Film

Gesichterwahn
von Thomas Ciulei
DE/RO 1997 | 86 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 21
14.11.1997

Diskussion
Podium: Thomas Ciulei
Moderation: Klaus Kreimeier
Protokoll: Niko Ruhe

Protokoll

Die in Themas Ciuleis Film gezeigte Vergangenheit ist zunächst die der staatlichen Verfolgung in den kommunistischen Ländern ganz Europas, die in Rumänien erst nach dem Tod Stalins ihren Höhepunkt fand. Bis zur durch den sowjetischen Einmarsch ermöglichten Machtergreifung im Jahre 1945 hatte es, wie Thomas Ciulei sagt, in Rumänien keine 200 Kommunisten gegeben. Nachdem die historischen Parteien und die Kirche ausgeschaltet worden waren, erreichte Rumäniens erster kommunistischer Machthaber. anschließend die Eliminierung der Altkommunisten mit Hilfe der Jungkommunisten, und entledigte sich dann dieser Kontrahenten mit Hilfe der „moskowitischen“ Fraktion. Hierbei fand in Rumänien 1954 auch der einzige große Schauprozeß nach Stalins Tod statt.

Nachdem er 1965 mit dem Tod seines Vorgängers an die Macht gekommen war, rollte Ceaucescu den Prozeß wieder auf und rehabilitierte alle Angeklagten – nicht, um Recht herzustellen, sondern um zu zeigen, was für ein Verbrecher sein Vorgänger war. Eine Entschädigung erhielten die Opfer nicht.

Lena Constante konnte nach ihrer Entlassung kein Puppentheater mehr inszenieren, wie Ciulei auf eine Frage aus dem Publikum antwortet, weil sie und ihr Mann zunächst nicht frei reisen durften. In den 70er Jahren schließlich wurde sie nochmals angeklagt wegen „Zerstörung der Volkskultur“: Sie hatte mit traditionellen Tapisserien künstlerisch gearbeitet. Heute ist Lena Constante in Rumänien eine bekannte, nicht unumstrittene Persönlichkeit. In Deutschland ist ihr schriftstellerisches Werk jedoch nicht zu haben, wohl aber ist es im Rumänien kulturell verbundenen Frankreich veröffentlicht.

Es ging Thomas Ciulei jedoch nicht nur um ein Thema der kommunistischen Vergangenheit seines Herkunftslandes und um das persönliche Schicksal der Lena Constante. Gerade auch mit den Passagen, in denen Lena Constante nicht spricht, will er den Film aus diesen konkreten Bezügen lösen, um Haft als einen allgemeinen Zustand erfahrbar zu machen. Klaus Kreimeier sprach in diesem Zusammenhang vor allem von der ästhetischen Strategie von Hell- und Dunkel: Mit kalkulierter Sparsamkeit läßt Ciulei nur in zwei Szenen des Films Licht in das nächtliche Arrangement seines Films dringen. Ein Zuschauer fühlte sich bisweilen so bestochen von diesen Bildern, daß er abgelenkt war: „Opium für die Augen“.

Die in den Zwischenpassagen gezeigten Schauplätze sind zu einem großen Teil nicht authentisch, und Authentizität, so Ciulei in Reaktion auch auf einige kritische Fragen, sollte auch von Anfang an nicht suggeriert werden: Es ging ihm um das Wesen bestimmter Orte, nicht um eine präzise geographische Skizzierung von Lena Constantes Lebensstationen.

Ciulei filmte Lena Constante stets von unten: In ihren zwölf Jahren im Gefängnis, zwischen ihrem 40. und ihrem 52. Lebensjahr ist Lena Constante 15 Zentimeter geschrumpft: Aber die Kamera gab ihr die Größe zurück, wie Werner Ruzicka meinte. Er assoziierte ihr Kleinerwerden auch mit Regression, mit dem Zurückschrumpfen auf archaische Zustände, das aber auch das Zurückkommen zu sehr einfachen Zuständen ist.

Lena Constante empfiehlt dennoch einen Monat Gefängnis für Studienanfänger, als eine Art Bildungsaufenthalt Die Zeit im Gefängnis selbst war für sie das grundlose Leiden, stellt Ciulei klar: Da sie jetzt aber draußen ist, betrachtet sie diese 12 Jahre ihres Lebens nicht einfach als gestohlen, sondern sagt, daß sie etwas gelernt hat. „Fast pervers“, und doch: „Man muß den Haß irgendwie abreagieren, sonst bringt man sich um“, sagte im Publikum jemand, der zu einer ähnlichen Thematik bereits gearbeitet hat. Auch schockierend fand er es, wenn lange Jahre Inhaftierte ihm „fast mit Scham“ erzählten, daß sie ihre Zeit im Gefängnis in ihrer Intensität doch nicht missen möchten.

Erstaunlich wenig Bitterkeit, die man doch hätte erwarten können, sagte ein Zuschauer zusammenfassend. Ciulei bemerkt, daß dies bei ihr je nach Stimmung durchaus gewechselt hat: Teilweise sagte sie, daß sie keine Rache wünscht, dann aber wieder waren Polizisten für sie „keine Menschen“. Und Klaus Kreimeier fand, daß ein solcher Wechsel auch im Film zu sehen ist: Am Anfang des Films spricht Lena Constante in starren Bildern aus einer Art Abwesenheit, die mehr ist als Bitterkeit. Zum Ende des Film, der chronologisch dem Fortgang ihrer Erinnerungsarbeit folgt, wird sie dann zunehmend gelöster.