsstadium. Diese Zusammenarbeit zwischen Kranken und SchauspielerInnen soll in dem Film ‚animiert’ werden.

Mundt weiter: Was wir beobachten, ist das Changieren zwischen Beschreibungen und Handlungen – die verbale Sprache komme dabei oftmals an ihre Grenzen. Eine Schauspielerin spricht davon, dass sie sich scheut, bestimmte Klischeebilder zu reproduzieren. Welche Stereotypen der Darstellung werden hier aufgerufen? Bajtala war fasziniert von dem großen Darstellungsrepertoire der SchauspielerInnen, von ihren unterschiedlichen Qualitäten bestimmte Krankheitsformen darzustellen und den unterschiedlichen Arten, darüber zu sprechen. Eine Schauspielerin, die auch gleichzeitig die Gründerin dieser Initiative ist, habe einen sehr speziellen, weil didaktischen Zugang zum Spiel. Die erste Protagonistin des Films habe für Bajtala eine sehr interessante Methode, in die Körper ihrer Fälle zu finden, die auf sie sehr authentisch wirke. Die dritte Schauspielerin wiederum sei eine tolle Darstellerin, könne aber über ihre Darstellung nicht gut sprechen.

Räume/Licht

Es gebe zum einen die klinisch weißen Räume der DarstellerInnen und zum anderen den Parallelraum, in dem eine Performerin agiert. Wie ist das Verhältnis zwischen den beiden Räumen und was waren die Anweisungen an die Performerin?

Zunächst einmal wollte sie keinen Dokumentarfilm machen, bekennt Bajtala. Stattdessen wollte sie einen performativen Raum eröffnen, der die Eigenschaften belebt, komisch und poetisch bekommt. Sie stellte sich außerdem für den Film die Aufgabe, eine Pseudospur zu legen, d.h. mit anderen Bildern zu arbeiten und einem anderen roten Faden zu folgen.

Da kam die Einladung in die Villa Renata gelegen. In diesen Räumlichkeiten, in denen Bajtala auch gewohnt habe, habe sie mit der Performerin – dieser Begriff sei treffender als Schauspielerin – drei Tage verbracht. Dabei haben sie viel ausprobiert, wobei das Meiste verworfen wurde. Das übrig gebliebene Material habe Eingang in den Film gefunden.

Inwiefern habe die Performerin mit diesem „seltsamen Raum“ interagiert? Und wie interagierte die Kamera?, wollte Katrin Mundt weiter wissen. Bajtala habe zwei Kameras dabei gehabt, mit denen sie selbst alles gedreht habe. Sie arbeite grundsätzlich viel mit Räumen. Beim Dreh kam ausschließlich natürliches Licht zum Einsatz, denn sie habe kein anderes Licht dabei gehabt. Das lag auch an dem geringen Budget, das sie für den Film zur Verfügung hatte. Sie habe sich zwar Beleuchtung ausgeliehen, diese gesetzt und damit gespielt, sich jedoch letztendlich für das natürliche Licht entschieden.

Sven Ilgner macht zusätzlich auf die Inszenierungen des Lichts am Fenster und in den Räumen aufmerksam. Er habe versucht, die Bedeutung der Außenumgebung zu entschlüsseln. Bajtala habe sich mit der Kamera und im Schnitt bei der Konstruktion der Räume vom Zufall leiten lassen. Demnach gebe es im Film auch ein unbewusstes Element.

Später fragt Katrin Mundt nach anderen Präsentationsformen des Films und ob der Film beispielsweise schon in Ausstellungen gezeigt wurde. Dem Ausstellungsraum werde meist eine zerstreute Wahrnehmung zugeschrieben, während das Kino eine konzentrierte Rezeption fördere. Wie habe sie das erlebt? Wie kippten auch die Räume im Film und der Präsentationsraum ineinander? Bajtala finde den „totalitären Blick“ des Kinos für diesen Film spannender. Sie habe aber auch die Erfahrung gemacht, dass ZuschauerInnen dem Film in der Ausstellung viel Aufmerksamkeit geschenkt hätten, sie seien sitzen geblieben und haben sich vom Film fesseln lassen.

