Protokoll
Moderator Werner Schweizer leitete die Diskussion um „HINTER DIESEN MAUERN“ mit dem Statement ein, es handele sich auch um einen Film über Medien (nicht nur, weil Protagonist Jamal Zeit seines Lebens journalistisch tätig gewesen sei), um einen Film über die Möglichkeit und Kraft von Gegeninformation. Der Film vermittle darüber hinaus einen Eindruck der Person Jamal, seiner Emotionalität und des Rahmens, in welchem dieser seinen Kampf sehe. Zum großen Teil sei der Prozeß Jamals (in Europa?) nicht zur Kenntnis genommen worden – was die Beschäftigung mit dem Sujet ehrenwert mache –, gleichzeitig stellten sich jedoch, so Schweizer, generelle Ermüdungserscheinungen ein ob der permanenten Aufrufe zu Protestaktionen.
Lob erntete der Umstand, daß der Film ohne öffentliche Förderung zustande gekommen ist, was eine Passion der Macherinnen voraussetze, deren Ursprung er nun ergründen wolle .
Frau Kleffner schilderte nun ihre seit 1989 stattfindende Beschäftigung mit der Thematik, die mit der Produktion eines Rundfunk-Features begonnen hatte und sich nach Aussetzung des Hinrichtungsbefehls im August ‘95 zum Interesse steigerte, mit der Kamera ins Gefängnis zu gehen, um Jamal eben nicht nur Stimme, sondern auch körperliche (leinwand-)Präsenz zu verschaffen. Es sei ihr primär darum gegangen, Jamal selbst zu Wort kommen zu lassen. Zwar hätten bereits 1989 Interviews mit ihm stattgefunden, auch sei 1995 eine britische Produktion über Jamals leben und Arbeit gemacht worden, aber sobald ein Todesurteil verhängt sei, dürfe die Presse nicht mehr in Kontakt zu dem Todeskandidaten treten, was das Bedürfnis (die Lust?), ein Interview zu machen, steigere. Jule Buerjes fügte hinzu: „Als alle auf den 17. August guckten, war er in aller Munde. Dann hörte das Interesse schnell auf“.
Im folgenden äußerten sich die Regisseurinnen zu den Umständen des einstündigen Interviews, zu Durchsuchung und Fesselung Jamals – trotz Trennwand –, zur Verwendung eines Funkmikrophons etc. Eine kurze Debatte über das „bildästhetisch schlechte Videomaterial“ (Schweizer) enstand, auf welches, so die Regisseurinnen, zurückgegriffen werden mußte, da die Fülle des Materials der großen US-Fernsehsender nicht zum Verkauf zur Verfügung gestanden habe.
Schweizer formulierte seine Gleichgültigkeit in Bezug auf die Frage, ob Jamal denn nun schuldig sei oder nicht. Die „große Schweinerei“, die sich in dieser Sündenbock-Suchen-und-finden-Mentalität ausdrücke, sei evident. Dennoch habe ihn u.a. irritiert, daß die zentrale Figur des Bruders Billy nicht im Film auftauche, schließlich handele es sich um einen höchst involvierten Augenzeugen des Tathergangs. Der Bruder habe als Interview-Partner nicht zur Verfügung gestanden, so Heike Kleffner.
Nachdem Werner Schweizer nun den Film mit der Auszeichnung „Gelungener Agit-Prop-Film“ belegte, Frau Buer[es daraufhin nachfragte, was er denn damit meine und Schweizer also liebevoll definierte: AGITIEREN. MOTIVATION ZUM HANDELN. GEGENINFORMATION ZUR ÜBLICHEN PROPAGANDA, schließlich sich der Kameramann Dieter Königsmann einschaltete mit der Bemerkung, das sei es doch, was einen Dokumentarfilm ausmache, war der Grundstein für die weiterführende Diskussion gelegt. Fosco Dubini fand die Kategorie „Agit-Prop“ nicht gelungen in Anbetracht der Filme aus den 60ern „mit Spruchbändern und so“. Der Produzent des Films wunderte sich. In den 70ern hätte man diesen Film ein „braves Feature“ genannt, heute spreche man über Agit-Prop, das sage Viel über Medien aus. Dubini gab zu bedenken, ob Zensur denn nicht über die Form stattfinde. Leider wurde diese Frage zugunsten derjenigen nach Filmförderung sowie Angebot und Nachfrage vernachlässigt. Da die Thematik des Films momentan offensichtlich nicht spektakulär genug sei („ein Todeskandidat ist spannender“), habe es bislang keinerlei Fernsehangebote gegeben, erzählte Heike Kleffner. Der Produzent ergänzte, es sei von Beginn an darum gegangen, daß der Film gezeigt werde, um „anzustoßen und aufzurütteln“, was Werner Schweizer zu der Frage bewog, ob man mit der Form des Filmes denn über eine Insider-Schicht hinauskomme. Die Regisseurinnen zeigten sich davon überzeugt, sei der Film doch just drei Wochen lang in einem Berliner Programmkino gelaufen (und angeschaut und besprochen worden!).
