Film

Coming Or Going
von Yannick Kaftan
DE 2016 | 39 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 40
08.11.2016

Diskussion
Podium: Yannick Kaftan
Moderation: Jessica Manstetten
Protokoll: Kerstin Börß

Synopse

Enthusiasmus und Zwiespalt, „Be yourself“ und „Don’t believe the hype“: Einst Journalistin hat Oneita ihr altes Leben gekündigt, um als Taxifahrerin jene zu bewegen, zu unterhalten und zu beraten, die die hippe Revitalisierung Detroits antreiben oder besichtigen wollen. 

Protokoll

„Wo du bist, solltest du sein“ sagt Taxifahrerin Oneita und dreht ihren Kopf mit der schwarzen Cappy zur Seite, sodass sie und das kleine grüne allzu bekannte aufgenähte Krokodil auf der Seite ihre Cappy den Mann auf dem Beifahrersitz anschauen. Der mit seiner Situation in der Welt unzufriedene junge Mann mit dem Bandana auf dem Kopf hält kurz inne, bevor er zum Abschied – am Zielort angekommen – noch ein paar Worte Jesu in die Kamera spricht und dann Oneita und ihr Taxi verlässt. Kurz darauf versucht die Taxifahrerin etwas aus dem wenig gesprächigen Profisportler aus Montréal, der seine grün verspiegelte Sonnenbrille auch noch auflässt, als Oneita sich kurz verfährt, herauszukitzeln. Bei zwei Reporterinnen aus New York mit Pappkaffeebechern in der Hand ist ihre Expertise anschließend dann wieder voll gefragt.

Yannick Kaftan begleitet Oneita mit der Kamera auf ihren Fahrten – hauptsächlich auf dem Weg zum Flughafen oder vom Flughafen in die Innenstadt. Während sie ihre Kunden mit dem Taxi durch Detroit fährt, erweitert Kaftans Film das Innere des Taxis somit auf den Kinosaal und vermag die Zuschauer ebenso mitzunehmen. Auch der Ursprung des Films liegt in einer ersten Taxifahrt. Vor zwei Jahren öffnete Kaftan Oneitas Taxitür früh morgens in Detroit: „Sie hat mich und eine andere Frau zum Flughafen gebracht und mich dann erst einmal zugelabert, aber auf eine liebe Art und Weise.“ Der Hamburger Filmstudent war in der Metropole Michigans, um „einen Anker für meinen Film, einen Startpunkt“, zu finden. „Dann habe ich überlegt, sie könne der Eingang oder vielmehr Zugang zur Stadt sein.“ Zunächst habe er nur eine Episode mit ihr machen wollen. „Aber dann wurden es sechs Wochen mit ihr, sie hat mich sozusagen gefangen genommen“, sagt Kaftan mit einem Schmunzeln auf den Lippen.

Früher hat die Detroiterin als Journalistin gearbeitet. Sie gehe ungewöhnlich intensiv auf Leute ein, unvoreingenommen, sei interessiert, nicht oberflächlich, sagt Kaftan. Man merke die Journalistin in ihr. Und dieses journalistische Ich gehört nun auch untrennbar zu ihrem neuen Job, ganz wie das essentielle Handy und das Ladegerät, das sie bei der Morgenroutine, bevor sie ins Auto steigt, in die Seitentasche ihres beigefarbenen bodenlangen Trenchcoats steckt.

Er hätte Oneita auch begleitet und gefilmt, wenn sie nicht als Taxifahrerin gearbeitet hätte, sagt Kaftan. Doch Moderatorin Jessica Manstetten empfindet gerade dieses Taxi als einen besonderen Raum. Dieser Transitraum, ein Ort des „man ist da, aber nicht angekommen“, mache Detroit im Film zu einer Stadt am Rand, die Vorstellung, Projektion bleibe. Tatsächlich erfährt der Zuschauer über das Außen, wenn es das in diesem „Meta-Film“, wie ihn Werner Ružička nennt, überhaupt so gibt, nur aus Gesprächsfetzen unterwegs. Detroit als „abwesende Stadt“, wie es Manstetten beschreibt, zu skizzieren, war jedoch nicht Kaftans anfängliche Idee: „Ich wollte Detroit erst voll zeigen. Habe viel aus dem Auto gefilmt. Ich mochte die melancholische Stimmung. Doch für den Film, der es dann im weiteren Prozess wurde, habe das wenig Sinn gehabt.

