Extra

Digitalburg

Duisburger Filmwoche 37
06.11.2013

Podium: Ute Holl, Maximilian Linz
Protokoll: Nadine Voß

Sichtbar und hörbar haben sich filmische Praktiken und ästhetische Verfahren des Filmens unter Bedingungen des Digitalen verändert. Das betrifft Formen der Aufnahme, der Postproduktion und der Zirkulation sowie das, was als Screen einen vielfältigen Gebrauch der Filme möglich macht. Zudem entwickeln digitale Filmbilder komplexe Oberflächen, werden selbstbewusster aber auch selbstgenüg­samer, reflektieren kritisch ihre eigene Komposition, rücken Cache und Rahmung in den Blick. Wie sind die hier entstehenden ästhetischen Differenzen zu benennen und zu bewerten? Gehen Bezüge zur Realität verloren? Ein Gespräch über Stra­tegien für oder gegen die neuen Bildformen. 

Protokoll

Ute Holl und Maximilian Linz treffen sich auf dem Duisburger Podium zum Gespräch. Es geht um „zwischen verschiedenen Leinwänden migrierende Bilder unter digitalen Bedingungen“ (Holl). Kurz, um Digitalisierung, ließe sich sagen, doch schon die Katalogtexte lassen eine Form von Komplexität erahnen, der in der ersten Phase des Gesprächs nicht jeder Zuschauer unmittelbar folgen kann. Gleichnisse aus Antike und Mythologie finden wiederholt Gebrauch, wobei alte und neue Bilddispositive in unterschiedlichen Variationen als Prometheus‘ Feuer oder Platons Höhle auftreten.

Es ist ein eher unübliches Diskussionsformat in Duisburg, „ein Experiment mit ungewissem Ausgang“, wie Ute Holl zu Beginn ankündigt. Während die gesonderten Gesprächsveranstaltungen der Filmwoche zumeist unter konkreter Betitelung Lösungsansätze diskutieren, ist die Idee von Digitalburg, aus unterschiedlichen Arbeitskontexten heraus – beide bewegen sich in theoretisch-praktischen Spannungsfeldern, Holl an der Universität, Linz als Filmemacher – gemeinsam Fragen zu stellen und Standpunkte abzugleichen.

So werden auf dem Podium zunächst Positionen und Interessen abgesteckt, Gedanken ausgetauscht, Fragen aufgeworfen. Auch im Publikum: Worum genau es denn nun ginge, möchte Eva Hohenberger wissen: um eine apparative Differenz, die Veränderungen auf verschiedensten Ebenen generiere oder um die analoge und digitale Bildlichkeit selbst? Richtig zu trennen sei das für ihn nicht, erwidert Linz. Auf keinen Fall solle ein nostalgischer „Materialfetischismus“ heraufbeschworen werden; es gehe nicht um Wertungen, sondern um die Anerkennung, das Bewusstsein und die Auseinandersetzung mit in Umstrukturierung begriffenen Prozessen – darum, sich zu grundlegenden Veränderungen zu verhalten.

Im Folgenden ein Querschnitt der diskutierten Aspekte, die sich um Rezeption, Produktion, Apparaturen und Aufführungen drehen.

Das Stichwort „Verantwortung“ prägt das Gespräch rund um den Rezeptionsaspekt. In diesem Zusammenhang erweitert Maximilian Linz das Spektrum der apparativen Differenz um den Begriff der „Verlebendigung“: In Abwesenheit einer Mechanik, die unter menschlicher Hilfestellung Bilder in Bewegung verwandelt, eben „belebt“, werde der Zuschauerkörper zur letzten Instanz der Präsenz. Die Verantwortung des Rezipienten liege in der Bewusstwerdung der eigenen Verwobenheit in digitale Bilder und Ströme: der Zuschauer als Koproduzent des digitalen Films im Kinoraum. Auch außerhalb des Kinos reißt die Digitalisierung den Konsumenten aus der Passivität, streicht das Präfix und erschafft den Prosumenten. Mit der Popularisierung technischer Verfahrensweisen vollzieht sich die Wandlung vom Distributions- zum Kommunikationsmedium, leichte Bedienung und Erschwinglichkeit allgemein zugänglicher Produktionstechnik markieren das Kinobild als universellen Referenten und Qualitätsgaranten – vor allem im Verkaufsgespräch mit Saturn-Fachangestellten, weiß Max Linz zu berichten. Auflösung und Schärfe werden zu den bestimmenden Parametern, Artefakte als Markierungen des überholten Analogen stören den Blick. Peter Ott merkt hierbei an, dass die Digitalisierung mit einer Konzentrations- und Enteignungsmaschinerie einhergehe, die das Wissen der Ingenieure und Techniker zunehmend in Softwarekonzerne verlege. Seien Regisseure und Autoren nicht in einer ähnlichen Position?