Stimme/Kommentar

Da Bajtalas eigene Stimme eine große Rolle im Film spielt, wollte Katrin Mundt wissen, wie sie sich entschieden habe, diese zum Einsatz zu bringen, um auch Verbindungen zwischen den unterschiedlichen Räumen sowie von Innen und Außen herzustellen. Ihre eigene Stimme kam erst später hinzu, entgegnet Bajtala. Sie suchte nach Möglichkeiten, Verbindungen zwischen den Menschen und Räumen herzustellen und dabei die Brüche offen zu lassen. Die verschiedenen Timbres der Stimmen tragen dazu bei. Auch sei der Rhythmus schon vorher da gewesen, dennoch habe sie im Nachhinein daran weitergebaut. Sie wollte einen Effekt des Stotterns oder Zitterns herstellen.

Aus dem Publikum wird gefragt, warum es im Film keine Erklärungen gebe, da es doch ein Dokumentarfilm sei, wenn er auf diesem Festival läuft. Für Bajtalas Zugang war es wichtig, dass der Film offen bleibe. Sie wollte keinen Film über psychische Krankheiten machen, sondern über die Schauspielerinnen und Schauspieler. Für sie hätten Erklärungen viel vom Film genommen.

Nach dem Einsatz der [englischen] Untertitel erkundigt sich eine Zuschauerin, ob diese auf eine andere Ebene im Film verweisen. Bajtala wollte zugleich auch eine englische Version des Films haben. Außerdem entstünden im Film auch semantische Überlappungen durch die unterschiedlichen auftretenden Personen, die durch die Stimme evoziert werden: das Sprechen durch die ‚kranke’ Person und das Sprechen der ‚Psychiaterin’ – die Untertitel sind eine andere Form der Sichtbarmachung, wer spricht. Die Unterlegung der weißen Untertitel mit einem Streifen erkläre sich dadurch, dass die Untertitel vor dem Hintergrund des weißen Raums nicht lesbar wären.

Bau/Montage

Der Filmemacher Michael Palm interessiert sich für den Gesamtaufbau der Films und die Montage. Der Film insinuiere, dass ein Bild des Wahnsinns erzeugt werde, das sich performativ auf den Zuschauer übertrage. Auch den virtuosen Einsatz der Stimmen hebt Palm hervor und fragt, welche Strategien im Schnitt leitend waren.

Die Montage sei ein Prozess gewesen. Zunächst habe sie die Teile mit den Interviews und den Schauspielerinnen gedreht und wusste dann zunächst nicht weiter. Dann nahm sie die Episoden in der Villa Renata auf. Aus dem gesamten Material hat sich alles entwickelt, wobei der Aspekt der Nähe zum Wahnsinn eine Rolle spielte. Bajtala hebt einige Elemente aus dem Material hervor: leichte Schwenks, Geräusche beim Herunterziehen am Geländer. Bei diesem Film war ihr wichtig, zu experimentieren. Sie habe zum ersten Mal mehr ausprobiert und ohne Drehbuch gearbeitet. Bei den anderen Filmen habe sie bisher immer ein strenges Konzept verfolgt.

Eine andere Frage aus dem Publikum thematisiert die Auswahl der Krankheitsbilder, ob die Filmemacherin diese selbst bestimmt habe. Bajtala habe so gearbeitet, dass sie sich am jeweils unterschiedlichen Repertoire der Schauspielerinnen orientiert habe. Sie unternahm jeweils zwei Drehtermine pro Krankheitsbild, während die SchauspielerInnen zwei bis drei aus ihrem Repertoire auswählten. Die abschließende Auswahl habe sie nach der Realitätsnähe getroffen, damit die Darstellungen nicht allzu abstrus wirken. Wichtig dabei war ihr die Verbindung zum Publikum.