Film

Aufzeichnungen aus dem Tiefparterre
von Rainer Frimmel
AT 2000 | 90 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 24
08.11.2000

Diskussion
Podium: Rainer Frimmel
Moderation: Rembert Hüser
Protokoll: Judith Keilbach

Synopse

Die Montage einer Selbstdokumentation: Über mehrere Jahre hat sich der Wiener LKW-Fahrer Peter Haindl selbst in Videobildern aufgezeichnet, meist am Wohnzimmertisch oder im Sessel sitzend, der Kamera zugewendet. Haindl redet ohne Unterlaß, zu sich selbst und zur Nachwelt, über sein Leben und das draußen. Er räsonniert, politisiert und lamentiert, narzißtische Posen stehen neben kleinmütigen Selbsteingeständnissen. Ein Monolog voller Abgründe.

Protokoll

Aufzeichnungen aus dem Tiefparterre eröffne die Möglichkeit, einen Film auf verschiedenen Ebenen zu diskutieren – das deutete Rembert Hüser eingangs an und der Verlauf der Diskussion gibt ihm Recht. Leider ermöglichte es der zeitbedingte Abbruch des Gesprächs nicht mehr, formale Fragen ausführlicher anzusprechen oder sich über das Potential von Videokameras zu unterhalten, wozu Aufzeichnungen aus dem Tiefparterre geradezu einlädt. Neben den obligatorischen Fragen nach der Entstehungsgeschichte und dem Wohlergehen des Protagonisten wurde vom Publikum vielmehr über das Authentische, das Politische (in Österreich) und die Ehrlichkeit des Regisseurs (Monteurs/Präsentateurs) diskutiert.

Die Entstehung:

Film: Rainer Frimmel lernte Peter Haindl während seines Zivildienstes in einem Krankenhaus kennen. Der Krankenträger fiel ihm als exzentrische Persönlichkeit auf, und als er ihn fragte, ob er einen Film über ihn drehen könne, gab Haindl ihm seine Videoaufzeichnungen.

Aufzeichnung: Frimmel wollte dem Material nichts hinzufügen – der Film existierte quasi bereits – er animierte Haindl jedoch zum Weitermachen. Die ca. fünf Stunden hat Frimmel auf die aktuelle Länge gekürzt und dabei u.a. Haindls Gedichte gekürzt.. Etwa fünf Schnitte seien von ihm eigefügt, gibt Frimmel auf die Frage nach seinem Anteil an.

Der Protagonist:

Masterplan: Die Kürzungen hätten Haindls eigene Vorstellungen, die er sich von der Präsentation seiner Videoaufzeichnungen gemacht habe, durcheinander gebracht. Seine eigenen Päferenzen hätten sich dadurch verschoben. Inzwischen möge er den letzen Teil am liebsten.

Ausrüstung: Haindl habe sich seine gesamte technische Ausrüstung (u.a. mehrere Fern-seher) im Paket angeschaft und die Videokamera billig dazu bekommen. Er habe sie einfach ausprobieren wollen und dann seine Aufzeichnungen für Freunde begonnen.

Videotherapie: Haindls Selbstaufzeichnungen wurden in der Diskussion allgemein als Videotherapie verstanden. Er wolle etwas loswerden, möchte Aufmerksamkeit, habe das Bedürfnis – wie dies andere Angehörige seiner Schicht üblicherweise in Talkshows tun würden – medial zu werden.

Reaktion: Aufmerksamkeit habe er durch den Film nun bekommen, allerdings sei es für Haindl schwierig gewesen, da er aufgrund seiner Aussagen auch angegriffen worden sei. Einen Fernsehbeitrag über sich habe er abgelehnt, er wolle kein zweiter Zlatko werden. Außerdem sei er menschenscheu.

Adressierung: Von Interesse war die Frage, an wen Haindl sich mit dem direkten Blick in die Kamera richte, wen er damit adressiere. Dieses Rätsel, die Unsicherheit, ob der Zuschauer direkt angesprochen oder zum Voyeur von Privatem werde, sei jedoch im letzten Teil des Films verloren gegangen.

Die Ehrlichkeit

Material: Man spüre Frimmel nicht im Film, er habe das Material lediglich veröffent-licht, würde aber keine Position beziehen, kritisierten einige Dokumentaristen. Das sei sein Konzept gewesen, er habe einen Film über einen Menschen, der sich aufgezeich-net habe, mit dessen Material gemacht [Found Footage eben]. Auch die Entscheidung, daß Frimmel das Material in seiner jetzigen Form genommen habe, sei schließlich ein ‚Eingriff‘, springt ein Diskutant unterstützend bei.

Animation: Frimmel hätte so ehrlich sein müssen, die Differenz zwischen den Aufzeichnungen kenntlich zu machen, die Aufforderung zum Weiterdrehen zugeben müssen. Immerhin hätten sich dadurch die Selbstinszenierungen Haindls verändert, er kontrolliere sich nun, spreche anders in die Kamera, es handle sich nicht mehr um ein Tagebuch sondern um einen Brief, so die Kritik.

Das Politische

Wähler: Der Film sei politisch wichtig, weil er einen typischen FPÖ-Wähler zeige. Er ermögliche, die ‚Stimme des kleinen Mannes‘ zu hören, dessen Frustrationen zu begreifen. Insofern sei der Zeitpunkt der Präsentation genau richtig gewählt.

Meinung: Man wolle ständig wiedersprechen, vermisse die Kommunikation [die von Frimmel geleistet werden soll?]. Daß Haindl nicht als eindimensionaler Sonderling erscheine, man gezwungen werde, Argumente anzuhören und ernst zu nehmen, die man gar nicht kennen wolle, sei eine Leistung des Film und eine politisch relevante Erfahrung. Diese politische Meinung könne man auch durch eine Bündelung anderer Medien erfahren, wird dem Lob widersprochen. Position: Ein politischer Diskurs könne erst entstehen, wenn man den Argumenten zuhöre, gibt Frimmel zu bedenken, als die Kennzeichnung seiner eigenen Position im Film vermisst wird. Diskussion: Die Besprechung des Films auf die politische Meinung Haindls zu reduzieren, greife zu kurz, wirft ein Diskutant ein.

Das Authentische

Inszenierung: Haindls letzter Monolog sei hochgradig inszeniert, er würde – angeregt durch Frimmels Aufforderung zum Weiterdrehen – nun für ein Publikum sprechen, wird die ‚Unehrlichkeit‘ der filmischen Präsentation kritisiert. Der erste Teil habe hingegen einen anderen ‚Wahrheitsstatus‘. Insgesamt wird der Vergleich zu Big Brother ge-zogen, wobei es sich dabei eher um eine Pseudorealität handle.

Produktion: Hinterfragt wird die gesamte Diskussion von einem Teilnehmer, der vor allem interessant findet, warum der Eindruck von Intimität, von wirklichem Leben, von Authentizität entstehe [und der Film auf dieser Ebene diskutiert wird]. Immerhin seien doch alle Aufzeichnungen Haindls Inszenierungen.

genau!