Ute Holl bezieht den Verantwortungsbegriff auf den Rezeptionsvorgang an sich und stellt die These auf, dass es im (Dokumentar)Film nicht mehr so sehr ums Zeigen und Hinweisen gehe, sondern darum, die Verantwortung für den Blick an den Zuschauer zurückzugeben. Sie erwähnt hierbei auch die Veränderung von Aufführungskontexten, die Verlegung des Bildes vom Kinoraum auf verschiedene Oberflächen. Die unterschiedlichen Wahrnehmungssituationen gingen mit variierenden Perspektiven, Erfahrungen und Intensitäten einher. Welche Auswirkungen habe das Zerfallen der einen Schaukonstellation „Kino“ in variierende Raum- und Zeitdimensionen für die Produktion? Zunehmend begegneten ihr Filme, die sich produktiv mit den veränderten Bedingungen auseinandersetzten und digitale Verfahrensweisen zum Einsatz brächten, um Zeit für die selbstständige Fokussierung des Blicks zu geben (beispielsweise Ich bin hier und Nella Fantasia im Programm der Filmwoche). Werner Ružička stimmt ihr zu: im Verlust der analogen Tiefenschärfe liege die Möglichkeit des offenen demokratischen Bildes, in dem der Zuschauer über die Richtung seines Blicks selbst entscheiden könne, ohne dramaturgisch gelenkt und fixiert zu werden. Aus dem Publikum wird wiederum eine Sehnsucht geäußert, die Wirklichkeit wieder verhandeln zu können – mithilfe von digitalen Filmen, die ihre technischen Potentiale einsetzen, um Unschärfe wieder zuzulassen. Im stufenlos scharfen Bild sei alles zu erkennen, keine Frage bliebe offen – somit sei keine Fläche zur Auseinandersetzung und Verhandlung gegeben. Ob mittels Schärfe oder forcierter Unschärfe, einig ist man sich bezüglich der potentiellen Möglichkeit des digitalen Bildes, den Zuschauerblick zu autonomisieren.

Man gelangt zu Fragen nach der Relation von Film und Wirklichkeit, nach Auswirkungen des Digitalen auf die viel beschworene Authentizität im Dokumentarfilm. Cristina Nord erinnert an Nikolaus Geyrhalters 2012 in Duisburg gezeigten und diskutierten Film Donauspital – SMZ Ost, in dem digitale Technologien zwecks nachträglicher Veränderung von Gesichtern zum Einsatz kommen – eine Maßnahme aus Datenschutzgründen, die dem Zuschauer allerdings verborgen bleibt. Eine Form von Novum, die nicht unkritisch zu betrachten sei, betont Nord. Rücken Aspekte der Authentizität angesichts wachsender digitaler Möglichkeiten in den Hintergrund? Ružička merkt an, dass ein Mehrwert des digitalen Bildes, „dessen Schärfe jenseits der Realität liegt“, die technische Flexibilität sei: digitales Filmen kann sich mit einer Unmittelbarkeit bewegen, suchen und reisen, die analoger Technik nie zur Verfügung stand.

Ein Experiment mit ungewissem Ausgang ist Digitalburg in gewisser Hinsicht auch nach dem Gespräch noch – trotzdem, ein Geglücktes, gerade weil es keine konkreten Antworten, Auflösungen und Schlusspunkte vorgibt. Dafür: Angebote und Anregungen, in jedem Fall Inspiration und Gesprächsstoff, ein „Riss“ in der Dichte digitaler Bilddiskussionen, der gestattet, in weiteren Gesprächen weiter zu denken. Der geneigte Diskutant mag also seine Hausaufgaben machen und sich noch einmal Melancholia zu Gemüte führen, um dann im nächsten Jahr der über Lens Flares markierten Allianz zwischen Lars von Trier und Gott weiter auf den Grund gehen zu können.

 Maximilian Linz © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald
Maximilian Linz © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald