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Referenzen der Wirklichkeit – Auf dem Weg zum letzten Bild? (2)

Duisburger Filmwoche 23
05.11.1999

Podium: Judith Keilbach, Barbara Vinken, Hartmut Winkler
Moderation: Catherine Ann Berger
Protokoll: Heimo Schirgi

Teil 2: Hinter die Oberflächen? Körperbilder im technischen Universum. Kriegsbilder, Bilderkriege: Wahrheitsdiskurse oder Angstlust an omnipotenten Phantasien? Körperkriege: Pornographie als Refugium virtueller Körper-Ichs oder eskapistische Sexualität?

Protokoll

Die Diskussion mit dem ehrgeizigen Titel drehe sich um Bilder und Körper, leitet Catherine Ann Berger ein. Die Frage nach einem Wahrheitsdiskurs als zentraler Leitfaden. Außerdem könne Bezug auf den vorher gezeigten Film Kriegssplitter genommen werden.

Die ambitionierte Protokollantin, die für Gertrud Koch eingesprungen war, macht den Anfang. Über Ikonographien des Krieges soll sie sprechen.

kriegsbilder.

Judith Keilbach beginnt damit, daß sie die Ikonogrsphie als historisch-gewachsenes Phänomen bezeichnet. Im Golfkrieg habe es einen Bilderwandel gegeben, hin zu einer Video-, ja fast Videospielästhetik. Bilder der Leidtragenden und der Zerstörung haben gefehlt. Im Kosovo sei man wieder davon abgerückt, hin zu einer „klassischen“ Kriegsberichterstattung mit Schwerpunkt auf die Flüchtlinge. Konventionen der Bilder müssen eingehalten werden. Hier dominierten immer noch die aus der NS Zeit stammenden Richtlinien. Eine spezielle Bildprägung mache diese aus, Grobkörnigkeit und Kontrastreichtum. Interessanterweise werde diese Prägung in vielen Produktionen, auch auf dem Videospiel Sektor immmitiert, um Authentizität zu schaffen. Hartmut Winkler ergänzt, die Golfkriegsberichterstattung habe nach Opfer geschrien. Im Kosovo sei nicht das Grauen selbst im Vordergrund gestanden, sondern dessen Manifestierung in den Gesichtern der Opfer. Die Kameras wären am falschen Ort gewesen, es sei zu einer Verschiebung gekommen. Vielleicht gebe es diesen priviligierten Ort des eigentlichen Geschehens ja gar nicht und somit müsse die Intensität des Spielfilmes unerreicht bleibe. Auf Kriegssplitter bezugnehmend, meint Winkler, es gebe Momente der Verdichtung. Zum Beispiel bei der Wasserleichenszene, wo man merkt, daß konkrete Leichen anders aussähen, als man es sich vorgestellt habe.

Berger ergänzt, die Montage dieser Sequenz sei durchaus spielfilmhaft, Intensitätssteigerung durch Schnittdramaturgie. Es stelle sich die Frage, wie man das Grauen mit der Kamera darstellen könne.

Keilbach merkt an, daß für sie der Flüchtlingsstrom von leeren Gesichtern dieses Grauen besser transportiert habe als vielleicht Schilderungen, wie man es aus den Fernsehbildern gewöhnt sei. Barbara Vinken meint, es handle sich um eine mise en scène zur Schaffung eines Wahrheitseffektes. Man solle Bildern gegenüber mißtrauischer sein.

theorie.

Hartmut Winkler trägt seine Thesen vor. Er meint der Körper sei ein so zentraler Ort zeitgenössischen Interesses, da er „Austragungsort“ von Diskurskonflikten sei. Er sprich von einem Skandal im Reich der Bilder. Er wolle sich dem Phänomen von zwei Seiten nähern, von der Seite der Bilder und der der Körper, um zu sehen, wo sie sich treffen und doch verfehlen. Der Körper sei eine Projektionsfläche von Zeichen, hinter welchen sich, wie wir von poststrukturarilistischen TheoretikerInnen längst wissen, kein echter Körper mehr befinden kann. Andererseits gebe es doch diesen Körper auf der subjektiven Empfindungsebene. Außen- und Innenwahrnehmung differieren gewaltig. „Körper“ markiere also jenen Ort, an dem Zweifel auf Gewissheit und Diskurse auf ihr Anderes träfen. Der Körper biete nicht den priviligierten Ort an dem Bezeichnung und Bezeichnetes aufeinanderträfen.

Genau an diesem Nerv operierten Pornographie und Kriegsberichterstattung. Körperbilder, auf die der eigene Körper direkt reagiere. Suche nach dem kick, ob am Bungeeseil oder im Pornokino.

Es kommt zu einem Wortwechsel zwischen Vinken und Winkler über Referenz, das Somatische, und romantische Rückfälle in der Erkenntnistheorie. Berger unterbricht bevor der akademische Schlagabtausch eskaliert und jeglicher Bezug zum eigentlichen Thema droht, verlorenzugehen.

pornographie.

Vinken berichtet von ihrer amüsanten Exkursion auf eine Pornomesse („Ein interassantes Spektakulum“). Zwei Arten von Körpern habe sie dort gesehen: Extrem modifizierte, und andere. Auf der einen Seite geschminktes Silikon, auf der anderen, naturbelassene Bierbäuche. Wie bei einer Supermarktkasse habe sie sich gefühlt. „Verrätselt“ sei sie hinausgegangen, was immer daran erotisch sei, habe sie sich gefragt.