Constantin Wulff schaltete sich nun ein, um die Frage der „Gattung“ noch einmal zu erörtern, wobei er den beiden zunächst eine „symphatische Arbeit“ bescheinigte, die ihn dennoch insofern ratlos gelassen habe, als ihm eben eine angemessene Bezeichnung für den Film fehle. Formuliere doch ein Agit-Prop-Film, was man zu denken habe, zeige ein klassischer Dokumentarfilm verschiedene Perspektiven usw; oll dies biete der Film nicht. Er enthalte weder Medienkritik, noch sei er gekennzeichnet durch eine außergewöhnliche Form und Dramaturgie. Was also – außer „Mobilmachung“– sei das Interesse dieses Films? Die beiden Regisseurinnen blickten sichtlich ratlos ins Publikum und erklärten, daß sie sich über Formfragen „wirklich überhaupt keine Gedanken gemacht“ hätten und außerdem gebe es doch diverse Sichtweisen. Daraufhin erläuterte Schweizer – wiederum liebevoll –, wie eine zusätzliche Perspektive hätte aussehen können, bspw. indem ein Interview mit der Witwe des ermordeten Polizisten zustande gekommen wäre, was Heike Kleffner mit „sie war nicht greifbar“ kommentierte. Im übrigen hätten sie sich um ein FOP-Interview bemüht, was ebenfalls nicht möglich gewesen sei.
Dubini stellte fest, der Film sei in eine sehr allgemeine Richtung gerutscht – Kastensystem, Diskriminierung, Korruption etc. – und monierte, daß das Interview mit Jamal auf der gleichen Ebene liege wie die anderen innerhalb des Films. Eine unterschiedliche Wertung von Materialien wäre nötig gewesen.
Werner Ruzicka kam zum guten Schluß auf den anfänglichen Kommentar Werner Schweizers zurück („mir war‘s egat ob er‘s war oder nicht“) und freute sich an der „guten Art von GUT UND BÖSE, GUT UND BÖSE“, die dem Film innewohne. Gleichzeitig habe ihn der Film „elegant mitgenommen“, leider eben am Ende „düpiert“, denn der Trip, auf den man geschickt worden sei (schließlich werde doch durch Politik die Schuldfrage beantwortet), erfordere ein Ende mit klarer Antwort: War er‘s oder war er‘s nicht!?
Heike Kleffner zeigte sich also bereit, eine klare Antwort zu geben: Nein! Ja mal war es natürlich nicht. Schließlich habe er während des Prozesses zwei Mal (!) laut und deutlich gesagt, er sei nicht schuldig. So klar kann Rechtssprechung sein. „Justice is just an emotional feeling!“ (Zynischerweise eine Äußerung des Richters Sabo, der Jamals Todesurteil unterschrieb).
Die Diskussionsatmosphäre war gekennzeichnet durch zwei Ebenen, die nicht noch Vereinigung strebten. Beide Regisseurinnen betonten wiederholt, daß es ihnen darum gegangen sei, einen politischen Film zu machen. Die Umstände seien ihnen wichtig gewesen, der Bezug Jamals zu MOVE, das Klima in Philadelphia etc., olles, was nötig sei zum Verständnis seines politischen Hintergrunds. Aufklärung eben.
Diesem jugendlichen Engagement wurde dann auch mit großväterlicher Milde begegnet, da niemand Irischen Mut im Keime ersticken mag. Doch Jamals Interview-Äußerung „we often operate with the illusion of freedom“ wirkt in diesem Zusammenhang beinahe programmatisch. Über formale Gesichtspunkte zu diskutieren ist eine Sache (die Regisseurinnen zeigten sich ja auch erstaunt, aber dankbar für gewonnene Erkenntnisse), eine solche Gesprächsrunde zum Forum für inhaltlich-politische Auseinandersetzung zu nutzen eine andere. Letztlich eine Entscheidungsfrage.