Film

Dunkle Stunden zählen nicht
von Marin Martschewski
DE 1998 | 97 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 23
04.11.1999

Diskussion
Podium: Marin Martschewski
Moderation: Elisabeth Büttner
Protokoll: Herbert Schwarze

Synopse

Früher machten Goscho und seine Freunde die Gegend um das bulgarische Targowischte mit ihren Buggies unsicher. Heute, 20 Jahre später und nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Welt, sind die Schläfen zwar grauer und die Gesichter bärtiger geworden, die Jungenhaftigkeit aber blieb. Es wird gebastelt und geschraubt, denn sind die Zeiten auch noch so schlecht: Man muß einfach das Beste daraus machen.

Protokoll

Eine auffällige Häufung von Filmen ist zu konstatieren, die fast soetwas wie das geheime Thema der diesjährigen Duisburger Filmwoche bilden: Ein Moment des (auto-) biographischen Innehaltens wird beschrieben. Aus der Lebensmitte oder vom sich abzeichnenden Ende her, vergleichen sie das „was wir wollten“, mit dem „was wir wurden“…

Am Ende der Dunklen Stunden… sehen wir, wie mehrere Männer eine Sendeantenne errichten, um Funkkontakt mit der Außenwelt aufzunehmen. Ihre Antwort lautet: „Wir liegen im Osten Bulgariens“. Ein konkretes und metaphorisches Bild gleichermaßen: Die Reise, die Martschewski zu den Protagonisten seines Films Rennfahrer (1982) unternimmt, führt die Zuschauer mitten hinein in ein weitgehend unbekanntes, um nicht zu sagen: vergessenes Land – das zweitärmste Europas. So konnte es nicht ausbleiben, daß die Bilder immer wieder einer Kommentierung bedurften, oder anders ausgedrückt: Ihre Bewertung von Seiten der Zuschauer mußte vom Regisseur vorsichtig, aber beharrlich korrigiert und ergänzt werden.

Der Film von 1982 porträtiert vier Freunde, die sich einer Obsession verschrieben haben: Sie bauen in ihrer Freizeit Buggys zusammen, mit denen sie an den Wochenenden Rennen fahren. Damals, heute – eine Gegenüberstellung von Bildern, an der besonders auffiel, daß die Sentimentalität der vergangenen Zeit ausblieb; kein Betrauern der verlorenen Jugend, kein Pathos des bevorstehenden Alters. Im Gegenteil: Ihre obsessive Energie scheint ungebrochen, wie Martschewski sagt, und sie gilt nicht unmittelbar dem Überleben – was ihn beeindruckt, ganz besonders unter diesen Verhältnissen. Gleichzeitig erkennt man in ihrer Fähigkeit zur Improvisation, zum ständigen Ausprobieren und Organisieren nicht nur die Überlebensstrategie der sozialistischen, sondern auch der neuen Zeit: Das Werkeln, Frickeln und Selbermachen…

Anfänglich konzentriert sich das Gespräch auf die beiden Hauptfiguren Zezo und Goscho, deren „zäher und unverwüstlicher“ Wille Martschewski veranlaßt haben, den Film überhaupt zu machen.

Ob er in ihnen Helden sieht., wird er gefragt.

Helden eher im filmischen Sinn, antwortet er.

In beiden Filmen?

Ja, in beiden Filmen.

Ob sie so heldenhaft sind, wie wir sie gerade gesehen haben, insistiert eine Zuschauerin.

Ja, das sind sie, antwortet Martschewski.

Sehr schnell kreist das Gespräch um die Frage, ob es nicht besser gewesen wäre, mehr von den zwielichtigen Geschäften zu erfahren, in die Goscho verwickelt ist.. Anderen reichen die erwähnten Details völlig aus, um die mafiösen Strukturen zu begreifen. Weit kontroverser wird die Zigeunermusik diskutiert, die sich leitmotivisch durch den Film hindurchzieht, weil sie – so eines der Hauptargumente – zu sehr nach Kusturica und Folklore klingt. Er hätte sie ausgewählt, weil sie nicht nur fröhlich und leidenschaftlich sei, sondern sich selbst in Frage stellt. In den Neben- oder Untertönen sei eine ironische Brechung enthalten, die ihm gut gefallen würde, und für den Fatalismus sei die slawische Seele bekanntermaßen sowieso empfänglich.

An der Montage, genauer: der Auswahl der Bilder, kochten die Emotionen völlig unerwartet hoch. Einer findet die Personen interessant, aber nicht die Montagesequenzen, in denen städtisches und dörfliches Leben gezeigt wird („Postkarten“, „unehrlich“, „subjektiv“, usw.), ein anderer fragte allen Ernstes und empört, was wir Deutschen denn davon halten würden, wenn plötzlich ein Afrikaner daherkäme und uns so filmen würde (bezog sich auf den Dreck, der im Film zu sehen war), wie der Regisseur die Bulgaren. Ein weiteres Argument monierte die nicht vorhandene Verbindung der kaleidoskopartigen Gesellschaftsbilder mit dem Leben der Protagonisten.

Wessen Blick sollte es denn sonst sein? Es ist mein Blick, ja, bestätigt Martschewski die Vermutungen.

Kein Porträt ohne die Lebensumstände, antwortet er ruhig.

Der bulgarische Patriot, so faßt er die Reaktionen auf seinen Film zusammen, stört sich an den Mülleimern und der Zigeunermusik, die er auf privaten Festen aber gerne aufspielen läßt.

Vorzuwerfen wären dem Film m.E. einige Szenen, in denen das Konkrete eines Bildes vom Metaphorischen aufgesaugt zu werden droht (Plattenbauten, Menschen auf dem Balkon = gesellschaftliche Stagnation usw.). Martschewski ist bescheiden: er hat den Film für einen deutschen Sender gemacht, also sollte auch der deutsche Fernsehzuschauer die Bilder lesen können. Ihn hätte es gereizt, beschreibt Martschwski seine Arbeitsweise, einen Film zu machen, in dem man spazieren gehen kann, Freiraum zu schaffen für einen umherschweifenden Blick und das vagabundierende Nachdenken. Ihn befällt in anderen Filmen oft ein Gefühl der Enge, so beschreibt er sein Verhältnis zu einem Kino der Beschleunigung. Wenn zu viel passiert, habe ich immer den Eindruck, daß man mir etwas verkaufen will.

Das Stichwort von der Entdeckung der Langsamkeit ist gefallen: Der Film vollzieht den Eintritt in eine andere Zeitzone nach. Was man von Bulgarien zu sehen bekommt, erinnert an den Übergang von einer Agrar- in eine Industriegesellschaft. Außerdem fällt die Bewegung zu den vier Freunden mit einer biographischen Bewegung zusammen. „Hier, in meiner Umgebung“, sagt Martschewski in seiner bedächtigen Art, „gilt das Interesse der Leute ausschließlich der Karriere.“ Daß die Protagonisten nicht nur sich selbst nicht aufgegeben hätten, sondern auch an ihren Träumen festhalten würden, daß sei es gewesen, was ihn am meisten beeindruckt hat. Rennfahrer war Martschewskis letzter Film, Dunkle Stunden zählen nicht ist sein erster nach 26 Jahren.