Die so entstandene Form des Films versteht Kaftan als etwas wie „eine komische bunte Collage, bruchstückhaft“. Er habe die Anekdoten gemocht, die kleinen Geschichten, die im Film miteinander verbunden sind. Kommissionsmitglied Joachim Schätz interessiert bezüglich der Schnittentscheidungen, was die gezeigten Leute für ein Sample des Ganzen seien. Da man hauptsächlich Upper Middle Class im Bild gehabt habe und wenig soziale Durchmischung. Nicht jeder fahre Taxi und nicht jeder fahre zum Flughafen. Das sei somit schon eine krasse Vorauswahl gewesen, erklärt Kaftan, der den Schnitt gemeinsam mit Thomas Köhling gemacht hat. „Es waren hauptsächlich Menschen, die beruflich unterwegs waren.“ Eine Charakteristik, die sich auch auf „O“, wie sich Oneita nennt, und Kaftan erweitern lässt.

Bei der Mosaikarbeit sei es Kaftan zudem wichtig gewesen, auf subtile Art Dinge einfließen zu lassen. Durch das Gespräch mit einem japanischen Besucher stehen Verfall und Brachstellen der Stadt im Raum und die Szene mit den New Yorker Journalistinnen, einer der Lieblingsmomente Werner Ružičkas, wirft einen Blick auf den Hype um die Stadt. Das Interesse der Künstler an Detroit sei durch den italienischen Musiker Vittorio Bongiorno vertreten und durch Yannick Kaftan selbst. So nimmt sich der Mann, der für Regie, Buch, Kamera und Ton zuständig war, auch nicht aus, wenn er versucht, das Gemeinsame der Gäste zu benennen: „Jeder hatte einen Auftrag. Auch ich war ein Teil dieser Suchenden, Reisenden.“ Einer dieses Ensembles der Reisenden, der gerade erwähnte Taxi-Gast Vittorio, ein Italiener mit Cowboystiefeln und Gitarre im Gepäck, erscheint zu Beginn des Films nach seiner Ankunft in Detroit und fährt am Ende des Films auch noch einmal mit Oneita zum Flughafen, als seine Zeit in Detroit zu Ende ist. Der Rahmen durch Vittorio impliziert einen abgeschlossenen Charakter des Mosaiks um „O“. Doch eine Szene, in der Oneita als Mitfahrerin auf den Rücksitz eines anderen Taxis steigt, öffnet wiederum diesen Komplex und deutet auf ein noch größeres Netz hin.

Vittorio Bongiorno selbst hat noch mehr Funktionen als die einer Klammer. Kaftan hatte beim Soundtrack des Films Verschiedenes ausprobiert: „Am Anfang hatte ich gar keine Musik, doch das war irgendwie zu trocken. Ich musste schmieren, damit es läuft.“ Jene Schmiere fand der Filmemacher in den Klängen von Vittorio. Der Mann, der in die Stadt kam, um den Klang Detroits zu suchen, gibt der abwesenden Stadt somit selbst seinen Klang. Jetzt sei es nun teilweise sehr viel Musik geworden, repetitiv und laut, zeigt sich Kaftan in der Diskussion selbstkritisch und lässt durch diese Reflexion auch sein Werk in Bewegung.

Joachim Schätz setzt seine kritische Nachfrage an einem anderen Punkt an und fragt sich, ob es böse sei, von informativem Stadtmarketing durch Oneita zu sprechen. Wer wissen möchte, was mit Detroit los ist, könne „O“ fragen. Kaftan versteht es nicht als bösen Einwurf, schließlich vermarkte sie sich ja auch sehr. „Sie hat auch eine eigene T-Shirt-Marke und wollte die ins Bild rücken. Ich habe vieles gefilmt, eine T-Shirt-Party beispielsweise, sowas dann aber nicht mit reingenommen.“

Insgesamt habe sich über die Wochen des Drehs infolge des vielen Wartens und der ganzen Tage im Auto ein Spiel zwischen ihr und ihm herauskristallisiert. Im Film gut erkennbar, wenn Kaftan zwischen den Gast-Episoden immer mal wieder kurz mit ihr interagiert. „Du machst doch gar keinen Film. Du bist doch ein Psychologiestudent, der seine Bachelorarbeit über die Schizophrenie einer Detroiter Taxifahrerin schreibt“, wirft sie ihm in einer dieser Szenen an den Kopf. Mit dem Film ihres Psychologiestudenten war sie zunächst sehr unzufrieden, kam aber dann doch nach Hamburg, als Kaftan den Film das erste Mal an der Uni zeigte. Europa-Premiere für „O“. So hat der Film nun auch aus der Begleiterin der Reisenden eine Reisende gemacht. Eine Reisende, die in Detroit allerdings nicht mehr Taxi fährt. Es habe sich nicht mehr rentiert. Ein Hotel ist ihr neuer Arbeitsplatz. Ein weiterer Transitraum, welcher ebenfalls unter das Motiv des Coming or Going fällt. Ein Filmtitel, den Kaftan einem Lied entlieh, das „O“ öfters gehört hat. Wenn es nach Oneita gegangen wäre, hätte der Film allerdings entweder Oneita‘s Detroit oder schlicht und einfach „The magnificent O“ geheißen.