Extra

Wie (sich) produzieren?

Duisburger Filmwoche 21
14.11.1997

Podium: Thomas Kufus (Produzent), Werner Dütsch (Redakteur), Fosco Dubini (Autoren), Bea Cuttat (Verleiherin), Heidrun Podszus (Verleiherin), Ralph Wieser (Kinomacher), Dieter Kosslick (Filmstiftung NRW)
Moderation: Didi Danquart, Mike Wiedemann
Protokoll: Torsten Alisch

Teil III: Neue Wege zum Markt

Protokoll

Im Gegensatz zu großen länderspezifischen Unterschieden in der Beziehung zwischen Produzent und Fernsehen, die sich gestern offenbarte, gleicht sich die dokumentarische Verleih- und Kinolandschaft in allen drei deutschsprachigen Ländern.

Bea Cuttat (betreibt seit 10 Jahren in der Schweiz den engagierten Verleih Look Now!) skizziert die dokumentarische Verleihsituation: Waren es in den 60er und 70er Jahre die Thesenfilme und in den 80er Jahren die Bewegungsfilme, die Erfolge an der Kinokasse aufweisen konnten, verschwand der Dokumentarfilm vor etwa zehn Jahren fast völlig aus der Kinolandschaft Die Höhe der Verleihförderung in der Schweiz ist im Vergleich zur deutschen Situation „außergewöhnlich bescheiden”.

Heute gibt es im wesentlichen zwei Arten von Dokumentarfilmen, die eine Chance im Kino haben: Die einen verkaufen sich über das Thema, den Inhalt des Films (unabhängig davon, ob der Film „gut” oder „schlecht” ist), die anderen „lassen sich gut verkaufen” (was nicht näher erläutert wurde, aber woW viel mit eigenem Gespür für aktuelle Marktentwicklungen oder brisant werdende Themen zu tun hat). Generell gilt für diese zweite Gruppe, daß sie in der technischen Qualität von Bild & Ton außergewöhnlich gut produziert sein müssen.

Heidrun Podszus (Ventura Filmverleih, Berlin) beschrieb den winzigen Marktanteil für Filme jenseits des Cinemaxx: Die fünf erfolgreichsten Filme der wöchentlichen Kino-Charts, gestartet mit hunderten von Kopien, werden von fast 95% der gesamten Kinobesucher gesehen. Der verbleibende „5%-Markt” (aller Kinobesucher, nicht etwa aller Einwohner) muß alle restlichen Filme aufnehmen.

Dokumentarfilme lassen sich zur Zeit teilweise einfacher vermarkten als “kleine” Spielfilme (Filmkunst), besonders wenn es mögliche Zielgruppen für solch einen Film gibt, die sich durch Mailings, Einladungen und PR-Aktionen als Verteiler nutzen lassen. Der aktuell erfolgreiche Tibet-Film trifft auf hundertlausende Esoterisch-Interessierte, die konventionellen Werbestrategien völlig unzugänglich sind, bzw. diesen ablehnend gegenüberstehen. Höchstens O,x % aller Kinobesucher haben ein explizites Interesse am „Dokumentarfilm”.

Auch normale Kinobetreiber sind am Dokumentarfilm nicht interessiert, erklärt Ralph Wieser (früher selbst jahrelang Kinobetreiber, nun beim Grazer Dokumentarfilmmarkt), expliziter: Dokumentarfilme sind im normalen, kommerziellen Kino nicht gut aufgehoben. Ein erfolgreicher Film wie die Muhammed Ali-Dokumentation When we were Kings lief in Wien in kommerziellen Kinos ausgesprochen schlecht.

Dieter Kosslick betont, daß die „neuen Filmförderungen” für Dokumentarfilme eigentlich nicht zuständig sind, diese aber mittlerweile bei ihnen einen größeren Stellenwert bekommen haben. Seit 1991 wurden von der Filmstiftung NRW 11 Mio. DM (von insgesamt etwa 300 Mio.) in die Produktion und einige Hunderttausend in den Verleih von Dokumentarfilmen investiert: „Ich glaube, daß es einen großen Markt für diese Art von Filmen gibt”. Kosslicks Erfolgsstory besteht aus Filmen wie Out of the Present, Jean Seberg, Nach Saison, Nico Icon: Erfolg im Sinne von „nationaler und internationaler Aufmerksamkeit”.