Schnitt.

Als „Inbegriff des Authentischen“ als „letzte Wirklichkeit“ werde Pornographie beschrieben. Es ginge um die „nackte Wahrheit“, daß was ob-szene geschehen solle, zu zeigen. Es ginge um Tabubruch, der natürlich nur in einem Rahmen einer Gesellschaft geschehen könne, in der Nacktheit und Sexualität einen besonders eingeschränkten Raum hätten. Kein Wunder also, daß im rigiden Viktorianismus ein Pornographieboom zu verzeichnen gewesen sei. Moral und Pornographie seien Parallelpänomene.

Es gehe auch um das Rätsel der Frau und dessen vermeintliche Aufdeckungen. Der hypersexuelle Frauenkörper, der gleichzeitig noch rein zu sein habe.

Schnitt.

In einem Zeitalter der Subvertierung und Vermischung des Öffentlichen und des Privaten stöße Pornographie an seine Grenzen. Pornographie sei, siehe oben, „langweilig“ und ein Paradigmenwandel hin zu mehr Inszeniertheit stehe bevor. Hoffentlich.

Winkler merkt an, diese Wendung könne man schon mitverfolgen. Stärkere Publikumseinbindung, Interaktivität und mehr Authentizität seien gefragt. Wirklichkeitserleben durch kicks mit limitiertem Risiko. Der Alltag als 3D Medieninstallation. Dieses Modell sei jedoch unzulänglich, wenn es um den eigenen Körper gehe („wenn ich Kompfschmerzen habe, hilft mir die Erkenntnis, daß diese ein Zeichensystem sind nichts“).

Berger erzählt von einer Studie, wonach 1998 erstmals Masturbation als eigene Form von Sexualität und nicht als Ersatz gesehen würde. Es gebe demnach einen Wandel im Verständnis von dem Selbst und dem Anderen, von Mensch und (Lust)Maschine. Winkler nennt das eine spektakuläre Entwicklung, die auch viel mit dem Internet zu tun habe. „Einhändiges Surfen“ nennt er den Versuch zur Konnexbildung zwischen Körper und Maschine. Vinken bremst ein: Rousseau habe schon von Büchern gesprochen, die zur einhändigen Lektüre animierten. Sex sei ein Mediales Phänomen.

Winkler beharrt, daß es selbstverständlich sei, daß es schon vor den Medien Sex gegeben habe. Kinder habe es immer schon gegeben. Gelächter im Publikum. Medien sollten doch endlich begreifen, daß sie nicht alles seien. Er wolle hinter die Medien schauen.

Eine Stimme aus dem Publikum beklagt, daß die Diskussion zu nett sei. Pornographie seii die Enthüllung und Ausstellung des weiblichen Körpers. Krieg und Pornographie haben sehr viel gemeinsam, wie man anhand von snuff Videos aus dem Kosovo sehen könne. Viele ausgefallene Sexualpraktiken seien einfach modisch und ein Teil des gnadenlosen Ringens um Authentizität. Vinken stimmt diesem zu. Nochmals gibt sie ihrer Hoffnung Ausdruck, es könne zu einer Retheatralisierung des Pornographischen jenseits bürgerlichem Spießertums kommen.

Aus dem Publikum wird die Authentizität pornographischer Bilder bezweifelt („Ich willl doch nicht sehen, was ich zuhause auch haben kann“). Winkler bezweifelt die Relevanz dieser Frage.

Ein Diskutant meint der Trend sei hin zueiner Vermischung der beiden Ebenen. Laiendarsteller, die in einer stark inszenierten Rahmensituation sexuelle Handlungen vollziehen, habe er bei einer neuen RTL2 Show beobachten können. Werner Ruzicka findet das das Pornographische Einzug in den Mainstream nehme. Hollywoodproduktionen mit Pornostars. Was er nicht so verstehe sei die Euphorie an Pornographie aus dem Internet, da die Qualität der dort angebotnen „Ware“ mehr als schlecht sei. Es sei wohl die Sucht an der Suche, die eine Rolle spiele.

Lisl Ponger meldet sich aus dem Publikum: Sie würde gerne wieder über Film reden und über die Mittel, die filmisch Authentizität vermitteln. Sie meine, weite Einstellungen, die viel Platz für den Zuseher lassen, sei so ein Mittel.

Keilbach meint, daß das mit Einstellungsgrößen nichts zu tun habe, eher mit der Bildprägung und der Materialtiät. Eine Diskutantin meint, daß schlechte Qualität den Realitätsanspruch besser geltend mache. Die Lust an verpixelten, verwackelten und unscharfen Bildern sei eine größere. Kritik an „Kriegssplitter“ wird laut. Die Verdopplung der Kriegsbilder wird als eine politisch zweifelhafte Strategie bezeichnet.

Winkler ortet den Rückzug auf eine Meta-Ebene im Film („ein Film über Kriegsfilme“) und meint das sei nicht unkritisch, weil es nicht helfe, den Mechanismus zu beleuchten. Metaisierung könnte in einer Endlosschleife betrieben werden, ohne jegliche Wirkung zu haben. Ruzicka verteidigt den Film in dem er sagt, der Film wisse, daß er ein Teil der Maschine sei. Außerdem sei gesagt worden, daß es sich um ein work in progress handle.