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Wozu Bücher (über Dokumentarfilm)?

Duisburger Filmwoche 20
07.11.1996

Podium: Rolf M. Bäumer (Haus des Dokumentarfilms), Christa Blümlinger (Autorin), Reinald Gußmann (Verleger), Eva Hohenberger (Uni Bochum), Klaus Kreimeier (Autor), Dietrich Leder (Kunsthochschule für Medien Köln), Martin Schaub (Autor und Filmemacher), Gabriele Voss (Autorin und Filmemacherin)
Moderation: Lars Henrik Gass
Protokoll: Judith Klinger

Protokoll

Bücher über den Dokumentarfilm zu schreiben und zu publizieren, so eröffnet Lars Henrik Gass das Gespräch, scheine ihm in zweierlei Hinsicht gerechtfertigt: Zum einen sei der Anteil sprachlicher Elemente in der Ästhetik des Dokumentarfilms bedeutsam, zum anderen sei es in letzter Zeit zu einer Diversifizierung dieser Gattung gekommen, deren neue und teils problematische Formen der Diskussion bedürften. Einleitend richtet Gass an die lehrenden auf dem Podium die Frage, wie sie die derzeitige Text- und Materiallage einschätzen und welche Bücher für die akademische Auseinandersetzung an Universitäten und Kunsthochschulen tatsächlich gebraucht werden. Während Eva Hohenberger einen Mangel an theoretischen Texten beklagt, die derzeit (unübersetzt) aus Frankreich oder den USA importiert werden müssen, fehlt es laut Rolf Bäumer auch an historischen Quellentexten. Dietrich Leder, der sich über Biographien einzelner Regisseure hinaus lückenfüllende Arbeiten zur Dokumentarfilm-Geschichte wünscht, schließt hier die Frage nach dem ökonomischen Potential derartiger Publikationen an und verweist auf immer wieder gescheiterte Versuche, in Deutschland konsequent und reihenbildend eine Filmpublizistik zu etablieren.

Klaus Kreimeier führt dazu aus, daß sich vorhandene Publikationen statt einer inhaltlich bestimmten Logik zumeist den Zufälligkeiten des Veranstaltungsbetriebs verdanken: Aufsatz-Sammlungen erscheinen als Anhängsel und Belegmaterial von Tagungen, woraus sich trotzeinzelner Glücksfälle eine gewisse Beliebigkeit ergebe. Der ‚Markt‘ – sofern davon überhaupt gesprochen werden könne – sei von derartigen Sammelbänden beherrscht, die nicht einmal vom Fachpublikum wirklich zur Kenntnis genommen werden. Bäumer nennt als Ursache für die schlechte Publikationslage unter anderem Autorenhonorare, die für kleinere Verlage nicht aufzubringen sind. Ein Problem sieht Christa Blümlinger auch in der Politik von Verlagen, die wissenschaftliche Arbeiten nicht hinreichend in ihr übriges Programm integrieren. Als gängige und unselige Praxis der Buchherstellung beschreibt Reinhold Gußmann das Verfahren, Druckkosten von Sponsoren und Autoren einzutreiben; auch seien die üblichen Vertriebswege aufgrund eines generellen Trends zur ‚Stapelware‘ bei Buchhändlern mittlerweile verstopft. Es müsse daher darum gehen, andere Vertriebskanäle zu erschließen, zumal sich die in Rede stehenden Bücher an eine kleine Leserschaft wenden. Als Beispiel für eine solche Strategie nennt Blümlinger den Österreichischen PVS-Verlag, der seine Publikationen in direkter Zusammenarbeit mit einzelnen Buchhandlungen und Universitäten sowie direkt auf Filmfestivals vertreibe und damit Erfolg habe.

Martin Schaub fragt sich und die Anwesenden, ob nicht auch über das Publikations-Medium nachgedacht werden müsse. Die genannte Alternative – CD ROM – wird unter Hinweis auf zu hohe Herstellungskosten (Bäumer) und beschränkte Anwendungsmöglichkeiten (Leder) eher kritisch beurteilt.

Ein weiteres Problemfeld tut sich bei genauerer Betrachtung der verfügbaren Texte auf. Gabriele Voss setzt auf die Arbeiten von Filmemachern selbst, die allerdings, so der Einwurf von Dietrich Leder, auch nicht immer ‚begnadete Autoren‘ sind. An eben diesen scheint es in der Tat allenthalben zu fehlen. Aufgrund mangelnder finanzieller Mittel sei die Zeitschrift ‚Cinema‘ seit Jahren eine „Ablage von Seminararbeiten“, erklärt Schaub, und Rolf Bäumer stimmt ihm zu: Interessante Autoren, von denen man sich ohnehin nicht umlagert sieht, sind unter den gegebenen Bedingungen selten bezahlbar. Klaus Kreimeier diagnostiziert eine insgesamt ruinöse Verfassung der Dokumentarfilmliteratur; diese verdanke sich nicht nur den Strukturen von Wissenschaftsbetrieb und Buchmarkt, sondern auch einem Desinteresse der Autoren selbst. Entsprechend sieht auch Schaub eine wesentliche Aufgabe darin, die Lust am Text ans Publikum zu vermitteln. Eine Kultur des Schreibens muß sich in diesem Bezirk wohl erst noch entwickeln.

Um nun dem Eindruck eines allgemeinen Buch-Pessimismus entgegenzuwirken, sei indes vermerkt, daß eine Auswahl von Publikationen zum Dokumentarfilm auf der Duisburger Filmwoche angeboten wird: in unmittelbarer Nähe zu Film und Publikum…