Werner Dütsch wies auf die von Jahr zu Jahr zunehmende Zahl von Dokumentarfilm-Festivals, -Kolloquien, -Sonderveranstaltungen und -Media-Programmen hin; mehr & mehr Filmemacher und Produzenten werden angelockt – doch diese ungeheuer subventionierte Betriebsamkeit findet ohne den normalen Zuschauer statt. Kinos sind aber zuallererst Geldmaschinen. Gibt es mittlerweile nicht zu viele Dokumentarfilme, die jeweils zuwenig Subvention erhalten? Kosslicks Erfolgsfilme sind größtenteils WDR-Produktionen. Warum wird ein Film wie Out of the Present auf Festivals mit PR-Gags (anwesende Astronauten) als „großer Erfolg” gefeiert, um dann wenige Tage später im Kino ohne unterstützende PR und Werbung völlig zu floppen? Es gibt kein cinephiles Publikum für Dokumentarfilme: Das Publikum interessiert sich immer für die Sache, die der Film be-/verhandelt. Die Fernsehausstrahlung von Dokumentarfilmen kann einen werbenden Effekt auf die Kinoausweitung haben, (Der Pannwitzblick etwa lief während der Fernsehsperre kaum in den Kinos, traf aber nach der Sendung auf eine „unglaubliche” Nachfrage): Es wäre zu überlegen, in den Förderrichtlinien die Fernsehsperre für Dokumentarfilme abzuschaffen.

Thomas Kufus betont, daß es ökonomische Erfolge auch für „kleine” Filme gibt, besonders wenn Verleiher und Kinobesitzer zusammenarbeiten, für jeden Film entsprechende Werbemaßnahmen einleiten und eventuell eigene Programmschienen einrichten.

Die erfolgreiche Kinoauswertung von Dokumentarfilmen ist einer ständigen Änderung unterworfen, derzeit sind es drei bis vier Verleiher, die sich wirklich für Dokumentarfilme interessieren. Um überhaupt Filmförderung zu erhalten, braucht man heute eine Verleihzusage (Letter of intent).

Fosco Dubini erzählt die Geschichte des von ihm selbstgegründeten Filmverleihs Der andere Blick, der vor knapp zehn Jahren eine Reihe von Hochschul-Abschlußfilmen, die keinen Verleiher gefunden hatten, „erfolgreich” in die Kinos brachte: Es gibt ein „kleines Kino”, etwa 40 Abspielstätten in Deutschland, die sich für solche Auswertungen eignen. Das ist keine kommerzielle Auswertung, eher eine Art von kultureller Präsentation. Dieses Konzept für eine ganz bestimmte Art von Filmen ist auch heute noch erfolgreich machbar.

Heidrun Podszus betont, daß die Kinoauswertung eine ganz wichtige PR-Maßnahme für den Dokumentarfilm ist, und nicht in erster Linie der Refinanzierung oder Rückzahlung von Krediten dient. Video- und internationale Fernsehrechte lassen sich mit einer „fetten” Pressemappe viel besser verkaufen.

Es existiert ein riesiger special interest-Markt, der noch gar nicht richtig ausgewertet wird. Dieter Kosslick nennt das Hörspiel, daß man vor Jahren belächelte, aber dann begonnen hat zu fördern, und das nun einen Jahresumsatz von 50 Mio. DM mit Audiocassetten erzielt.

Den in die Diskussion geworfenen Vorschlag einer europäischen Verleihstrategie halten Cuttat wie Kosslick für unrealistisch: Es gibt nur wenig Filme, die so universell gemacht sind, daß man sie auch in anderen Ländern versteht. Die cross distribution wird nur noch von wenigen Großverleihern betrieben, im europäischen Kinomarkt hat sich eine Re-Nationalisierung durchgesetzt (erfolgreich sind nationale und amerikanische Filme, „europäische” Produktionen können sich nicht durchsetzen).

Am Ende wies Christiane Peitz (Die ZEIT) darauf hin, daß hier über das falsche Thema geredet wird: Nämlich nicht über die neue Förderstruktur und das Ende der klassischen Filmforderung, die ab 1998 in Kraft tritt, und bei der das öffentliche wie private Fernsehen mit einer GmbH-Beteiligung von 25% vertreten ist. Kann man dann überhaupt noch Filme ans Fernsehen verkaufen? Was bedeutet es, wenn ein Film vom ZDF und gleichzeitig vom WDR koproduziert wird? Dieter Kosslick dankte für diesen Hinweis auf ihren ZEIT-Artikel vom Donnerstag, und betont, daß genau darüber in allen Gremien derzeit verhandelt wird.

 © Ekko von Schwichow
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