Film

Sennen-Ballade
von Erich Langjahr
CH 1996 | 100 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 20
08.11.1996

Diskussion
Podium: Erich Langjahr
Moderation: Constantin Wulff
Protokoll: Niko Ruhe

Protokoll

Mehrmals löste sich die Spannung zwischen der Arbeitswirklichkeit der Dokumentarfilmschaffenden und der Arbeitswirklichkeit der letzten Sennbauern in Heiterkeit auf: Etwa als Langjahr aus dem Publikum darum gebeten wurde, zu Vor- und Nachteilen der künstlichen Befruchtung von Milchkühen Stellung zu nehmen. Nein, „Romantisierung“ fand eigentlich nicht statt, wo es um „Verkäsungszulagen“ ging und darum, ob die Sennbauern den Kuhdung deswegen barfuß auf die Manen ausbringen, weil er ihnen die Füße wärmt, wenn sie bei der Arbeit in ihm umherwaten.

Bäuerliche Identität sei das Thema der „Sennen-Ballade“, die Themen der beiden folgenden Filme in seiner Bauerntrilogie werden Überleben und Zukunft sein. Es waren überwiegend die konkreten Aspekte bäuerlicher Existenz, die Langjahr in der Diskussion ansprach. Die meisten Nachfragen noch Tiefendimensionen des von ihm Gezeigten sowie nach vermeintlichen Aussparungen seines Films beantwortete er mit dem Verweis auf die einfache Wirklichkeit in ihrer prosaischsten Schlichtheit.

Appenzell, meinte ein Zuschauer, sei interessanterweise der einzige Ort in der Schweiz, in dem es keine Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau gebe, alle Arbeiten würden gemeinsam gemacht. Im übrigen sei Appenzell auch der Ort mit der höchsten Selbstmordrate. Aber der Ort in seinem Film sei gar nicht in Appenzell, sagte Langjahr.

„Rituale der Männerwelt“ führe uns der Film vor, hatte schon eingangs Constantin Wulff bemerkt: Was denn mit den Frauen sei bei den Sennbauern, wollten später mehrere Zuschauer wissen. Die Frau führe im Tal einen ganz normalen Bauernhof, während der Mann 100 Tage im Jahr als Senntumbauer arbeitet. Und auf nochmaliges Insistieren: Nein, auch die Zusammenarbeit am Holzmodell der „Abfahrt“ der Sennbauern ins Tal wolle er nicht als Metapher für eine allgemeine Zusammenarbeit der Geschlechter verstanden wissen. Die Sennbauern entlasten die Sennbäurinnen von der Kinderbetreuung, indem sie die Kinder zwei Monate mit auf die Alm nehmen – eine Zeiteinteilung, die in einer städtischen Gesellschaft nicht möglich wäre? Nein, man habe in der Schweiz einfach zwei Monate Sommerferien, sagte Langjahr.

Die Menschen schweigen die meiste Zeit in Langjahrs Film, gerade einmal 15 Sekunden wird in der Tischszene gesprochen zwischen Vater und Sohn, davon hätte man gern mehr gesehen, heißt es.weiter aus dem Publikum. Langjahr, der, wie er eingangs sagte, zwei Jahre mit der Montage des Films verbracht hat, korrigiert durchaus ernsthaft: Es waren nicht 15, sondern 25 Sekunden – und in diesen war alles drin: Sie essen und schweigen. Sie reden allgemein eher wenig.

Und was ist mit lachen, Sich-Anschauen, allgemein mit Emotionalität, dem Zwischenmenschlichen, das ja nicht notwendigerweise sprachlich sein müsse? Mehr war da eben nicht, sagt Langjahr.

Wie man sich abgrenze in dem riesigen Orchester von Filmen über die Schweizer Almen, fragte man aus dem Publikum (60 Filme mittlerweile, heißt es von anderer Seite). Wenn er hierüber nachdenke, verliere er die Lust am Filmemachen, sagte Langjahr: Einen Film über Bauern wollte er machen, ganz einfach. Im übrigen habe er persönlich noch nie einen Film über die Schweizer Alm gedreht.

Eine bewußte Frustration konventioneller Erwartungshaltungen? Ein besonders konsequenter Verzicht auf Romanisierung? Die Schlichtheit diesseits ollen Bemühens um Originalität? Die Wahrheit? Es war mindestens teilweise auch eine wirklich fröhliche Ausgelassenheit in der Diskussion, wenn auch mancher sie als nicht sehr ergiebig empfunden haben mag.

Doch zum Film: Ein „präzises Konzept“, attestierte Constantin Wulff dem Film eingangs, und konnte kaum glauben, daß es ein offenes Konzept gewesen sein soll, wie Langjahr sagte – und er erwähnt nicht nur die gelben Hosen zu Beginn und zu Ende des Films. Ruzicka hob lobend hervor, daß dieser Film über den Bauernstand insgesamt doch eine nicht so „universelle Beschreibung“ darstelle und nicht auf die einfachen Metaphern von Scholle und Erdverbundenheit zurückgreife. Interessant fand er, wie der Film das Schwinden der alten bäuerlichen Tradition dokumentiert: Er zeige auch den ökonomischen „Wahnsinn von Produktionsweisen, die heute so nicht mehr möglich sind“ – und Ruzicka fragte auch, ob diese sozial überhaupt wünschenswert sind: Der „Blödsinn“ der immer gleichen maschinalen Bewegung, mit der das Kind das Butterfaß bedienen muß. Er kann sich denken, daß nach solcher Arbeit die Zerstreuungen sehr einfach sein könnten. Fernsehen haben sie nicht auf der Alm, sagt Langjahr.

Noch der Musikalität fragte Ruzicka, die er nicht habe sehen können: Worauf sich der Titel „Sennen-Ballade“ beziehe? Er orientiere sich sehr an musikalischen Strukturen, sagte Langjahr, etwa an der Form des Rondos, „eine große und eine kleine Geschichte, die die große schließlich einholt“, und später denkt der Protokollant: Tatsächlich, die gelben Hosen erst in echt und später im Holzmodell der „Abfahrt“ ins Tal. Wenn der Film olle Fragen beantwortete, die in dieser Diskussion gestellt wurden, hätte er ein großstädtisches Tempo, und wäre verfehlt, meinte ein Zuschauer.